box 36/1
Panphlets, Offprints
— Hans Benzmann in Berlin.
186
kommt — sie leuchtet in so wunderbarer Schlichtheit, daß sie die Geltung
einer Einzelpersönlichkeit abstreift und zu einem wohlvertrauten, halb¬
umdämmerten, holden Urbild wird, wie es unsere Träume in Volksgestalten
an glücklichen Abenden sehen. Diese lautlos hingegebene Gestalt, die innig
und zurückhaltend, glückles und selig und in der leifesten Regung Mädchen
ist: sie stammt aus dem Gefild, auf dem die herbere Schönheit früher und
liebster Goethe'scher Mädchen wuchs. Wen soll man neben ihr heut nennen?
Fontanes Lene. Die weiblichen Erscheinungen moderner Dichter sind, gegen
Christine gehalten, fast Alle reflectirt und mittelbar. Diese Gestalt fanden
wir schon hier und dort im „Anatol“ angedeutet.
Die Handlung ist eine sehr einfache. Fritz Lobheimer hat ein Liebes¬
verhältniß mit einer verheiratheten Frau. Während dessen lernt er Christine
durch ihre Jugendfreundin Mizzi Schlager kennen. Immer mehr bezaubert
ihn das frische innige Wesen des Mädchens. Aus einer „Liebelei“ wird eine
echte tiefe Liebe. Er erkennt allmählich, daß ihm nun das wahre Glück
erblühen wird — da plötzlich bricht das Verhängniß herein. Der betrogene
Ehemann hat von dem Ehebruch erfahren. Fritz wird im Duell erschossen.
Als Christine erfährt, daß der Geliebte für eine Andere in den Tod ge¬
gangen ist, daß er schon begraben ist, ohne daß sie davon erfuhr, stürzt sie
sich in's Wasser. Diese Fabel ist nicht neu; aber die Behandlung des alten
Herganges ist eine gänzlich neue. Sie zeigt den Dichter als modernen
Künstler, der alles Theatralische vermeidet und der gerade in seiner vor¬
nehmen schlichten Darstellungskunst ungemein lebenswahr wirkt. Wir er¬
fahren von dem Duell nur, daß es stattfinden wird, und dann, daß es
stattgefunden hat. Auch daß die ehebrecherische Gattin nicht selbst in irgend
einer Scene auftritt, daß sie vollständig hinter der Bühne bleibt, ist ein
Zug wirksamster Einfachheit. Scene an Scene zieht stimmungstief, in sich
vollendet, an uns vorüber. Hier finden wir nicht eine todte Stelle. Der
Dialog ist geradezu meisterhaft in seinem Tempo, in seiner steten Spannung.
Hier redet nicht der Dichter zu uns, hier will er keine Ideen, Wahrheiten
verkünden und beweisen, kurz, hier vernehmen wir nicht pathetische oder
sinnreiche Worte, hier spricht das Leben, hier sprechen lebendige Menschen
zu uns. Wie fein ist der Vater der Christine gezeichnet, eine prachtvolle
Volksgestalt, ein Wiener, ein Musiker, ein lebenserfahrener, sein Kind
innig liebender Greis. Wundervoll sind die letzten Scenen. Der alte
Weiring hat von dem Ausgange des Duells erfahren, und nun will er die
Kunde seiner Tochter in zartester Weise mittheilen. Er beginnt damit, in¬
dem er ihr Verhältniß zu dem „jungen Herrn“ als ein vorübergehendes
darstellt. Die Scene wird zu einer Offenbarung der liebenden Mädchen¬
seele. Aber allmählich ahnt Christine etwas Dunkles, das man ihr verbirgt.
Da erscheinen Theodor und Mizzi. Theodor ist schwarz gekleidet. Und
nun erfährt sie Alles. Mit höchster Kunst hat der Dichter den Ausbruch
des tiefsten Schmerzes geschildert. Als Christine dann noch erfährt, daß
Arthur Schnit
Fritz für eine Andere gefallen sei, da
Eifersucht, der Enttäuschung, der Verz
gepeinigte Seele. Sie fragt in wirren S
hre Qual heraus; Wahnsinn und Klarhe
das Bitterste durchzukosten, streiten um
zweiflung stürzt sie hinaus. Meines
nur ein wenig zu lang, zu abgerundet.
jenen Kritikern an, die da meinen, Christi
das ihr der Geliebte gethan habe, allzuf
kennt die Natur des Mädchens und des
Hier hat nicht nur eine Gefühlsexplosion,
änderung stattgefunden. In einem Momen
Weib erwacht, dessen Würde verletzt ist.
