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box 36/1
Panphlets offorints
28
Schaeffer.
Menschen von Fleisch und Blut, voll des individuellsten Lebens und
doch dabei als Typen wirkend, wie es das Drama erheischt.
„Das Märchen“ ist im deutschen Volkstheater zu Wien gröblich
ausgezischt worden, im selben Hause, wo man über Ibsens „Wildente“
lachte. Diese Blamage hat das Burgtheater unlängst wett gemacht.
Vielleicht wird an dieser Stätte auch noch einmal das Unrecht gesühnt,
das die Wiener damals an dem besten Dramatiker des jungen Österreich
begangen.
Hatte man bisher nur in den Litteraturcafés mit Respekt von
Arthur Schnitzler gesprochen, so brachte ihm sein zweites Drama
„Liebelei“ nun auch den Beifall der Menge. Sein Bild kam zu den
Photographen, wenn er über die Straße ging, zeigte man mit achtungs¬
vollen Fingern auf ihn, eine Wiener Zeitung nannte sich sogar nach
seinem Drama — kurz. Arthur Schnitzler war über Nacht ein berühmter
Mann geworden. Liebelei hat einen so starken Bühnenerfolg errungen,
weil dies Schauspiel im Tempo und in der Sprache dem „Märchen“
weit überlegen ist; Schnitzler hat die Beherrschung der Bühnentechnik
gelernt. Die Gesellschaftsscenen im „Märchen“ schleppen ein bißchen;
es bilden sich Gruppen; aber während die eine Konversation macht, stehen
die anderen herum und wissen nicht, was thun, — sie sind tote Punkte.
Die Worte tanzen nicht von einer Gruppe zur andern, sondern sie
schreiten. Man vergleiche daraufhin den ersten Akt des Märchens mit
dem ersten der Liebelei. Dort vier Vierteitait, Andante pesante,
hier drei Vierteltakt, Allegro con brio. Dasselbe ist's mit der Sprache.
Es wird im Märchen bisweilen noch allzu „schön“ gesprochen, namentlich
an Fannys Sätzen hängt es manchmal wie Duft von Schminke und
Theater. In Liebelei ist dies anders. Schnitzler ist wieder König über
das Wort wie in Anatol; an keiner Stelle läßt er sich von wirbligem
Pathos fortreißen. Im Gegenteil; er meidet geflissentlich die bunten
und funkelnden Worte und hält sich an die Sprache des Alltags; aber
wenn einer ein Dichter ist, ein wirklicher, so wandelt sich unter seiner
Midashand der abgeschliffene Kieselstein ins gleißend Gold, und die
gemeinen Worte, die wir in jeder Stunde hören, sie wirken wie zarte
Gedichte; so scheint der farblose Wassertropfen sim Sonnenglanz ein
köstlicher Diamant.
Liebelei bedeutet hauptsächlich in technischer Hinsicht eine Entwickelung
Schnitzlers. Was den Inhalt angeht, (ich darf seine Kenntnis wohl
voraussetzen), so könnte dies Drama noch im Anatol stehen. Fritz=Anatol,
Theodor=Max; Fritz empfindet, Theodor genießt; es sind dieselben Kontraste:
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Panphlets offorints
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Schaeffer.
Menschen von Fleisch und Blut, voll des individuellsten Lebens und
doch dabei als Typen wirkend, wie es das Drama erheischt.
„Das Märchen“ ist im deutschen Volkstheater zu Wien gröblich
ausgezischt worden, im selben Hause, wo man über Ibsens „Wildente“
lachte. Diese Blamage hat das Burgtheater unlängst wett gemacht.
Vielleicht wird an dieser Stätte auch noch einmal das Unrecht gesühnt,
das die Wiener damals an dem besten Dramatiker des jungen Österreich
begangen.
Hatte man bisher nur in den Litteraturcafés mit Respekt von
Arthur Schnitzler gesprochen, so brachte ihm sein zweites Drama
„Liebelei“ nun auch den Beifall der Menge. Sein Bild kam zu den
Photographen, wenn er über die Straße ging, zeigte man mit achtungs¬
vollen Fingern auf ihn, eine Wiener Zeitung nannte sich sogar nach
seinem Drama — kurz. Arthur Schnitzler war über Nacht ein berühmter
Mann geworden. Liebelei hat einen so starken Bühnenerfolg errungen,
weil dies Schauspiel im Tempo und in der Sprache dem „Märchen“
weit überlegen ist; Schnitzler hat die Beherrschung der Bühnentechnik
gelernt. Die Gesellschaftsscenen im „Märchen“ schleppen ein bißchen;
es bilden sich Gruppen; aber während die eine Konversation macht, stehen
die anderen herum und wissen nicht, was thun, — sie sind tote Punkte.
Die Worte tanzen nicht von einer Gruppe zur andern, sondern sie
schreiten. Man vergleiche daraufhin den ersten Akt des Märchens mit
dem ersten der Liebelei. Dort vier Vierteitait, Andante pesante,
hier drei Vierteltakt, Allegro con brio. Dasselbe ist's mit der Sprache.
Es wird im Märchen bisweilen noch allzu „schön“ gesprochen, namentlich
an Fannys Sätzen hängt es manchmal wie Duft von Schminke und
Theater. In Liebelei ist dies anders. Schnitzler ist wieder König über
das Wort wie in Anatol; an keiner Stelle läßt er sich von wirbligem
Pathos fortreißen. Im Gegenteil; er meidet geflissentlich die bunten
und funkelnden Worte und hält sich an die Sprache des Alltags; aber
wenn einer ein Dichter ist, ein wirklicher, so wandelt sich unter seiner
Midashand der abgeschliffene Kieselstein ins gleißend Gold, und die
gemeinen Worte, die wir in jeder Stunde hören, sie wirken wie zarte
Gedichte; so scheint der farblose Wassertropfen sim Sonnenglanz ein
köstlicher Diamant.
Liebelei bedeutet hauptsächlich in technischer Hinsicht eine Entwickelung
Schnitzlers. Was den Inhalt angeht, (ich darf seine Kenntnis wohl
voraussetzen), so könnte dies Drama noch im Anatol stehen. Fritz=Anatol,
Theodor=Max; Fritz empfindet, Theodor genießt; es sind dieselben Kontraste: