VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-13, Bruno Fellner, Seite 5


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Panphlets brints
Geschichte der Medizin zeigt ja, wie verderblich die Versuche voriger Jahrhunderte
waren, die Medizin in ein System zu zwängen. Wir Mediziner teilen eben vor
Tolstoi das Schicksal unserer Erbfeinde, der Bazillen. Er will uns beide nicht
anerkennen. Wenn er sich in einem Lustspiele über die verfolgungswahnsinnige
Bazillenfurcht lustig gemacht, so hat er gewiß Recht, Auswüchse zu tadeln. Wenn
er aber gegen Isolierung von Scharlach- und Diphtheriekranken, gegen die Behand¬
lung anderer mit ansteckenden Krankheiten Behafteter plaidiert, hört jede Diskus¬
sion auf. Und wenn er uns unsere stolzeste Errungenschaft, den Einfluß auf das
Familienleben, entreißen will, können wir dies nur einem ehrlichen Feinde nachsehen,
der uns sonst auf dem großen Schlachtfelde der Volksaufklärung und speziell im
Kampfe gegen den Dämon Alkohol ein so willkommener Bundesgenosse ist. Während
er aber seine Ansichten mit Bibelsprüchen zu belegen liebt, scheint er uns gegen¬
über den Spruch vergessen zu haben: -Ehre den Arzt mit gebührender Verehrung,
damit du ihn habest zur Not.
Auch in den Dramen wie in den Romanen ist die Behandlung des Arztes
eine sehr schablonenhafte. Der Arzt hat da die Rolle des vertrauten Dieners aus
Shakespeare übernommen, er ist der Allerweltsonkel und hat immer merkwürdig
viel Zeit zu verlieren. Eine merkwürdige, komische Figur scheint den Lustspiel¬
schriftstellern auch der junge patientenarme Arzt zu sein; diese wohl eher zum
Tragischen neigende Figur wird in neuester Zeit von der Medizinerin abgelöst,
die auch im deutschen Lustspiele nicht auf Rosen gebettet ist.
Welche Wandlung aber die Stellung des Arztes in neuester Zeit in den
Augen der Autoren gemacht hat, erhellt aus zwei deutschen Lustspielen, dem alten
=Doktor Klauss und der „Jugend von heute.: Der Doktor Klaus ist der Typus
des alten Hausarztes, ein Biedermann mit der gehörigen Portion Grobheit, dafür
aber mit dem Herzen am rechten Fleck.
Hermann, der Arzt und Held der =Jugend von heutes, ist schon infiziert,
er hat natürlich seinen Bazillus gefunden, es ist das der so beliebte Scharlach¬
bazillus. Doch, obwohl er als kompletter Idealist gedacht wird, denkt er nicht
daran, in seiner der Menschheit so wichtigen Arbeit fortzufahren, sondern zerbricht
sich während des ganzen Stückes den Kopf über alle möglichen anderen Dinge.
Anscheinend war die moderne Stellung des Arztes dem Autor nicht lustig genug
für vier Akte; übrigens ein merkwürdiger Arzt, ein sonderbarer Schwärmer, der erst
durch einen Angriff in der Zeitung aus seiner Untätigkeit emporgescheucht werden
muß. Für Laien mag solch Spielerei mit großen Gedanken interessant sein; für
Arzte bleibt wohl der interessanteste Moment des Stückes die einzige wirkliche
Tat des Helden: das Unterbinden einer Subclavia.
Eine traurige Rolle spielt der Arzt in Gerhard Hauptmanns Drama Vor
Sonnenaufgange. Gelegentlich der hiesigen Aufführung dieses Stückes durch einen
akademischen Verein lasen wir, daß bei einer Berliner Aufführung ein Arzt wütend
seine Zange als Demonstrationsobjekt geschwungen habe, und wenn wir heute,
in der Schule des Naturalismus etwas kühler geworden, selbst einen Akt auf eine
Totgeburt zu warten gelernt haben, so werden wir uns nie mit einem Arzte befreunden
können, der, der verkörperte Skeptizismus, seine Praxis bloß als eine Melkkuh
betrachtend, eine kalte Rechenmaschine ist. Ein solcher Arzt kann freilich nicht den
Konflikt lösen, der wie ein neues Drama aus dem letzten Akte hervorleuchtet, den
Konflikt zwischen dem Arzte und dem Menschen: dem Arzte, der den unbeugsamen
Gesetzen der Vererbung folgend die Ehe verbieten, dem Menschen, der dem
Freunde Hoffnung geben muß. Ein solcher Arzt soll nur seinem Plane folgen
und möglichst viel Geld zusammenkratzen, um dann aus dem Arztestande baldigst
zu verschwinden.
Zwei der hervorragendsten Dramatiker können die Arzte Österreichs stolz
zu den Ihrigen rechnen, es sind dies Schnitzler und Schönherr. Natürlich haben
auch sie Arzte, aber wirkliche Arzte auf die Bühne gestellt. In seinem -Ver¬
mächtnise stellt Schnitzler zwei Arzte einander gegenüber. Einen einfachen, tüchtigen