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7. Gesannelte Nerke
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früheren Romane bei S. Fischer) hat zum Schau¬
M Nachdruck vexboten. gibt und in einer großen, ergriffenen Mystik des
durchbrechenden Gefühls versiummt. Die „Dämmer¬
platz den Ostseestrand. Der Maler Hans Grill
seelen“ — Paradox und Geheimnis, die Waldroman¬
und Doxalice, geschiedene Gräfin Köhne=Jasky, die
tik der „Weissagung", die schmerzliche, visionäre
nach Stürmen der Leidenschaft sich in London haben
TIi. 9/2. Erzähler. 0. NV.
Entrücktheit der „Fremden“, das gespenstische Schle¬
trauen lassen, verbringen in der Einsamkeit des
Novellen und Romane Schnitzlers, des fünf¬
mihlium des „Freiherrn von Leisenbogh“ — und die
Fischerdorfes Wochen eines von Schatten der Erinne¬
zigjährigen (Berlin, S. Fände der Ge¬
in der Goetheschen Zeitlosigkeit der „Hirlenflöte“
rung beunruhigten Glücks. Stark und schwer ist
sammelten Werke). Ein helldunkles Reich, Menschen¬
erstarrenden, in Lebensferne verblassenden „Masten
der Mann, verwöhnt die hellblonde, schlanke Frau
studien mit der Bangigkeit der Elegie, Traumhast¬
und Wunder". Zwei Romane: „Frau Bertha Gar¬
die noch immer im Halbtraum den tadelnden Bl
Unwirkliches, von überlegenem Geist ersonnen.
lan“, eine bürgerlich=sentimentale und allzu langsame
des Grofen zu spüren meint, seine Schritte durch
„Sterben“: ein Aufschluchzen, ein verborgener
Wiener Bovary, und der mit der Judenfrage be¬
den Salon der Dresdner Gesandtschaft knarren hört
Kampf gegen das Unabwendbare, ein gedämpftes und
schwerte „Weg ins Freie“, dessen edle, doktrinäre
und in ihre wohlig schlaffe Vornehmheit sich zurück¬
verschleiertes Grauen. Klinische Schilderungen, so Absicht doch zurückstehen muß gegen den Roman des
sehnt. Die Familie des Herrn von Buttlär nimmt
exakt wie die Novellistik der jüngeren Franzosen,
nichtjüdischen Liebespaares Georg und Anna und
am Strand Logis, und auf alle ihre jüngeren Mit¬
und dabei umzittert von weichem, lyrischem Dust.
seine gchaltene Melancholie.
glieder wirkt der nicht mehr ganz korrekte und um
Sommerabende im Augarten und im Prater, Som¬
„Wellen“ von Eduard Grafen Keyser¬
so gefährlichere Reiz Doralicens. Bis der Bräuti¬
mernächte im Gebirge, in Salzburg, und jene letzte,
ling, dem Münchner Dichter aus Kurland, der in
gam der kleinen Lo, der kleine Leutnant Hilmar, in
mondbeglänzte Herbstnacht über den graublauen
der „Dritten Stiege“ naturalistischer Romancier
das Feuer flatiert, mit heißen Worten in der engen
Bergen von Meran. Nur Vornamen wie in der
war, im Schauspiel „Ein Frühlingsopfer“ ein bal¬
Fischerstube Doralice an sich zieht und Lo, eine
Heysczeit: Felix, Marie und Alfred. Das Werk eines
tischer Gerhart Hauptmann und nun, von „Beate
Märtyrerin ihres Opfermuts, in das nächtliche
dreißigjährigen Dichters, mit dem erst wieder aufer= und Mareile“ an, seine zarlen, mit dem Auge des
Meer hinausschwimmt, um so zu sterben. Sie wird
stand, was in der gewollten Kunstlosigkeit des Ber=Malers gesehenen, erotischen Aristokratengeschichten
gerettet. Jäh verstört flüchtet Doralice wieder zu
liner Realismus verderbt schien, Sprache und Form
schreibt. Immer haben sie, bis auf den von Schnee
Grill. Schon scheinen sic sich auf die Dauer zu
der Erzählung. Dann, 1898, die Novelletten „Die
leuchtenden Winterroman „Dumala“, den reifen
finden, da ertrinkt der Maler nachts beim Fisch¬
Frau des Weisen“ typisierend in der Art von Mau¬
Geruch sommerlicher Obsigärten, immer sind sie voll
fang. Ein skurriles und boshaftes Männchen, der
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passant und von Schnitzlers kleinen Ehedramen, doch Müdigkeit, und immer schwält unter der mit Fon¬
Geheimrat Knospelius, bietet der Witwe tröstend
