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.Panphlets, Offprin
Hans Benzmann in Berlin. —
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uns vorüber, so bildet sie stets den Hintergrund zu den ernsteren, zu den
fester gezeichneten Charakteren. Die elegante Wiener Gesellschaft, mondaine
Damen, Offiziere, Studenten und Lebemänner mit ihren „Liebeleien“, Schau¬
spielerinnen und „süße Mädln“ der Vorstadt, aber auch Circusdamen,
Cocotten und Dirnen, das ist die begrenzte, „leichtsinnig=melancholische Welt“
dieses Dichters.
Diese schildert er uns namentlich in der Scenenreihe „Anatol“. Das
Werk enthält wohl mit das Früheste, was Schnitzler geschaffen hat. In
diesen kleinen Scenen zeigt er eine frühe Meisterschaft in der Beherrschung
des Dialogs, der dramatischen Technik überhaupt. Wir dürfen diese sieben
Scenen nicht als etwas Organisches auffassen. Dieser Künstler hat eine
Vorliebe für abgeschlossene, runde Compositionen, die in ihrem kleinen, zier¬
lichen Rahmen genau alles das schildern, was der Dichter schildern wollte,
nicht mehr und nicht weniger. So konnte Schnitzler schon früh vollendete
Kunstwerke im Kleinen, meisterhafte Miniaturwerke schaffen. Nachträglich
hat dann der Dichter eine Reihe solcher Perlen auf eine Schnur gezogen.
So entstand „Anatol“. Die Seele des Buches ist der bekannte „leicht¬
sinnige Melancholiker": Anatol. Wir erfahren nicht, wie er sonst heißt und
in welcher Lebensstellung er sich befindet. Er ist für uns nur der Liebhaber.
Die zweite männliche Person, die in den meisten dieser Scenen vorkommt,
ist Max, der Freund. Ebenfalls eine typische Figur Schnitzlers, die auch
in späteren Dramen immer wiederkehrt. Max ist der verständige, maßvolle,
ja kaltherzige, aber immer freundschaftliche Pylades, Anatol der weichherzige,
energielose, schwächliche, phantastische Orest. Jener repräsentirt das Leben,
die reale Welt; dieser die feinfühlige, moderne müde Seele, ein Leben in
Träumen und Illusionen, in Sehnsucht und Melancholie, in aufrichtigen,
augenblicklichen Gefühlsekstasen und in Selbstbetrug und Posen. Beide sind
Repräsentanten einer gewissen Sphäre der heutigen Cultur, Repräsentanten der
Uebercultur, der Decadence, des Scepticismus, und schärfer bezeichnet, des
Marasmus innerhalb unserer Zeit. Die sieben Scenen sind sieben Liebes¬
erlebnisse Anatols. Wir sehen ihn langsam seine Illusionen zerpflücken. Er
analysirt mit grausamer Lust seine Empfindungen. In Allem sieht er die
Lüge; er möchte der Wahrheit ins Gesicht sehen, aber er fürchtet sich vor
ihr. Er möchte sein Mädchen eindringlich fragen, ob sie ihn wirklich liebe,
ob er der einzigste, der erste sei, den sie liebe; er versucht dies einmal, sogar
auf hypnotischem Wege; aber vor der entscheidenden Frage weicht er immer
wieder zurück (rgl. die Scene „Die Frage an das Schicksal“). Aber
dieser Anatol ist eine wunderbare Mischung aus den verschiedenartigsten
Elementen. Ein andermal ist er blasirt, cynisch, gemein, dann zeigt er
die brutale Seite seines Egoismus. Er knüpft Liebesverhältnisse mit ver¬
heiratheten Frauen an (vgl. die Scene „Weihnachtseinkäufe“) und mit
unverdorbenen Mädchen. Diese letzteren hat Anatol auf der Vorstadt entdeckt.