Anspannung aller Empfindungen bekämpfen
Alles, auch das Letzte zu erfahren, in unserer
Beziehung ein vollendetes Kunstwerk.
Das Drama „Freiwild“ ist wie „D
Es behandelt den „Ehrbegriff“ und die „Du
Ofsizler wird von einem Eivilisten geöhrfeigt
die dieser liebt, beleidigt hat. Natürlich f
Mater. Dieser verweigert das Duell, er erk
züchtigt habe. Der Offizier muß, falls er kef
Dienst quittiren. In seiner Verzweiflung schie
Straße nieder. Abgesehen davon, daß durch d
dieses Schauspiel an künstlerischem Werthe nied
zeigt sich Schnitzler auch in diesem Stücke als ba
endeter Dramatiker. Wir merken fast gar Nif
Prächtige lebendige Menschen sind es, die wis
ersten Scenen wird uns das lustige Leben,
Theatergesellschaft und der Verkehr derselben
geschildert. Das sind alles Figuren, wie sie da
schnitzt hat. Noch hören wir das lustige Geplau
an der Theaterthür, — da plötzlich gerathen die
die grelle Lohe des Hasses und der Leidenschaft
centrirt sich die Handlung: Aus dem Getändel,
wächst eine Tragödie empor, ein Schicksal, das
Wie ein Dämon verfolgt die angethane Schmac
folgen wir den Ereignissen, bis die Katastrophe ein
feste Charakter, Rönning, der Gegner des Offizi
Er hatte beschlossen, mit der Geliebten den Ort zu
der Gegner ihm auflauere. Sein Trotz erwacht,
dieser Eutschluß entspricht einigermaßen diesem
bleibt und läuft dem Feinde vor die Pistole.
Panphlets, Offprints
— Hans Benzmann in Berlin.
186
kommt — sie leuchtet in so wunderbarer Schlichtheit, daß sie die Geltung
einer Einzelpersönlichkeit abstreift und zu einem wohlvertrauten, halb¬
umdämmerten, holden Urbild wird, wie es unsere Träume in Volksgestalten
an glücklichen Abenden sehen. Diese lautlos hingegebene Gestalt, die innig
und zurückhaltend, glückles und selig und in der leifesten Regung Mädchen
ist: sie stammt aus dem Gefild, auf dem die herbere Schönheit früher und
liebster Goethe'scher Mädchen wuchs. Wen soll man neben ihr heut nennen?
Fontanes Lene. Die weiblichen Erscheinungen moderner Dichter sind, gegen
Christine gehalten, fast Alle reflectirt und mittelbar. Diese Gestalt fanden
wir schon hier und dort im „Anatol“ angedeutet.
Die Handlung ist eine sehr einfache. Fritz Lobheimer hat ein Liebes¬
verhältniß mit einer verheiratheten Frau. Während dessen lernt er Christine
durch ihre Jugendfreundin Mizzi Schlager kennen. Immer mehr bezaubert
ihn das frische innige Wesen des Mädchens. Aus einer „Liebelei“ wird eine
echte tiefe Liebe. Er erkennt allmählich, daß ihm nun das wahre Glück
erblühen wird — da plötzlich bricht das Verhängniß herein. Der betrogene
Ehemann hat von dem Ehebruch erfahren. Fritz wird im Duell erschossen.
