VI, Allgemeine Besprechungen 1, Emil Schäffer Arthur Schnitzler, Seite 4

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Panphlets0-fbrints
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Schaeffer.
dies Geständnis toll machen muß, daß du mit einem Male diese ganze
schlummernde Vergangenheit wieder aufgestört hast! . . . Ja, nun weiß
ich's wieder, daß du noch von anderen Küssen träumen kannst als von
den meinen, und wenn du deine Augen in meinen Armen schließest,
steht vielleicht ein anderes Bild vor ihnen als das meine!“ dieser
Gedanke ist der Keim, und die schöne Frucht, die er trieb, heißt „das
Märchen.“
Fedor Denner, der Künstler, will das Märchen von den Gefallenen
aus der Welt schaffen, und an sich selbst, an dem Weibe, von dem er
nicht lassen kann, und das ihn anbetet, muß er lernen, daß wir trotz
des ehrlichsten Wollens und der glänzendsten Sophistik über das Ver¬
gangene im Leben der Geliebten nicht hinwegkommen, und daß im
Wonnemeer des Heute die Erinnerung an das Gestern nicht ertrinken
kann. „Es giebt keinen Kuß, keusch genug — und keine Umarmung,
glühend genug, und keine Liebe, ewig genug, um die alte Liebe aus¬
zulöschen. Was war, ist! — das ist der tiefe Sinn des Geschehenen.“
Diese harte Erkenntnis leiht ihm Kraft, von ihr zu gehen, und das
Schauspiel schließt mit Fannys entsetzlichem Aufschrei: „Und auf
immer muß ich verloren sein? Und man darf mich verlassen wie
eine
Daß unseres Handelns Ende dasselbe ist wie bei den „andern,“
daß wir, freilich auf andern Wegen, zum selben Ziel gelangen, das ist
die wintertraurige Moral dieses Dramas. Der Philister verläßt die,
bei der ein anderer das Weib erweckt, weil er das schmutzige Lachen
der Menge fürchtet, und der vornehme Mensch, weil ihm der süßeste
Liebestrank durch die Erinnerung an den zum Ekel wird, dessen Lippen
vor seinen den Becher berührten. Im Grunde ist's dasselbe, und Fedo:
Denner, der im ersten Akte das Märchen von den Gefallenen dumm
und grausam schalt, er findel im letzten: „es giebt noch ein tausend¬
fach lügenhafteres und heimtckischeres Märchen, — das von den
Erhobenen.“
Diese Sätze bilden den Anfang und das Ende eines langen Passions¬
weges, den Fedor Denner schreiten mußte, und mit großartiger Meister¬
schaft hat Schnitzler, (um im Bilde zu bleiben), die einzelnen Stationen
festgehalten. Solange Fedor nur Zuschauer ist bei der Lebenskomödie,
predigt er leuchtende Worte für das gequälte Opfer auf der Bühne, der
Unterschied selbst zwischen der Sünde aus Größe und der aus Leichtsinn
deucht ihm gering. Aber wie das Mädchen, das er liebt, ihm den Dank
für seine glühenden Sätze auf die Hand küssen will, — da zuckt er