VI, Allgemeine Besprechungen 1, Karl Kraus Demolirte Literatur, Seite 5


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DIE DEMOLIRTE LITERATUR.
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schmackvoller Wirkung zu vereinigen, indem er beispiels¬
weise nur mit solchen jungen Leuten verkehrt, deren Anzug
zu dem jeweiligen seinen passt, und er geht dann in der so
hergestellten Harmonie der Freundschaft seelisch ganz auf.
Ein gut gelegter Faltenwurf ist ihm Erlebniss, und wenn er
spricht, wendet er peinliche Sorgfalt daran, seine Oberlippe
decorativ zu verwerthen. So drapirt er sich selbst sein Milieu
und tapeziert sich gemächlich sein Leben aus.
In seinem Kreise hat er einen sehr heiklen Dienst zu
versehen. Seine Aufgabe ist es, den Toilettezustand jedes
ankommenden Literaten zu visitiren und allfällige Correcturen
vorzunehmen. Das gelingt unserem Dichter oft mit ein paar
charakteristischen Strichen. Hier ist er gerade damit be¬
schäftigt, selbst die letzte Hand anzulegen, dort ertheilt er
zweckmässige Weisungen, gibt einschlägige Winke und prak¬
tische Rathschläge; hier ergänzt er die fragmentarische Schön¬
heit einer Bicycledress, dort spricht er durch einen vorwurfs¬
vollen Blick die Unmöglichkeit eines ganzen Hosenstoffes aus.
Sein prägnanter Tadel: -Das wird sich nicht halten.- oder:
„Das trägt man nicht mehr.s oder: -Mit Ihnen kann man nicht
gehen.; sein bündiges Lob: -Das kann so bleiben.= Und
man mag sich diese Kritik ruhig gefallen lassen, da unser
Dichter selbst der Natur gegenüber mit ähnlichen Be¬
merkungen nicht zurückhaltend ist, indem er sich beim An¬
blick einer Landschaft schon wiederholt geäussert haben soll:
„Das müsste etwas stylisirt werdenle und nur selten das Lob
spendet: -Das kann so bleiben.
Dieser Dichter nun geht in seinen Bestrebungen so
weit, dass er von der eigenen Umgebung nicht mehr ver¬
standen wird. Dem Gedankenfluge seiner polychromen Gilets
vermögen die Kleinen mit ihren unbedeutenden Hemden nicht
zu folgen. So hat er das Leid des einsamen Menschen zu
tragen, und es erfüllt mit ehrfurchtsvollem Schauer, wenn
man den von seiner Zeit nicht erfassten Geist in seiner
Zurückgezogenheit belauscht. Von Allen weiss er sich am
längsten mit sich selbst zu beschäftigen, auf sich zu con¬
centriren. Ferne dem lärmenden Treiben, sitzt er stunden¬
lang vor dem Spiegel: — enfin seul mit seiner Cravatte! —
Aber auch er wird sich durchsetzen, und in gerechter


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