Als Christine erfährt, daß der Geliebte für eine Andere in den Tod ge¬
gangen ist, daß er schon begraben ist, ohne daß sie davon erfuhr, stürzt sie
sich in's Wasser. Diese Fabel ist nicht neu; aber die Behandlung des alten
Herganges ist eine gänzlich neue. Sie zeigt den Dichter als modernen
Künstler, der alles Theatralische vermeidet und der gerade in seiner vor¬
nehmen schlichten Darstellungskunst ungemein lebenswahr wirkt. Wir er¬
fahren von dem Duell nur, daß es stattfinden wird, und dann, daß es
stattgefunden hat. Auch daß die ehebrecherische Gattin nicht selbst in irgend
einer Scene auftritt, daß sie vollständig hinter der Bühne bleibt, ist ein
Zug wirksamster Einfachheit. Scene an Scene zieht stimmungstief, in sich
vollendet, an uns vorüber. Hier finden wir nicht eine todte Stelle. Der
Dialog ist geradezu meisterhaft in seinem Tempo, in seiner steten Spannung.
Hier redet nicht der Dichter zu uns, hier will er keine Ideen, Wahrheiten
verkünden und beweisen, kurz, hier vernehmen wir nicht pathetische oder
sinnreiche Worte, hier spricht das Leben, hier sprechen lebendige Menschen
zu uns. Wie fein ist der Vater der Christine gezeichnet, eine prachtvolle
Volksgestalt, ein Wiener, ein Musiker, ein lebenserfahrener, sein Kind
innig liebender Greis. Wundervoll sind die letzten Scenen. Der alte
Weiring hat von dem Ausgange des Duells erfahren, und nun will er die
Kunde seiner Tochter in zartester Weise mittheilen. Er beginnt damit, in¬
dem er ihr Verhältniß zu dem „jungen Herrn“ als ein vorübergehendes
darstellt. Die Scene wird zu einer Offenbarung der liebenden Mädchen¬
seele. Aber allmählich ahnt Christine etwas Dunkles, das man ihr verbirgt.
Da erscheinen Theodor und Mizzi. Theodor ist schwarz gekleidet. Und
nun erfährt sie Alles. Mit höchster Kunst hat der Dichter den Ausbruch
des tiefsten Schmerzes geschildert. Als Christine dann noch erfährt, daß
Arthur Schnit
Fritz für eine Andere gefallen sei, da
Eifersucht, der Enttäuschung, der Verz
gepeinigte Seele. Sie fragt in wirren S
hre Qual heraus; Wahnsinn und Klarhe
das Bitterste durchzukosten, streiten um
zweiflung stürzt sie hinaus. Meines
nur ein wenig zu lang, zu abgerundet.
jenen Kritikern an, die da meinen, Christi
das ihr der Geliebte gethan habe, allzuf
kennt die Natur des Mädchens und des
Hier hat nicht nur eine Gefühlsexplosion,
änderung stattgefunden. In einem Momen
Weib erwacht, dessen Würde verletzt ist.
Anspannung aller Empfindungen bekämpfen
Alles, auch das Letzte zu erfahren, in unserer
Beziehung ein vollendetes Kunstwerk.
Das Drama „Freiwild“ ist wie „D
Es behandelt den „Ehrbegriff“ und die „Du
Ofsizler wird von einem Eivilisten geöhrfeigt
die dieser liebt, beleidigt hat. Natürlich f
Mater. Dieser verweigert das Duell, er erk
züchtigt habe. Der Offizier muß, falls er kef
Dienst quittiren. In seiner Verzweiflung schie
Straße nieder. Abgesehen davon, daß durch d
dieses Schauspiel an künstlerischem Werthe nied
zeigt sich Schnitzler auch in diesem Stücke als ba
endeter Dramatiker. Wir merken fast gar Nif
Prächtige lebendige Menschen sind es, die wis
ersten Scenen wird uns das lustige Leben,
Theatergesellschaft und der Verkehr derselben
geschildert. Das sind alles Figuren, wie sie da
schnitzt hat. Noch hören wir das lustige Geplau
an der Theaterthür, — da plötzlich gerathen die
die grelle Lohe des Hasses und der Leidenschaft
centrirt sich die Handlung: Aus dem Getändel,
wächst eine Tragödie empor, ein Schicksal, das
Wie ein Dämon verfolgt die angethane Schmac
folgen wir den Ereignissen, bis die Katastrophe ein
feste Charakter, Rönning, der Gegner des Offizi
Er hatte beschlossen, mit der Geliebten den Ort zu
der Gegner ihm auflauere. Sein Trotz erwacht,
dieser Eutschluß entspricht einigermaßen diesem
bleibt und läuft dem Feinde vor die Pistole.