box 35/9
Gesamnelte Nerke
große atemholende Stille als Pause zwischen Erlebten
nd Kultur.
24,
und Kommenden sich breitet.
sicher.
2
Eigentlich eine journalistische
So ist im Frühjahr ein Buch erschienen, das trotz
hungen, in den Tagen, die den
seiner einbändigen Knappheit uns neues Gedankenmaterial
sind. In diesen Nachsommer¬
in Fülle bringt. Ein Buch, dessen philosophisches Problem
nichts Geringerem gilt, als der Zusammenfassung des
gs literaturfähigen Journalisten
Menschentypus der anbrechenden Zeit und des Dichter¬
jen, seine Ferienerlebnisse dem
gen. Neckisch, lyrisch oder didak¬
typus, der diese Zeit antizipierend, sie in seinem Wesen,
her Globetrotter, der nach exo¬
in seinem Werk synthetisiert. Indem er „ein Mensch ist,
k hat, sei es als gemütvoller
den es noch nicht gibt“ — Ein Buch ganz außer der
pieder seiner Scholle Reize neu
Art. Weil es ungemein komplizierte Dinge in einfache
rn beginnen erst ab Dezember
Lösungen bringt; weil es obwohl von wissenschaftlichen
kdeuten, was fur die Gurkenzeit
Erkenntnissen saturiert, dennoch keine wissenschaftlichen
l. Die Aktualität des Kalender¬
Dogmen verkündet, weil es vernünftig und trotzdem ab¬
freilich nicht gerührt werden.
sonderlich ist, weil es mit rationeller Objektivität
Schutz, Schirm, Stütze gegen
Zustände analysiert die zu idealistischen Synthesen
oße Revolution erreichte ihren
führen. Ein Buch, gleich paradox in Form und
er gestürzt wurde, und sie starb,
Inhalt. Ein maskiertes Buch. Denn die Tiefe, der Ernst,
line erbgesessenen Zeitrechte ein¬
vielleicht sogar die Wehmut, welche als Grundharmonie
st eine Art Staatsgebilde. Mit
der Themen zu erfühlen sind, werden sorgsam unter
Haushalt, mit ihrem Fundus
einer dichten Schichte kühler, oft ironisierender Sorg¬
n und Konventionen. Wohin
losigkeit verborgen. Kein Prediger eifert, kein Philosoph
jeder Mitarbeiter nach seiner
sucht eine „Weltanschauung“ zu systematisieren; kein
?: Wenn gewisse Regeln einer
„Rembrandt als Erzieher“ will mit grimmer Axt seiner
imrücksichtslosen Impressionis¬
Nation einen neuen Kulturweg bahnen. Denn Dr. Egon
Friedell*) stellt in „Ecct poeta“ kein Programm auf
und treibt keine Reformpropaganda. Ihm geht es nämlich
leicht dazu führen, daß ein
ar nicht darum, die Gegenwart zu verbessern; er will
ser und Buchkritiken in den
nichts einrenken und geradebiegen; er pflanzt nicht Ideale
krender wirken würden; sozu¬
äßig. Eine veränderte Aper¬
Er
ls Wettrennziele für seine Zeitgenossen auf.
liebt und achtet die Stunde, welche unser
schon einzig und allein aus
ist,
Er ist kein
und der wir Prägung geben.
fahrene Vorstellungsbahnen zu
Mäkelnder, sondern ein Gläubiger. Er geht nicht
ie lauschige Kaminecke, während
her und baut aus Vergangenheiten ein eklektisches
r treibt, jener einzig gegebene
Zukunftsbild. Sondern diese Zukunft, die er im Blitzlicht
als treuer Begleiter durch öde
einer aphoristischen Synthese aufleuchten läßt, die hat er
n Bücher bringt. Niemals liest
dem fließenden Leben abgehorcht. Alles Gegebene, alles
ist die Bevölkerung einer Gro߬
Erworbene, alles sich Wandelnde, die Eroberungen neuer
niemals steht die Zeit höher
Naturkräfte, die Umprägung von Wirtschaftsformen, die
jenen Monaten, die den Bücher¬
Entdeckungen physiologischen und psychologischen Neu¬
Niemals vielleicht kann der
landes — aus allen diesen wild durcheinander wogenden
snahrung fruchtbarer sein, wie
hmmerzeiten. In jenem Augen¬
fieber abklingt, die Stadt aber
„Ecce poeta“ von Egon Friedell. — S. Fischers
nach uns ausstreckt und eine Verlag, Wien, 1912.
Energien, die die Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts
überfluten, setzt sich das Weltbild zusammen, welches
Friedell uns vorerleben läßt. Und gerade das wertvolle,
das gesunde Moment dieses Buches ist sein lebenbejahender
Rhythmus. Daß dem Gejammer über die Dekadenz
unserer Epoche, über den Verfall unserer Art, über die
Impotenz schöpferischer Energien endlich entgegengetreten
wird. Daß der nervöse Mensch als der veredelte Mensch,
der überempfindliche Organismus als Uebergangsform zu
einer Höherentwicklung bezeichnet wird.