mit unvergeßlichen Stimmungen der Lebensangst taneschem Sarkasmus gezeichneten Welt der stolzen
als selbstloser Gefährte sich an. Die Pastellmanier
(Albert, der sich zum Lager der verstorbenen Ge= Eleganz die rote Flamme. Sparsam sind Keyser¬
Keyserlings ist in diesem Miniaturroman so ver¬
liebten geschlichen hat und im flimmernden Kerzen= lings Motive: in „Beate und Mareile“ und in
führerisch wie jemals, und der traurig=süßen Wirr¬
licht wähnt, daß ein höhnisches Lächeln um ihre
„Harmonie“ die Untreue des Mannes an einer
nis des Daseins ist er so innig hingegeben wie nur
Lippen spiele, oder in „Die Toten schweigen“ Frau
ätherischen, lühlen Gattin, in der „Liebeserfahrung“
in seinen Meisterwerken: „Bunte Herzen“ und
Emmas gehetzte Flucht von der Reichsbrücke hinein
und in „Dumala“ der Ehebruch der Frau, die mit
„Schwüle Tage“
in die Stadt). Die tragische Affäre des „Leutnants dem brutalen Dritien durchgeht. Aber niemand unter
Jakob Wassermanns Roman „Caspar
Gustl“, die bis auf den Grund des armen Menschen¬
den deutschen Erzählern hat diese almende Sinnlich¬
Hauser oder die Trägheit des Herzens“ (in neuer
wesens dringt, ein Selbstgespräch im Fieber, aus¬
keit diese Bildtechnik: Mareile, die Sängerin, im
Ausgabe bei S. Fischer), mit den „Buddenbrooks“
gehend in bizarre Alltagsironie. Die „Griechische
Rosaschein des Liebespavillons, die stille, weiße
von Thomas Mann das wuchtigste Epos neuer Lite¬
Tänzerin“ mit der Novelle vom blinden Geronimo Frau Annemarie, die lautlos sich in den grünen
ratur. Hier hat die gern im Gestaltlosen schwei¬
und seinem Bruder Carlo, die der frechen Laune des Teich wirft, die nächtliche Abscheulichkeit des Juden=fende, brütende Art des Dichters der „Renate Fuchs“
Ungéfähr die Macht eines gnadenlosen Schicksals krugs in den „Bunten Herzen“. „Weilen“ swie die leinen jener Stoffe gefunden, an denen sie sich dis¬
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früheren Romane bei S. Fischer) hat zum Schau¬
M Nachdruck vexboten. gibt und in einer großen, ergriffenen Mystik des
durchbrechenden Gefühls versiummt. Die „Dämmer¬
platz den Ostseestrand. Der Maler Hans Grill
seelen“ — Paradox und Geheimnis, die Waldroman¬
und Doxalice, geschiedene Gräfin Köhne=Jasky, die
tik der „Weissagung", die schmerzliche, visionäre
nach Stürmen der Leidenschaft sich in London haben
TIi. 9/2. Erzähler. 0. NV.
Entrücktheit der „Fremden“, das gespenstische Schle¬
trauen lassen, verbringen in der Einsamkeit des
Novellen und Romane Schnitzlers, des fünf¬
mihlium des „Freiherrn von Leisenbogh“ — und die
Fischerdorfes Wochen eines von Schatten der Erinne¬
zigjährigen (Berlin, S. Fände der Ge¬
in der Goetheschen Zeitlosigkeit der „Hirlenflöte“
rung beunruhigten Glücks. Stark und schwer ist
sammelten Werke). Ein helldunkles Reich, Menschen¬
erstarrenden, in Lebensferne verblassenden „Masten
der Mann, verwöhnt die hellblonde, schlanke Frau
studien mit der Bangigkeit der Elegie, Traumhast¬
und Wunder". Zwei Romane: „Frau Bertha Gar¬
die noch immer im Halbtraum den tadelnden Bl
Unwirkliches, von überlegenem Geist ersonnen.
lan“, eine bürgerlich=sentimentale und allzu langsame
des Grofen zu spüren meint, seine Schritte durch
„Sterben“: ein Aufschluchzen, ein verborgener
Wiener Bovary, und der mit der Judenfrage be¬
den Salon der Dresdner Gesandtschaft knarren hört
Kampf gegen das Unabwendbare, ein gedämpftes und
schwerte „Weg ins Freie“, dessen edle, doktrinäre
und in ihre wohlig schlaffe Vornehmheit sich zurück¬
verschleiertes Grauen. Klinische Schilderungen, so Absicht doch zurückstehen muß gegen den Roman des
sehnt. Die Familie des Herrn von Buttlär nimmt
exakt wie die Novellistik der jüngeren Franzosen,
nichtjüdischen Liebespaares Georg und Anna und
am Strand Logis, und auf alle ihre jüngeren Mit¬
und dabei umzittert von weichem, lyrischem Dust.
