V, Textsammlungen 7, Gesammelte Werke, Seite 18

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7 Gesämnelte Nerke
Bindungen, Reizungen und Wechselwirkungen des sich
einzig geartetes, einmaliges niemals gewesenes und niemals
lebtestes gilt uns nun jenes selt
formenden Kulturstoffes einsetzt, um sodann die
wiederkehrendes Ereignis.
Geständnis der „Esclave"*) betitel
physiologische Anpassung des Menschen an diese
Die Exotik des südamerik
„Es steht fest, daß sich das Reich der Seele täglich
veränderten Bedingungen daraus zu entwickeln. Um
wird uns nicht durch Schilderung
mehr erweitert", sagt Macterlinck. Oder ist es nur eine
endlich in der alles zusammenfassenden Einheit des Pfad¬
Sitten panoramaartig zum Bewuß
unentlich sich verfeinernde Intuition, die früher Une¬
finders zu gipfeln, des Dichters der „As prophecy of
sich aus den Gesten, aus dem R
kennbares nun wahrnimmt, deutet, aus dem Dunkel hebt,
the neset age“ unter den Zeitgenossen wandelt. Stil
welche einem anderen Klima, ande
und so, was immer war, erst durch Erkennen zum Leben
heißt hier wohl das scharfe Festhalten, das Herausschleifen
worfen sind. Seelenaffekte wurze
bringt? Sind wir nicht reicher geworden, sondern nur
eines Gedankenbildes aus dem vielverschlungenen Hinter¬
Mutter Erde, daß sie gleichsam
wissender? Und wird dies Wissen um uns entdeckte
grund enzyklopädistisch aufgehäuften Materials. Denn
eng verschwistert mit dem animale
Seelenkräfte wirklich ins Leben dienend führen? Wird
durch Anhäufung, nicht durch Eliminieren gelangt
rausch alles Blühens. Eine Frau
aus dem psycho=physiologischen Menschenproblem, welches
Friedell zur Vereinfachung, zur Synthese. Alle Abweichung,
des Geschehens. Eine Kreolin,
dieser Zeit sich entrungen hat, die monumentale Form
jeder Umweg dient nur kunstvoll dem einen schimmernden
Wirbel kämpfender Strömungen i
des heldischen Menschen neu erstehen? Des Menschen,
Leitgedanken des Werkes: Selbst Tod ist Leben.
Sie ist leidenschaftlich und doch z#
der zu neuen, wunderbaren Abenteuern sich und die Welt
doch keusch; bald von tropischer Lä
um sich wieder erwacht glaubt, und kühn genug sich
tueller Spannkraft beherrscht.
fühlt, „mit dem Leben zu dichten“.?
organisch gewachsener Wirklichkeit. C
Auch die Herausgabe der gesammelten Werke
Traurig gibt hier eine Frau düster verneinende
besessen, verlassen. Vier Jahre sind
Artur Schnitzlers*) ist eine Maiblüte. Sie zer¬
Antwort. Keine zeitbegrenzte, keine auf die jetzige Ent¬
Schmerz, die schreiende Sehnsucht
fällt in zwei Abteilungen. Drei Bände sind den erzählen¬
wicklungsstufe beschränkte Antwort. Es ist eine ihr ewig
Eine edle, beinahe heilige Sehnsuch
den, vier Bände den dramatischen Werken gewidmet. Vor¬
und unauslöschlich mit dem Menschentum verbundene
wie eine zweite Jungfrauschaft
säufig ist nur die erste Abteilung erschienen, zwei Novellen¬
trostlose Erkenntnis, die sie in einem Liebesschicksal sym¬
Die zarte, junge Liebe eines
bände und der große Roman „Der Weg ins Freie“
bolisiert. Der Hoffnung der befreiten, der willens¬
erwidert, aber dankbar als erst
lenkenden Seele bringt sie wild leidenschaftliche Ver¬
Die werdenden Menschen, von welchen Friedell uns
nesenden in sich schließt, rankt em
neinung. Niemals wird der Mensch Bestimmer seines
Zeichen zusammengetragen hat, regen sich allenthalben in
der sie geliebt, besessen, verlassen
Selbstwerdens können; niemals war er es. Sklaven sind
den verschleierten Gemälden, die Schnitzler aufleben läßt.
