VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Benzmann, Seite 11

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1. Panphlets, Offprints
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Arthur Schnitzler.
an in Berlin.
ein Halber, und der moderne, seinen Worten nach vorurtheilslose Mann
der Christine der „Liebelei“. Die
zeigt sich in seinen Handlungen oft als ein Schwächling. Aber Fedor
in der Novellensammlung: „Die Frau
Denner ist kein Schwächling. Sein Auftreten in den ersten Acten über¬
zeugt uns von der Lauterkeit seiner Gesinnung und von der Festigkeit
er nitgends ein lüsternes Wort finden,
seines Charakters. Auch wird die Leidenschaft, das tiefe und reine
ir Andeutung das Gemeine. Auch ver¬
Empfinden Fannys für den Geliebten von de Dichter mit so überzeugender
wir es desto deutlicher erkennen. Er
Kraft geschildert, daß es mir unerklärlich ist, wie späterhin ein zuerst fest
bunten Liebesspiel, und in der Dar¬
und sicher auftretender Mann, ein ganzer Mann, dieses unendlich liebens¬
VVornehmheit, die beinahe Keuschheit ist.
würdige Weib im Stiche lassen kann! Die Zeichnung des männlichen
nicht als Sünde, sie grübeln nicht über
Hauptcharakters scheint mir demnach in diesem Stücke mißlungen zu sein.
dern nur über das Wesen ihrer augen¬
Die übrigen Schwächen des Stückes, die todten Gruppirungen und das
e der Stunde. So gehen ihnen wohl alle
Schleppen des Dialogs erwähnte ich schon.
smmer wieder neue vorräthig. Das ist
Als ein vollendeter Dramatiker erscheint Schnitzler in dem dreiactigen
ks, dieser wienerischen Decadence. Sie
Schauspiel: „Liebelei“. Das Stück hat ihn zum berühmten Mann ge¬
ebt mit Grazie und Anmuth, und der
macht. Er, der bisher nur in den Wiener Litteraturcafés Ansehen und
blt sie, und er formt aus diesem seinen
Ehre genoß, wurde auf einmal ein Liebling des Volkes — und mit Recht.
echlichkeit Nichts wissen, die wie Schafer
In diesem Stück erscheinen neben den Wienern echte deutsche Volkstypen.
wie Kinder in Märchen und Illusionen
Aus dem „Anatol“ ist das Stück in erster Linie hervorgewachsen. Als
Hauptcharaktere treten wieder der Liebhaber und der Freund auf. Der
b der Dichter in dem dreiaetigen Schau¬
Freund ist hier aber ebenfalls Liebhaber, jedoch, im Gegensatz zu dem
eiß nicht, ob der Dichter dieses Stück
empfindenden, von seinem Gewissen geplagten, der genießende, sorglose, wenn
eh. Jedenfalls ist es nur eine Talent¬
auch nicht herzlose, aber scrupellose. Die Beiden heißen hier Fritz Lob¬
welchem das Leben selbst die Wahrheit
heimer und Theodor Kaiser. Der Dichter bezeichnet sie im Personen¬
fer scheint mir, als er dieses Stück schried,
verzeichniß als „junge Leute". Ihnen gegenüber stehen zwei Mädchen:
zu sein, um schwere Ideen logisch ent¬
Christine Weiring und Mizzi Schlager. Erstere ist die Tochter des Hans
gestalten zu können. Sein Talent weist
Weiring, der Violinspieler am Josephstädter Theater ist. Mizzi bezeichnet
in das Reich des Thatsächlichen, nicht in
der Dichter als „Modistin“. Sie ist das schneidige, fesche Wiener Mädl,
dem Leben folgen, er darf es nicht leiten.
das „Verhältniß“ comme il faut. Sie liebt ihren Theodor nach ihrer
Charaktere zu entwickeln, die seinem Wesen
Art, sie amüsirt sich mit ihm, sie geht mit ihm durch Dick und Dünn.
wird ihn seine Pfychologie oft im Stiche
Aber wenn er sie verlassen wird, wird sie vielleicht einen Tag untröstlich
genuz, so daß uns auch in diesem Faue
sein, dann wird sie sich fassen und sich nach einem Anderen umsehen.
aber man merkt überall die Mühe, die
Christine ist eine der wunderlieblichsten Mädchengestalten, die die moderne
schleppt im „Märhen“ und die Menschen
deutsche Poesie geschaffen hat. Sie ist das deutsche Mädchen. Nicht mit
khnitler darf überhaupt nicht viele Menschen
Unrecht hat man sie neben Halbes Annchen gestellt. Mit dieser Gestalt
wissen wirklich nicht, was sie auf der Bühne
hat sich der Dichter die Liebe seines Volkes erobert. Christine ist das naiv
diese Gruppen und Parteien. Der einzig
liebende Mädchen mit der reinen, ungetrübten jungen Seele. Ihre erste
ichen“ ist die Liebende, die Schauspielerin
Liebe wird ihr, muß ihr zum Verhängniß werden. Sie weiß ja Nichts
hatte der Dichter in einer der Anatolscenen
von der Welt, sie nimmt Alles so ernst. Aus zarten Keimen wächst in
irchen“ ward es nicht Leben, es blieb graue
ihrem Herzen die Liebe zu einer wunderbaren herrlichen Blume. Alfred
dee ist der Künstler Fedor Denner. Dieser
Kerr schildert sie mit Begeisterung in dem oben erwähnten Aufsatz: „Sie ist
Gefallenen“ beseitigen. Aber an sich selbst
mehr als ein süßes Mädl. Diese blasse Violinspielerstochter, die noch nicht
pt aller Ehrlichkeit unserer Ueberzeugung und
geliebt hat und eine tiefe, unüberwindbar tiefe Neigung zu einem leicht¬
funklen Punkt= im Leben der Geliebten nicht
sinnig=schwermüthigen Menschen — Fritz — faßt, der ihr in den Weg
der Gesellschaftsmensch ist ein Feigling und
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d und Süd. LXXXVI. 257.