Sie sind die bekannten „süßen Mädln“. In dieser Liebe findet er noch ein
— Arthur Schnit
letztes blasses Glück. In der Darstellung dies
liebenswürdigsten Züge des Dichters. Mit
uns diese schlichten Mädchen des Volkes,
zu schildern. Anatol liebt sie mit der ganzef
Seele, und sie lieben ihn mit ihrer ganzen
ihrem kleinen Zimmer draußen auf der Vor
mit den paar alten schlechten, verblaßten
töpfen am Fenster und mit der Aussicht a
Dächer und Rauchfänge. Doch hören wir
sein Stück einer verheiratheten Freundin:
Gabriele:
sie wartet wohl sch
Anatol: Gewiß!
Gabriele: Sie wartet!? — Sagen Sie
Anatol: Ach — wie man eben empfär
Gabriele: Sie hört Ihre Schritte auf
Anatol: Ja . .. zuweilen.
Gabriele: Und steht bei der Thür?
Anatol: Jal
Gabriele: Und fällt Ihnen um den 54
sagt
... Was sagt sie denn?
*
Anatol: Was man eben in solchen Fäll
Gabriele: Nun — zum Beispiel?
Anatol: Ich weiß kein Beispiell
Gabriele: Was sagte sie gestern?
Anatol: Ach — nichts Besonderes.
man nicht den Don der Stimme dazu hörtl.
Gabriele: Ich will ihn mir schon dat
sagte sie?
Anatol: „. . . Ich bin so froh, daß ich
Gabriele: „Ich bin so froh“ — wie?l
Anatol: „Daß ich Dich wieder hab'!“.
Gabriele: Das ist eigentlich hübsch —
Anatol: Ja . . . es ist herzlich und wa
Gabriele: Und sie ist . . . immer alleh
ungestört sehen!? —
Anatol: Nun ja — sie lebt so für sich —
keinen Vater, keine Mutter.
nicht einmal
Gabriele: Und Sie
sind Ihr Alle
Anatol: . .. Möglich ... Heute
Dieses „süße Mädl“ eine Lieblingsgestalt
wie die beiden männlichen Charaktere, der Liebha
die verheirathete Frau in den Werken Schnitzl
Ase
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Hans Benzmann in Berlin. —
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uns vorüber, so bildet sie stets den Hintergrund zu den ernsteren, zu den
fester gezeichneten Charakteren. Die elegante Wiener Gesellschaft, mondaine
Damen, Offiziere, Studenten und Lebemänner mit ihren „Liebeleien“, Schau¬
spielerinnen und „süße Mädln“ der Vorstadt, aber auch Circusdamen,
Cocotten und Dirnen, das ist die begrenzte, „leichtsinnig=melancholische Welt“
dieses Dichters.
Diese schildert er uns namentlich in der Scenenreihe „Anatol“. Das
Werk enthält wohl mit das Früheste, was Schnitzler geschaffen hat. In
diesen kleinen Scenen zeigt er eine frühe Meisterschaft in der Beherrschung
des Dialogs, der dramatischen Technik überhaupt. Wir dürfen diese sieben
Scenen nicht als etwas Organisches auffassen. Dieser Künstler hat eine
Vorliebe für abgeschlossene, runde Compositionen, die in ihrem kleinen, zier¬
lichen Rahmen genau alles das schildern, was der Dichter schildern wollte,
nicht mehr und nicht weniger. So konnte Schnitzler schon früh vollendete
Kunstwerke im Kleinen, meisterhafte Miniaturwerke schaffen. Nachträglich
hat dann der Dichter eine Reihe solcher Perlen auf eine Schnur gezogen.
So entstand „Anatol“. Die Seele des Buches ist der bekannte „leicht¬
sinnige Melancholiker": Anatol. Wir erfahren nicht, wie er sonst heißt und
in welcher Lebensstellung er sich befindet. Er ist für uns nur der Liebhaber.