„Der Mensch der nächsten Jahrzehnte wird eine
organisierte Neurose sein. Mit diesem Ausspruch er¬
weitert Friedell den Ausblick, welchen Lamprecht zuerst
auf ein neu sich bildendes Menschentum eröffnet, als er
für unsere Zeit das physiologische Motiv der „Reiz¬
samkeit“ fand. Friedell läßt den physiologisch sich perfektio¬
nierenden Menschen erstehen. Einen Organismus, der
nicht durch intellektuelle Höherzüchtung sich veredelt,
sondern durch die unbeschränkte Vervollkommnung und
Ausgestaltung der Sinneswerkzeuge. Bis gewisse, noch
nicht ausgereifte aber bereits in Bildung begriffene,
gleichsam noch nicht gefaßte Energien des Körpers zu
Apperzeptionssublimierungen sich steigern werden, die aus
dem heutigen nervösen Uebergangsmenschen den Menschen
der Zukunft entwickeln. „Den Trance=Menschen, den Odd¬
Menschen, den induktiven, telepathischen, drahtlos tele¬
graphierenden Menschen.“
Wer aber ist Vorläufer, wer ist Gestalter, wer ist
der erste Erfinder und Vorempfinder eines neuen Lebens¬
stiles? Es ist der Dichter, sagt Friedell. Aber nicht der
Dichter, dessen Werk und dessen Erleben zwei getrennte
Angelegenheiten sind. Sondern nur derjenige, der es
vermag, „mit dem Leben zu dichten“. Deshalb soll die
Dichtkunst keine literarische Angelegenheit bleiben. Nur
derjenige, dem es gelingt, die Versöhnung der Romantik
mit dem wirklichen Dasein wieder erstehen zu lassen, wird
das ethisch=moralische Pathos, welches in unserer Zeit
eingeschlossen ist, als Wahrheit sich selbst erleben lassen.
Dem philosophischen Essay schließt sich ein Peter
Altenberg=Sketch mit mutwilliger Laune an. Denn in
diesem Dichter erblickt Fiedell einen sich vorbildenden
Typus. Sozusagen den kommenden, idealen Vollender noch
im Kaulquappenzustand. Der schon alle vorbestimmten
Eigenschaften, aber in noch nicht entwickelter, endgultiger
Form in sich trägt. Und man muß die stilistische Kon¬
sequenz bewundern, mit welcher diese Darstellung neuer
Gesamnelte Nerke
große atemholende Stille als Pause zwischen Erlebten
nd Kultur.
24,
und Kommenden sich breitet.
sicher.
2
Eigentlich eine journalistische
So ist im Frühjahr ein Buch erschienen, das trotz
hungen, in den Tagen, die den
seiner einbändigen Knappheit uns neues Gedankenmaterial
sind. In diesen Nachsommer¬
in Fülle bringt. Ein Buch, dessen philosophisches Problem
nichts Geringerem gilt, als der Zusammenfassung des
gs literaturfähigen Journalisten
Menschentypus der anbrechenden Zeit und des Dichter¬
jen, seine Ferienerlebnisse dem
gen. Neckisch, lyrisch oder didak¬
typus, der diese Zeit antizipierend, sie in seinem Wesen,
her Globetrotter, der nach exo¬
in seinem Werk synthetisiert. Indem er „ein Mensch ist,
k hat, sei es als gemütvoller
den es noch nicht gibt“ — Ein Buch ganz außer der
pieder seiner Scholle Reize neu
Art. Weil es ungemein komplizierte Dinge in einfache
rn beginnen erst ab Dezember
Lösungen bringt; weil es obwohl von wissenschaftlichen
kdeuten, was fur die Gurkenzeit
Erkenntnissen saturiert, dennoch keine wissenschaftlichen
l. Die Aktualität des Kalender¬
Dogmen verkündet, weil es vernünftig und trotzdem ab¬
freilich nicht gerührt werden.
sonderlich ist, weil es mit rationeller Objektivität
Schutz, Schirm, Stütze gegen
Zustände analysiert die zu idealistischen Synthesen
oße Revolution erreichte ihren
führen. Ein Buch, gleich paradox in Form und
er gestürzt wurde, und sie starb,
Inhalt. Ein maskiertes Buch. Denn die Tiefe, der Ernst,
line erbgesessenen Zeitrechte ein¬
vielleicht sogar die Wehmut, welche als Grundharmonie
st eine Art Staatsgebilde. Mit
der Themen zu erfühlen sind, werden sorgsam unter
Haushalt, mit ihrem Fundus
einer dichten Schichte kühler, oft ironisierender Sorg¬
n und Konventionen. Wohin
losigkeit verborgen. Kein Prediger eifert, kein Philosoph
jeder Mitarbeiter nach seiner
sucht eine „Weltanschauung“ zu systematisieren; kein
?: Wenn gewisse Regeln einer
„Rembrandt als Erzieher“ will mit grimmer Axt seiner
imrücksichtslosen Impressionis¬
Nation einen neuen Kulturweg bahnen. Denn Dr. Egon
Friedell*) stellt in „Ecct poeta“ kein Programm auf
und treibt keine Reformpropaganda. Ihm geht es nämlich
leicht dazu führen, daß ein
ar nicht darum, die Gegenwart zu verbessern; er will
ser und Buchkritiken in den
nichts einrenken und geradebiegen; er pflanzt nicht Ideale
krender wirken würden; sozu¬
äßig. Eine veränderte Aper¬
Er
ls Wettrennziele für seine Zeitgenossen auf.
liebt und achtet die Stunde, welche unser
schon einzig und allein aus
ist,
Er ist kein
und der wir Prägung geben.
fahrene Vorstellungsbahnen zu
Mäkelnder, sondern ein Gläubiger. Er geht nicht
ie lauschige Kaminecke, während
her und baut aus Vergangenheiten ein eklektisches
r treibt, jener einzig gegebene
Zukunftsbild. Sondern diese Zukunft, die er im Blitzlicht
als treuer Begleiter durch öde
einer aphoristischen Synthese aufleuchten läßt, die hat er
n Bücher bringt. Niemals liest
dem fließenden Leben abgehorcht. Alles Gegebene, alles
ist die Bevölkerung einer Gro߬
Erworbene, alles sich Wandelnde, die Eroberungen neuer
niemals steht die Zeit höher
Naturkräfte, die Umprägung von Wirtschaftsformen, die
jenen Monaten, die den Bücher¬
Entdeckungen physiologischen und psychologischen Neu¬
Niemals vielleicht kann der
landes — aus allen diesen wild durcheinander wogenden
snahrung fruchtbarer sein, wie
hmmerzeiten. In jenem Augen¬
fieber abklingt, die Stadt aber
„Ecce poeta“ von Egon Friedell. — S. Fischers
nach uns ausstreckt und eine Verlag, Wien, 1912.
Energien, die die Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts
überfluten, setzt sich das Weltbild zusammen, welches
Friedell uns vorerleben läßt. Und gerade das wertvolle,
das gesunde Moment dieses Buches ist sein lebenbejahender
Rhythmus. Daß dem Gejammer über die Dekadenz
unserer Epoche, über den Verfall unserer Art, über die
Impotenz schöpferischer Energien endlich entgegengetreten
wird. Daß der nervöse Mensch als der veredelte Mensch,
der überempfindliche Organismus als Uebergangsform zu
einer Höherentwicklung bezeichnet wird.
„Der Mensch der nächsten Jahrzehnte wird eine
organisierte Neurose sein. Mit diesem Ausspruch er¬
weitert Friedell den Ausblick, welchen Lamprecht zuerst
auf ein neu sich bildendes Menschentum eröffnet, als er
für unsere Zeit das physiologische Motiv der „Reiz¬
samkeit“ fand. Friedell läßt den physiologisch sich perfektio¬
nierenden Menschen erstehen. Einen Organismus, der
nicht durch intellektuelle Höherzüchtung sich veredelt,
sondern durch die unbeschränkte Vervollkommnung und
Ausgestaltung der Sinneswerkzeuge. Bis gewisse, noch
nicht ausgereifte aber bereits in Bildung begriffene,
gleichsam noch nicht gefaßte Energien des Körpers zu
Apperzeptionssublimierungen sich steigern werden, die aus
dem heutigen nervösen Uebergangsmenschen den Menschen
der Zukunft entwickeln. „Den Trance=Menschen, den Odd¬
Menschen, den induktiven, telepathischen, drahtlos tele¬
graphierenden Menschen.“
Wer aber ist Vorläufer, wer ist Gestalter, wer ist
der erste Erfinder und Vorempfinder eines neuen Lebens¬
stiles? Es ist der Dichter, sagt Friedell. Aber nicht der
Dichter, dessen Werk und dessen Erleben zwei getrennte
Angelegenheiten sind. Sondern nur derjenige, der es
vermag, „mit dem Leben zu dichten“. Deshalb soll die
Dichtkunst keine literarische Angelegenheit bleiben. Nur
derjenige, dem es gelingt, die Versöhnung der Romantik
mit dem wirklichen Dasein wieder erstehen zu lassen, wird
das ethisch=moralische Pathos, welches in unserer Zeit
eingeschlossen ist, als Wahrheit sich selbst erleben lassen.
Dem philosophischen Essay schließt sich ein Peter
Altenberg=Sketch mit mutwilliger Laune an. Denn in
diesem Dichter erblickt Fiedell einen sich vorbildenden
Typus. Sozusagen den kommenden, idealen Vollender noch
im Kaulquappenzustand. Der schon alle vorbestimmten
Eigenschaften, aber in noch nicht entwickelter, endgultiger
Form in sich trägt. Und man muß die stilistische Kon¬
sequenz bewundern, mit welcher diese Darstellung neuer