VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 3


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Dramatische Rundschau
Von
Friedrich Düsel
ichts tritt im Gepräge unserer modernen zu versinken und darüber den Gang der Haupt¬
Literatur deutlicher hervor als der Drang handlung zu vergessen. In der Natur des deut¬
AZunserer Dichter und Schriftsteller zum
schen Menschen seien Eigenschaften, die den cha¬
Drama und Theater. Das ist mittlerweile ein
rakteristischen Eigentümlichkeiten des Dramatikers
so festgewurzelter Glaubenssatz geworden, daß es
widersprechen: er ist nachdenklich beschaulich statt
fast wie ein Frevel erscheint, auch nur den leise¬
impulsiv temperamentvoll; je tieser seine Emp¬
sten Zweifel daran zu äußern. Trotzdem wird,
findung, um so lebhafter ist sein Bedürfnis, sie
wer näher zusieht, die äußerlich unbestreitbare
stumm in sich zu verbergen, während es für den
Tatsache ihrem inneren Wahrheitsgehalt nach
Dramatiker eine Lebensbedingung, sie laut von
einschränken müssen. Schriftsteller mag es
sich zu geben. „Der Deutsche dichtet in sich
heute mehr denn genug geben, die, den Theater
hinein, der Dramatiker aus sich heraus.“
einmal verfallen, dem Theater auch treu bleiben
Und trotz alledem dieser Drang der Deutschen
und ihre dramatischen Gaben, seien sie nun an¬
zum Drama und Theater! Vergebens sucht Wil¬
geboren oder anerzogen, für die Bühne und ihre
denbruch ihn sich zu erklären. Er fühlt, daß
Forderungen bewußt und konsequent auszubilden
weder äußerliche Gründe, wie die raschere und
wissen. Ja, wir haben Beispiele — ich erinnere
leichtere Arbeit, die der Dramatiker vor dem
nur an Sudermann —, die uns zeigen, wie ein
Romandichter oder Novellisten voraus hat, oder
Schriftsteller seine Begabung für Roman oder
die Aussicht auf schnelleren und reicheren Lohn,
Novelle, Lyrik oder Epik mit schier gesuchter
noch innere, wie der dem Menschen eingeborene
Grausamkeit in sich abtötet, nur um desto freier
Tantalusfluch, nach unerreichbaren Früchten zu
und ungehemmter der Stimme seines dramati¬
greifen, die merkwürdige Erscheinung erklären.
schen Talentes nachgehen zu können. Bei un¬
Sie läßt sich meiner Meinung nach auch gar nicht
seren Dichtern stellt sich das Bild aber doch
begründen, denn dieser Drang zum Theater, so¬
etwas anders dar.
weit er unsere wirklichen Dichter, nicht bloß un¬
Nicht mit Unrecht hat Ernst von Wildenbruch
sere dramatischen Handwerker angeht, ist eine
kürzlich in einer Betrachtung über die Frage:
Trugerscheinung, eine Phantasmagorie, die sich
„Brauchen wir ein Bayreuth des Schauspiels?“ selbst auflöst, sobald man ihr näher tritt. Man
gegenüber anderen Meinungen hervorgehoben,
blicke die Strecken unserer nationalen Literatur
daß die dramatische Kunst den Deutschen eigent¬
zurück bis zu der klassischen Periode des vorver¬
lich keineswegs angeboren sei, wenigstens so lange
gangenen Jahrhunderts — wo ist der Dichter,
man daran festhalte, daß das Lebensgesetz der
der stetig und folgestreng den dramatischen Nerv
dramatischen Kunst nicht in der charakteristischen
in sich ausgebildet hätte, der der dramatischen
Ausarbeitung der Einzelgestalt, sondern in der Bühne, wie sie ist, allein mit den in ihr selbst
Fabel und in deren architektonischem Aufbau liegenden und von ihr selbst dargebotenen Mit¬
ruhe. Dramatik, führt er aus, und jeder wird
teln gedient hätte, der nicht an irgend einem
fühlen, wie der immer gleich Ehrliche und Mu¬
Punkte seiner Entwickelung, falls sie nicht vor
#tige hier zugleich über sich selbst Gerichtstag hält,
der Zeit abgebrochen wurde, wider den Stachel
Dramatik ist die Kunst der mageren Linie, des
zu lecken versucht und das Theater durch, wie
straffen Umrisses, der symmetrischen Komposition.
er glaubte, höhere, seinem natürlichen Kreise
Unser deutscher Genius dagegen neigt instinktiv
fremde Kunstmittel zu enttheatern gestrebt hätte?
nach der entgegengesetzten Seite, zur breit aus¬
Von Goethe, der mit dem „Götz“ begann und
malenden Stimmung, zur weichen, satten Farbe;
mit dem zweiten „Faust“ schloß, darf ich wohl
er liebt es, im einzelnen berauschenden Moment schweigen. Aber selbst der Dichter des „Tell“
eh
ischen Epik 1
Bogen das
zwischen Dramatik und Lyrik nicht
zu respektieren brauchen. Die M
Oskar Wilde, Wedekind und — Ha
Dichter des „Armen Heinrich“
Bernd“, sind, wenn nicht Beweise,


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