seine gchaltene Melancholie.
glieder wirkt der nicht mehr ganz korrekte und um
Sommerabende im Augarten und im Prater, Som¬
„Wellen“ von Eduard Grafen Keyser¬
so gefährlichere Reiz Doralicens. Bis der Bräuti¬
mernächte im Gebirge, in Salzburg, und jene letzte,
ling, dem Münchner Dichter aus Kurland, der in
gam der kleinen Lo, der kleine Leutnant Hilmar, in
mondbeglänzte Herbstnacht über den graublauen
der „Dritten Stiege“ naturalistischer Romancier
das Feuer flatiert, mit heißen Worten in der engen
Bergen von Meran. Nur Vornamen wie in der
war, im Schauspiel „Ein Frühlingsopfer“ ein bal¬
Fischerstube Doralice an sich zieht und Lo, eine
Heysczeit: Felix, Marie und Alfred. Das Werk eines
tischer Gerhart Hauptmann und nun, von „Beate
Märtyrerin ihres Opfermuts, in das nächtliche
dreißigjährigen Dichters, mit dem erst wieder aufer= und Mareile“ an, seine zarlen, mit dem Auge des
Meer hinausschwimmt, um so zu sterben. Sie wird
stand, was in der gewollten Kunstlosigkeit des Ber=Malers gesehenen, erotischen Aristokratengeschichten
gerettet. Jäh verstört flüchtet Doralice wieder zu
liner Realismus verderbt schien, Sprache und Form
schreibt. Immer haben sie, bis auf den von Schnee
Grill. Schon scheinen sic sich auf die Dauer zu
der Erzählung. Dann, 1898, die Novelletten „Die
leuchtenden Winterroman „Dumala“, den reifen
finden, da ertrinkt der Maler nachts beim Fisch¬
Frau des Weisen“ typisierend in der Art von Mau¬
Geruch sommerlicher Obsigärten, immer sind sie voll
fang. Ein skurriles und boshaftes Männchen, der
65
passant und von Schnitzlers kleinen Ehedramen, doch Müdigkeit, und immer schwält unter der mit Fon¬
Geheimrat Knospelius, bietet der Witwe tröstend
mit unvergeßlichen Stimmungen der Lebensangst taneschem Sarkasmus gezeichneten Welt der stolzen
als selbstloser Gefährte sich an. Die Pastellmanier
(Albert, der sich zum Lager der verstorbenen Ge= Eleganz die rote Flamme. Sparsam sind Keyser¬
Keyserlings ist in diesem Miniaturroman so ver¬
liebten geschlichen hat und im flimmernden Kerzen= lings Motive: in „Beate und Mareile“ und in
führerisch wie jemals, und der traurig=süßen Wirr¬
licht wähnt, daß ein höhnisches Lächeln um ihre
„Harmonie“ die Untreue des Mannes an einer
nis des Daseins ist er so innig hingegeben wie nur
Lippen spiele, oder in „Die Toten schweigen“ Frau
ätherischen, lühlen Gattin, in der „Liebeserfahrung“
in seinen Meisterwerken: „Bunte Herzen“ und
Emmas gehetzte Flucht von der Reichsbrücke hinein
und in „Dumala“ der Ehebruch der Frau, die mit
„Schwüle Tage“
in die Stadt). Die tragische Affäre des „Leutnants dem brutalen Dritien durchgeht. Aber niemand unter
Jakob Wassermanns Roman „Caspar
Gustl“, die bis auf den Grund des armen Menschen¬
den deutschen Erzählern hat diese almende Sinnlich¬
Hauser oder die Trägheit des Herzens“ (in neuer
wesens dringt, ein Selbstgespräch im Fieber, aus¬
keit diese Bildtechnik: Mareile, die Sängerin, im
Ausgabe bei S. Fischer), mit den „Buddenbrooks“
gehend in bizarre Alltagsironie. Die „Griechische
Rosaschein des Liebespavillons, die stille, weiße
von Thomas Mann das wuchtigste Epos neuer Lite¬
Tänzerin“ mit der Novelle vom blinden Geronimo Frau Annemarie, die lautlos sich in den grünen
ratur. Hier hat die gern im Gestaltlosen schwei¬
und seinem Bruder Carlo, die der frechen Laune des Teich wirft, die nächtliche Abscheulichkeit des Juden=fende, brütende Art des Dichters der „Renate Fuchs“
Ungéfähr die Macht eines gnadenlosen Schicksals krugs in den „Bunten Herzen“. „Weilen“ swie die leinen jener Stoffe gefunden, an denen sie sich dis¬
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