VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-14, Lamprecht Deutsche Geschichte Ergänzungsband, Seite 28

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1. Pamphle
s Offorint
Dichtung.
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keineswegs entschieden beseitigt. Zwar hat sich bereits Hebbel
wiederholt gegen Selbstcharakteristiken der Personen des Dramas
und Verwandtes ausgesprochen, aber Ludwig z. B. schwor
schließlich selbst in Sachen kleinster Kunstgriffe dramatischer Be¬
seelung noch auf Shakespeare.
Erst Ibsen hat hier das Ganze einer neuen Technik ge¬
schaffen, das dem Seelenleben der zweiten Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts entsprach, das für das Drama das ist, was die Frei¬
lufttechnik für die bildenden Künste. So sehr er den Fortschritt
der Handlung, hierin den Franzosen folgend, in den Dialog
verlegte und nicht mehr in bunte Bilder und gröblich äußere
Handlungen, so unterdrückte er doch zugleich den Monolog, das
Beiseite und die Selbstcharakteristik und vermied die erzählende
Exposition und Verwandtes; und indem er den Dialog bis
auf die kleinste Einzelheit nach dem Leben in lückenlos sicherer
Folgerichtigkeit aufbaute, gab er ihm auch den vollen Schein
dieses Lebens. Dabei führte er ihn so, daß die Momente, aus
denen die dargestellte Katastrophe hervordrängt, gleichwehl,
oft nur in ganz kurzen Andeutungen, dennoch aber vollständig,
zum Bewußtsein des Hörers kamen. Und so erreichte er eine
Lebenswahrheit, die, dem Erzählungsdrama älterer Zeiten
grundsätzlich fern, dem Wirklichkeitsverständnis der Vorgänge
derart nahe kommt, daß eine volle Illusion erreicht wird: daß
die Bühne als Rahmen des Lebens erscheint, nicht als Podium
einer durch die Personen der Handlung vorgetragenen Er¬
zählung.
2. In Deutschland war, während sich eigenständige An¬
fänge eines neuen Dramas zeigten und die Dramen der zweiten
Periode Ibsens auftauchten, ja eigentlich schon vorher gefühlt
worden, daß man, wenn nicht auf dem Gebiete des Dramas
selbst, so doch auf dem der Bähnendarstellung vorwärts gehen
müsse: vom Theater her also wurde zuerst der stärkere Illusionis¬
mus des modernen Wirklichkeitssinnes gefordert. Sehr natür¬
lich: war er doch hier verhältnismäßig leichter, und ohne das
Dichtung.
Auftauchen starker Neuerer der dramatischen
zuwarten, zu befriedigen.
Schon in den siebziger Jahren hatten
gehörige Versuche begonnen; in den Reformen
Bühne kamen sie zunächst noch dem historische
dem Drama der klassischen Litteraturperiode zu
bald übertrug sich die Wirkung doch auch auf d
des Gegenwartdramas und verwandelte sich i
unmittelbaren Vorwirkung des ausgesprochen
nismus.
Im Theaterwesen selbst aber ging man no
den Schlendrian der bestehenden Praxis zu b
die Begründung einer Musterbühne notwendig;
nach dem freilich nicht erreichten Muster der Con
zur Begründung des Deutschen Theaters in Be
Und ein paar Jahre darauf wurde dann I
auf die Bühne gebracht: durch ein Vorstadtt
das Residenztheater, an dem Anno eine treffl
truppe speziell zur Darstellung des modernen
bildete.
Da aber Ibsen doch nur sehr spärlich gege
die neuen nationalen Dramatiker auf der Bü
gar nicht zu Worte gelangten, so suchte die
Sturmes und Dranges der achtziger Jahre nochnc
Möglichkeit, des neue Drama zur Aufführu
Sie fand sich in den sogenannten Freien Bühnen
unternehmungen zunächst nur der Kreise, die si
Kunst begeisterten. Die Idee ging, nicht ohr
Pariser Théätre libre Antoines — das aber
unternehmen war und ist —, in Berlin zunäch
Wolff und Maximilian Harden aus; an die
Freien Bühne schwang sich dann als Leiter Otto
diese Bühne wurde nun ganz in den Dienst
wegung gestellt; im ersten Spieljahr (1889—90
Dramen von Björnson, Strindberg, Tolstoj und
Stücke von Anzengruber, Fitger, Hauptman
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