VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-14, Lamprecht Deutsche Geschichte Ergänzungsband, Seite 32

box 36/1
ts

1: Pamphlets, offprin
Dichtung.
328
Geyer“ (1896), eigentlich alle historisch vergleichenden Be¬
trachtungen, man müßte denn an den bei verwandten Absichten
künstlerisch ganz anders gearteten „Tell“ Schillers anknüpfen.
„Die Weber“, welche die Aufstandszeiten der von Hunger¬
typhus zu Hungertyphus getriebenen Weber des Riesengebirges
in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand
haben, sind das erste Drama der deutschen, wenn nicht der
Weltlitteratur, das eine ganze soziale Masse, eine sozialpsychische
Schicht des Volkes als den eigentlichen Helden greifbar auf
die Bühne bringt. Und diesem sozialen Helden ergeht es wie
den individuellen Helden des modernen Dramas: in unleidliche
Zustände hineinversetzt, in Verhältnisse, die ihm die Lebenslust,
ja die Daseinsmöglichkeit rauben, kämpft er gegen eine über¬
legene Schicksalsmacht, um sich an ihrer Gewalt zu verbluten.
Der Aufbau des Stückes ist in hohem Grade klar. Gewiß
hatte sein Inhalt in den Überlieferungen der Heimat und
speziell auch noch der Familie Hauptmanns schon Züge um¬
gestaltender Sage angenommen: ein Vorgang, der die Ver¬
dichtung des Stoffes sehr erleichtern mußte. Gleichwohl galt
es ein Wagnis, das ohne Vorbild war: wie in den Familien¬
dramen die excentrische Lage eines Mitgliedes, durch besondere
Ereignisse in eben diesem ihrem Wesen klargelegt, zum Er¬
wachen des Heroismus dieses Mitgliedes und zu seinem Fall zu
führen pflegte, so mußte hier ein verwandtes Schicksal für eine
ganze soziale Schicht anschaulich gemacht werden.
Der erste Akt des Stückes zeigt uns den Vorgang der Waren¬
abnahme der Weber im Hause des Fabrikanten: das ganze Elend
einer bis zur Verzweiflung an der Zukunft fortgeschrittenen Be¬
völkerung der Hausindustrie wird uns vor Augen geführt. Aus
dem ärmlichen verhungerten Volke tritt dabei der körperlich
besonders bevorzugte und darum widerstandsfähiger gebliebene
Weber Bäcker hervor: einer der künftigen Führer des Aufstands.
Der zweite Akt führt in die Intimität der Armut; wir be¬
gleiten den alten Weber Baumert in seine verwahrloste Hütte
und lernen seine Frau, seine Töchter, seinen Sohn, einen
Idioten, und seinen Enkelsohn, das uneheliche Kind der einen
—.—
Dichtung.
Tochter, kennen. Und in diese Welt trit
der drohenden Erhebung, auch er physisch
aus dem Militärdienst heimkehrende Wel
Renommist, der in dem allgemeinen Umst
Handeln gelangt neben dem mit angeb
Frechheit ausgestatteten Bäcker. Ein dritte
der Gaststuben der Weberdörfer. Auf dies
Einfluß des Alkohols, der diese ausgeme
auf den verantwortungsreichen Weg zur I
steht, zum Teil auch durch Reibung an de
zu den in der Gaststube vertretenen Ges
Handwerks= und Kaufmannsstandes, der
Widerstands. Und nun wälzt sich die in
Menge gegen das Haus des Fabrikanten;
in diesem Hause; er zeigt die Stimmun
schlüsse der oberen Schichten, den ber
Pfarrers, der in unerschütterlichem Vertr
wort der stürmenden Menge entgegentritt
Fabrikherrn. Der fünfte Akt endlich ist de
Schicksals; ein Sturmangriff des Militä
drückung des Aufstandes herbeigerufen ist,
Webers herbei, der, fest wurzelnd in mili
und bibelgläubigen Erinnerungen, sich der
stand versagt hat: der Unschuldige leidet
gleichmäßig hin über alle schreitet die Neu
Wer die Aufführung des Dramas mit
nicht zweifeln: die Seele ganzer Volksma
Stimmungen, ihren Freuden und Hoffnun
und Leiden auf die Bühne zu bringen, das
lungen. Nicht als ob wir nicht auch s
eindrücke verwandter Art gelegentlich von
hätten. Allein sie waren weder in dem ##
gehörten, führend, noch wirkten sie mit d
Illusion, weil sie nicht gleich überzeugend
und Zeit gefaßt waren. So sind die
Stücken Shakespeares kulturgeschichtlich z