Die zweite männliche Person, die in den meisten dieser Scenen vorkommt,
ist Max, der Freund. Ebenfalls eine typische Figur Schnitzlers, die auch
in späteren Dramen immer wiederkehrt. Max ist der verständige, maßvolle,
ja kaltherzige, aber immer freundschaftliche Pylades, Anatol der weichherzige,
energielose, schwächliche, phantastische Orest. Jener repräsentirt das Leben,
die reale Welt; dieser die feinfühlige, moderne müde Seele, ein Leben in
Träumen und Illusionen, in Sehnsucht und Melancholie, in aufrichtigen,
augenblicklichen Gefühlsekstasen und in Selbstbetrug und Posen. Beide sind
Repräsentanten einer gewissen Sphäre der heutigen Cultur, Repräsentanten der
Uebercultur, der Decadence, des Scepticismus, und schärfer bezeichnet, des
Marasmus innerhalb unserer Zeit. Die sieben Scenen sind sieben Liebes¬
erlebnisse Anatols. Wir sehen ihn langsam seine Illusionen zerpflücken. Er
analysirt mit grausamer Lust seine Empfindungen. In Allem sieht er die
Lüge; er möchte der Wahrheit ins Gesicht sehen, aber er fürchtet sich vor
ihr. Er möchte sein Mädchen eindringlich fragen, ob sie ihn wirklich liebe,
ob er der einzigste, der erste sei, den sie liebe; er versucht dies einmal, sogar
auf hypnotischem Wege; aber vor der entscheidenden Frage weicht er immer
wieder zurück (rgl. die Scene „Die Frage an das Schicksal“). Aber
dieser Anatol ist eine wunderbare Mischung aus den verschiedenartigsten
Elementen. Ein andermal ist er blasirt, cynisch, gemein, dann zeigt er
die brutale Seite seines Egoismus. Er knüpft Liebesverhältnisse mit ver¬
heiratheten Frauen an (vgl. die Scene „Weihnachtseinkäufe“) und mit
unverdorbenen Mädchen. Diese letzteren hat Anatol auf der Vorstadt entdeckt.
Sie sind die bekannten „süßen Mädln“. In dieser Liebe findet er noch ein
— Arthur Schnit
letztes blasses Glück. In der Darstellung dies
liebenswürdigsten Züge des Dichters. Mit
uns diese schlichten Mädchen des Volkes,
zu schildern. Anatol liebt sie mit der ganzef
Seele, und sie lieben ihn mit ihrer ganzen
ihrem kleinen Zimmer draußen auf der Vor
mit den paar alten schlechten, verblaßten
töpfen am Fenster und mit der Aussicht a
Dächer und Rauchfänge. Doch hören wir
sein Stück einer verheiratheten Freundin:
Gabriele:
sie wartet wohl sch
Anatol: Gewiß!
Gabriele: Sie wartet!? — Sagen Sie
Anatol: Ach — wie man eben empfär
Gabriele: Sie hört Ihre Schritte auf
Anatol: Ja . .. zuweilen.
Gabriele: Und steht bei der Thür?
Anatol: Jal
Gabriele: Und fällt Ihnen um den 54
sagt
... Was sagt sie denn?
*
Anatol: Was man eben in solchen Fäll
Gabriele: Nun — zum Beispiel?
Anatol: Ich weiß kein Beispiell
Gabriele: Was sagte sie gestern?
Anatol: Ach — nichts Besonderes.
man nicht den Don der Stimme dazu hörtl.
Gabriele: Ich will ihn mir schon dat
sagte sie?
Anatol: „. . . Ich bin so froh, daß ich
Gabriele: „Ich bin so froh“ — wie?l
Anatol: „Daß ich Dich wieder hab'!“.
Gabriele: Das ist eigentlich hübsch —
Anatol: Ja . . . es ist herzlich und wa
Gabriele: Und sie ist . . . immer alleh
ungestört sehen!? —
Anatol: Nun ja — sie lebt so für sich —
keinen Vater, keine Mutter.
nicht einmal
Gabriele: Und Sie
sind Ihr Alle
Anatol: . .. Möglich ... Heute
Dieses „süße Mädl“ eine Lieblingsgestalt
wie die beiden männlichen Charaktere, der Liebha
die verheirathete Frau in den Werken Schnitzl
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