VI, Allgemeine Besprechungen 1, Emil Schäffer Arthur Schnitzler, Seite 7

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Panphlets offprints
Arthur Schnitzler.
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und subtilsten Stimmungen zu bannen, in dieser Kunst, die ebensoviel
zärtlicher Liebe wie erbarmungsloser Grausamkeit bedarf, auch in ihr
ist Arthur Schnitzler Meister.
In seiner größten Novelle „Sterben“ tritt die äußere Handlung
ganz zurück. La vie intérieure ist alles. Ein Arzt hat dies Buch ge¬
dichtet, aber einer von denen, die mehr können, als den Puls fühlen und
ein Rezept verschreiben. Schnitzler versteht sich auch auf die psychische
Diagnose, und gleich vortrefflich weiß er in den Seelen der Kranken
wie der Gesunden zu lesen. Kein Abgrund ist so dunkel und schaurig,
daß er mit hartem, forschendem Blick ihn nicht zu durchspähen vermöchte,
keine Stimmung andrerseits so heimlich und zart, daß er ihre leisesten
Nuancen nicht in seine liebevolle, schlichte Sprache umsetzen könnte.
Wie unsere prunkendsten Gefühle, unsere ehrlichsten Posen dahinsiechen,
wie feig wir werden, wie brutal und erbärmlich, wenn wir sterben
sollen, wie wir in wahnsinniger Angst uns ans Leben klammern, -
das zeigt dies traurige Buch .
.. Der Professor eröffnet Felix, daß
er vor Jahresfrist sein Ende erwarten müsse. Felix sagt dies Marie,
und sie schwört, mit ihm zu sterben; aber unter keiner Bedingung will
er dies größte aller Liebesopfer annehmen. Das war, da er sich noch
stark fühlte, und der Tod beiden nur ein hohler, schreckender Schall
deuchte. Er wird krank, immer kränker näher und näher tritt
der Tod seinem Lager. Er will nicht mehr allein sterben und beruft
sich auf Maries Schwur. Welches Recht hat sie ans Leben, wenn sein,
des Geliebten Ende sgekommen? . .. Aber je kränker er wird, desto
mehr schwindet für Marie die Schönheit des Todes; nur das häßliche
Kranksein schaut sie noch, das langsame Faulen, und es packt sie brennende
Sehnsucht nach Blühendem, Lebendigem. Gewiß, sie liebt ihn und wird
ausharren bis zu seinem letzten Atemzug; aber warum soll sie sterben,
so schön und jung, wenn das Leben noch lächelnd winkt? Und wie es
so weit ist, entflieht sie dem Sterbezimmer
* „
Man sieht, keine äußere Handlung, aber eine Fülle von seelischen
Ereignissen. Wie ein und derselbe Vorgang anders wirkt auf den
Kranken als auf die Gesunde, den mählich sich weitenden Abgrund, der
zwischen beider Empfinden klafft, wie beide ihn fühlen und vergeblich
zu überbrücken streben, — das ist geschildert mit einer Kunst der
Analyse, die oft ans Unheimliche streift. Ich darf leider nicht alles
citieren, was ich möchte, aber man halte einmal diese beiden Stellen
nebeneinander.
In anderen Momenten aber, ganz besonders nachts, wenn
—.—