—
box 36/1
Panphlets offorints
Arthur Schnitzler.
29
reale und künstliche Welt, diesmal noch geschärft, weil sie auch in den
Frauengestalten einander gegenübertreten. Mizi und Theodor grübeln
nicht allzu viel über das Wesen ihrer Liebe, sie machen Landpartieen,
küssen sich, und finden sie einander langweilig, so werden sie sich lächelnd
die Hand schütteln: Servus, laß dir's gut gehn . .. Ganz anders ge¬
artet ist das Verhältnis von Fritz zu Christine. Auch hier macht, (wie
im Märchen), nur der Mann eine Entwickelung durch, — von der
Liebelei zur Liebe. Er wollte in Christinens Armen eigentlich nur
ausruhen von der großen Leidenschaft, von einer anderen sich erholen,
und wie er mählich zu erinnen beginnt, daß er in Christine ja seine
— de
tiefste Sehnsucht küsse, daß ihm ein helles Glück erblühen soll,
muß er sich für eine fast überwundene Vergangenheit über den Haufen
schießen lassen. Christine, neben Halbes Annchen wohl die rührendste
Mädchengestalt, welche die moderne Kunst geschaffen, in ihr vollzieht
sich keine Wandlung, sie ist das ganze Stück hindurch nur Liebe, alles
opfernde, hingebende Liebe. Der furchtbare Gedanke hetzt sie in den
Tod: „Ich bin ihm nichts gewesen als ein Zeitvertreib — und für
eine andere ist er gestorben —! Und ich hab' ihn angebetet!" Die
Tragik ihres Endes besteht darin, daß auch sie um einer begrabenen
Vergangenheit willen stirbt und nicht ahnt, daß sie kein Zeitverreib
mehr für Fritz gewesen ..
Was ich am meisten an dieser herb=süßen Tragödie liebe, das ist
ihre wehmütige Moral. Einen Augenblick wenigstens, fordert Christinens
Vater, soll für so ein junges, blühendes Geschöpf die Sonne der Schön¬
heit und des Rausches strahlen; — und wenn sie dann auch verglüht,
ein bleicher Abglanz, die Erinnerung, erhellt doch den öden Pfad, den
das arme Mädel an der Seite eines anständigen Menschen mit fixer
Anstellung dann schreiten muß. „Und was hat denn so ein Geschöpf
schließlich von ihrer ganzen Bravheit, wenn schon nach jahrelangem
Warten — richtig der Strumpfwirker kommt.“ Das ist eine seltsame
Synthesis von trauriger Liebe und schmerzlicher Ironie: der Herbst
überkommener Moralbegriffe.
Schnitzlers letztes Drama „Freiwild“*) darf man als Thesenstück
bezeichnen. Ein Oberlieutenant wird von einem Civilisten geohrfeigt,
weil er eine Schauspielerin „Theatermensch“ genannt. Der Civilist
erklärt, er habe einen Buben gezüchtigt, und verweigert jede Art von
*) Das Schauspiel liegt in Buchform noch nicht vor, ich muß auf das Eingehen
in Details darum verzichten.
box 36/1
Panphlets offorints
Arthur Schnitzler.
29
reale und künstliche Welt, diesmal noch geschärft, weil sie auch in den
Frauengestalten einander gegenübertreten. Mizi und Theodor grübeln
nicht allzu viel über das Wesen ihrer Liebe, sie machen Landpartieen,
küssen sich, und finden sie einander langweilig, so werden sie sich lächelnd
die Hand schütteln: Servus, laß dir's gut gehn . .. Ganz anders ge¬
artet ist das Verhältnis von Fritz zu Christine. Auch hier macht, (wie
im Märchen), nur der Mann eine Entwickelung durch, — von der
Liebelei zur Liebe. Er wollte in Christinens Armen eigentlich nur
ausruhen von der großen Leidenschaft, von einer anderen sich erholen,
und wie er mählich zu erinnen beginnt, daß er in Christine ja seine
— de
tiefste Sehnsucht küsse, daß ihm ein helles Glück erblühen soll,
muß er sich für eine fast überwundene Vergangenheit über den Haufen
schießen lassen. Christine, neben Halbes Annchen wohl die rührendste
Mädchengestalt, welche die moderne Kunst geschaffen, in ihr vollzieht
sich keine Wandlung, sie ist das ganze Stück hindurch nur Liebe, alles
opfernde, hingebende Liebe. Der furchtbare Gedanke hetzt sie in den
Tod: „Ich bin ihm nichts gewesen als ein Zeitvertreib — und für
eine andere ist er gestorben —! Und ich hab' ihn angebetet!" Die
Tragik ihres Endes besteht darin, daß auch sie um einer begrabenen
Vergangenheit willen stirbt und nicht ahnt, daß sie kein Zeitverreib
mehr für Fritz gewesen ..
Was ich am meisten an dieser herb=süßen Tragödie liebe, das ist
ihre wehmütige Moral. Einen Augenblick wenigstens, fordert Christinens
Vater, soll für so ein junges, blühendes Geschöpf die Sonne der Schön¬
heit und des Rausches strahlen; — und wenn sie dann auch verglüht,
ein bleicher Abglanz, die Erinnerung, erhellt doch den öden Pfad, den
das arme Mädel an der Seite eines anständigen Menschen mit fixer
Anstellung dann schreiten muß. „Und was hat denn so ein Geschöpf
schließlich von ihrer ganzen Bravheit, wenn schon nach jahrelangem
Warten — richtig der Strumpfwirker kommt.“ Das ist eine seltsame
Synthesis von trauriger Liebe und schmerzlicher Ironie: der Herbst
überkommener Moralbegriffe.
Schnitzlers letztes Drama „Freiwild“*) darf man als Thesenstück
bezeichnen. Ein Oberlieutenant wird von einem Civilisten geohrfeigt,
weil er eine Schauspielerin „Theatermensch“ genannt. Der Civilist
erklärt, er habe einen Buben gezüchtigt, und verweigert jede Art von
*) Das Schauspiel liegt in Buchform noch nicht vor, ich muß auf das Eingehen
in Details darum verzichten.