Gedanken an diejenige, die er,
wir; Sklaven werden wir sein.
einmal als sein tägliches Raubrech
Carrière hat seine Menschheit aus solchen Nebelhüllen auf¬
Gerard d'Honville ist das Pseudonym, welches sich
er ihr begegnet und in ihrem We
tauchen lassen. Aus verschwimmendem Hintergrund ein
die Gattin des berühmten französischen Lytikers Henti
Vergessen erspäht, die Rückkehr in
seltsames Lächeln gelockt; einen verschwiegenen Mund,
de Regnier gewählt hat, seitdem sie die Feder führt. Sie
ein brennendes oder erlöschendes Auge. Er hat mit dem
wieder erlangte Gewalt über einen
hätte nicht nötig gehabt, ihr Frauentum zu verbergen.
gewesen, und das keimende Neig
Pinsel solche Seelennot, solche Sehnsucht, solche Angst
Denn gerade ihre Art ist dem geläufigen Typus der
die vielleicht ihr als entfüh
und solch ahnungsvolles Erleben hervorgezaubert, immer
„Romanschriftstellerin“, so entgegen, daß sie der Masken¬
erst da weiß er wieder, was war.
geheimnisvoll ein Letztes verweigernd. Das ist auch das
hilfe entbehren konnte. Konzentrierte Kraft der Gedanken
Frau, die aus seinem Bann gelös
Lebendige, uns so Nahe an diesen erzählenden Geständ¬
und der Schilderung, Plastik der Gestaltung und die Kunst,
erscheint, wird ihm zum „Muß“
nissen Schnitzlers. Es ist dieses „um uns wissen wollen“, das
Milien, Stimmung durch einen nur leisen und penetranten
Stück Seelenbesitz, welches die Fr
als ein Anfang gelten muß. Oder vielmehr schon weitab
Duft sinnlich zu färben, dies sind schöpferische Eigen¬
errungen hat, gibt die dramatisch
von jenem Anfang steht, der als Naturalismus brutal
schaften, deren Wert jenseits von männlich und weiblich
Anschleichen zuerst und Verjagtn
gegen die versumpfte Lebenslüge zuerst Front machte.
liegt. Und wenn vor wenigen Wochen anläßlich der in
und Fliehen. Und schon hat der
Wenn die „objektiven" Feststellungen alle Wesenserscheinung
der Akademie Française vorgenommenen Wahlen Gerard
sprung. Er nistet wieder, wie ein
in Steckbriefe verwandelten, so wurde nur eines damit
d'Honvilles Name als Forderung von Vielen ausge¬
im stillen Freundeskreise ihres Sall
gewonnen: die Methode des Analysierens. Mit diesem
sprochen wurde, so bedeutete dies nicht eine Suffragetten¬
die Fäden der Täglichkeit ihr eng
Werkzeug aber gingen Dichter erst daran, Wahrheit zu
frage von prinzipiellem Frauenrechtlertum, sondern es galt
Hier tauchen in markigen
schürfen die tiefer nur gefaßt werden konnte. Es ist ein
der rein künstlerischen Wertung jener Kräfte, die im Frank¬
nistischen Strichen die wenigen G
Anderes, den Menschen in seiner Zeit zu erkennen als
reich von heute dem Roman und der Novelle ihren ethisch¬
*)
ästhetischen Ausdruck zu geben vermögen. Wenn auch nicht
Gerard d'Honville,
als letztes ihrer Werke, so doch als ihr Reifstes und Er= Levy Editeur.
*) S. Fischer, Verlag Berlin, 1912.