VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Benzmann, Seite 14

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Panphiets, Offprints
Hans Benzmann in Berlin.
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Hier ist es dem Dichter besser wie in dem „Märchen“ gelungen,
einen tiefen und starken und trotz seiner inneren Festgkeit und Harmonie
brüchigen und nicht ganz consequenten Charakter, kurz einen außerordentlichen
und doch sehr menschlichen Menschen zu schildern. Der Dialog zwischen
Rönning und einem seiner Freunde über das Duell sagt uns nichts Neues;
aber gerade das Alte, das hier gesagt wird entspricht dem Wesen der
Charaktere und der Situation, sodaß selbst hier von einer Tendenz des
Dichters Nichts zu merken ist. Wundervoll ist die Liebesscene zwischen dem
Maler und der jungen Schauspielerin gelungen, — bei der Herbheit dieser
Der Dichter hat dieses
beiden Charaktere eine gewiß schwierige Scene.
psychologische und dramatische Problem durch die Einfachheit und Natürlich¬
keit seiner Kunst gelöst. Die natürliche Hilfe der Geschehnisse nahm er in
Anspruch, und der große Moment führte die Liebenden, die sich bisher
Nichts gestanden hatten, wie selbstverständlich zu einander.
Schnitzler hat bisher außer diesen Dramen mehrere Novellen ge¬
schrieben. Die Novelle „Sterben“ ist von den bisher erschienenen die
bedeutendste: Sie ist ein Meisterstück der Seelenschilderungskunst, ein stilisti¬
sches Kunstwerk ersten Ranges. Auch in allen seinen Novellen wirkt
Schnitzler so unübertrefflich natürlich durch die Schlichtheit seiner Art, zu
erzählen, zu entwickeln und zu enträthseln. Es sind seelische Erlebnisse, die
er erzählt, keine äußeren Geschehnisse. Alle seine Novellen sind melancholische
Liebesgeschichten. Es ist ja Alles so natürlich im Leben, es giebt keine
Sünde, keine Räthsel, keine Probleme, es giebt nur einen Lebensdrang und
eine Liebe: wir fühlen ihr Dasein täglich, was sollen wir darum deuten
und zweifeln: wir leben und genießen — es giebt keinen Ehebruch, es
giebt nur die Liebe. Doch: ein Problem giebt es: das Sterben! Das
ist das furchtbare Schreckniß, das einzige Problem! Das ist die unbegreif¬
liche Unnatürlichkeit, die Menschen ron Menschen trennt, Liebe von
Liebe. Wir empfinden es allmählich, wie derjenige, den der Tod erfaßt
hat, wie der Sterbende mehr und mehr aus unserer Empfindungswelt
entweicht. Das liegt an uns: Aus unserer Liebe wird Mitleid, und das
Mitleid erkaltet, und stärker und immer stärker erwacht in uns wieder der
Drang, zu leben und mit allem Lebendigen mitzuempfinden. Und das
liegt an dem Sterbenden, an seiner wachsenden Menschenfeindseligkeit, an
seinem Egoismus: er möchte das Liebste mitnehmen, er möchte es tödten ..
Diese Psychologie eines Sterbenden und des Lebenden am Krankenbette giebt
uns Schnitzler in seiner Novelle: „Sterben“. Felix sogt der Geliebten, daß
er sterben müsse — an der Schwindsucht. Da schwört sie ihm, mit ihm
zu sterben; er aber, noch halb gesund, verzichtet auf dieses Opfer; aber je
näher er den Tod kommen sieht, desto öfter erinnert er sie an ihren
Schwur. Und je kränker er wird, desto nachdenklicher wird Marie, und sie
sehnt sich schließlich mit aller Inbrunst wieder in's frische, volle, blühende
Leben ... Als er plötzlich stirbt, flieht sie aus dem Sterbezimmer ...
Arthur S
Das ist die schlichte Entwickelung. Ab
Allerdings hat sich bei dieser psychisch
bei Schnitzler, dem Arzte, Raths erholt
um die Schilderung eines interessanten
der Novelle des genialen Polen Dabroy
analyse, um eine Zerfaserung des inn
alles Empfinden um ein geliebtes Wes
Erzählung des Polen sich die flüchtigen,
nisse verbreiten und Alles niederreißen,
Es fehlen in der Novelle Schnitzlers
Momente. Zu dämonischen Wahnsinnsv#
des Kranken. Liebe und Haß kämpfen fo
er oft, und einmal, als er die Gelieb
neben sich liegen sieht, greift seine Hand
morden ... Gerade derartige Scenen g#
zweites Novellenbuch beweist, vortrefflich.
ist Schnitzler in der Schilderung innigster uf
Marie ähnelt in vieler Beziehung der Chri
Liebenswürdigkeit ziert diese naiv=klugen, sei
der Dichter sie schildert und als Hintergrun
Frühling und Sommer, dann geht ihm das
sein Bestes. So sind denn auch die Liebesscen
zarte Gedichte in Prosa voll Stimmung und
Mädchencharakter entwickelt, wie ist mit fe
geschildert worden! Diese herzliche Liebe
träumerische, dann mächtig wachsende Sehn
mächtiger Accord klingt das Leben in die G
stehen voll Erschütterung endlich vor dem Tod
entzückt, den Harmonieen des Lebens. So
sächlich unsere Empfindungen. Und die optik
verkündet wird, ist das Große an diesem
Alles, was uns Schnitzler bisher gal
gleichsam in einem neuen und wiederum so
seinem zweiten Novellenbuche: „Die Frau
sie uns wieder entgegen: der leichtlebig=me
Mädl und die liebenswürdige und keiner S
Frau. Fast jede Novelle ist ein Capitel vof
schließt mit einem heiteren Accorde aus
Schade, daß die schwächste dieser Novelle
Sammlung den Namen giebt. Die Novell
beginnt mit einer wundervollen lyrischen S
und unbewegt. Nur die weißen Wolken tre
streicht so hoch über Wellen und Wipfel hin,