VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-14, Lamprecht Deutsche Geschichte Ergänzungsband, Seite 39

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1. Pamphlets, offprints
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Dichtung.
führung auch nur wunderbarer Züge im Drama fort, so kann
selbst das nur geschehen in der Absicht, symbolisch zu wirken,
oder in der unbewußten Anwendung eines Kunstmittels, das auch
gegen die Absichten des Dichters symbolisch wirken wird.
Aus alledem ergiebt sich, daß das phantastische Reaktions¬
gefühl gegen den physiologischen Impressionismus notwendig
symbolistische Züge annehmen mußte. Wurde aber das Märchen
einige Jahre hindurch geradezu zur dramatischen Lieblingsform
der Zeit, so mag noch ein anderes Motiv mitgespielt haben. Über
all dem eingehenden Studium des Außeren hatte man wirklich die
dramatische Psychologie als besondere Kunst gleichsam halb ver¬
lernt. Jetzt beherrschte man den Apparat äußerer Illusionen und
schritt unwillkürlich weiter auf die tieferen psychologischen Pro¬
bleme zu. Wo und wie aber konnte man da am leichtesten lernen,
ohne doch den Schüler zu zeigen? Gewiß im und am Märchen¬
drama. Wie der primitive physiologische Impressionismus die
Armeleutewelt aufgesucht hatte, so bewegte sich daher der
primitive psychologische Impressionismus in der Traum= und
Märchenwelt, und öfters, wie z. B. in Hauptmanns „Hannele“,
haben beide Welten sich in einem Kunstwerk zusammengefunden.
Das Erscheinen des symbolistischen Dramas wurde an¬
gekündigt durch Wildenbruchs „Heiliges Lachen“ (Februar 1892),
ein Tendenzstück gegen den vom Kaiser verdammten politischen
Pessimismus, künstlerisch betrachtet eine grobe symbolistische
Zimmermannsarbeit. Denn Wildenbruch hatte von dem neuen
Prinzip nur das Außerlichste erfaßt: Emblem und Allegorie.
Nicht viel weiter gelangte er aber auch im „Willehalm“ (1897).
Wie viel reicher und feiner hatte da inzwischen schon der Wiener
Musiker Adalbert von Goldschmidt (geb. 1848) die Allegorie
dem Symbolismus in seinem Melodrama „Gaea“ dienstbar
gemacht, einem Mysterium der menschlichen Entwicklungsgeschichte
nach moderner Auffassung! Und fast noch lebendiger war dann
die Allegorie gebraucht, ja fast schon wieder zu voller Wirk¬
lichkeit verklärt worden in der buddhistischen Trilogie Hans
von Gumppenbergs „Alles und Nichts“ (1894). Es ist dem
Stoffe nach wie ein menschlicheres Gegenstück zu Goldschmidts

— —
Dichtung.
„Gaea“: die gegensätzliche Entwicklung des Re
mit allen seinen Diesseitswünschen in die Wel
des entsagenden Idealisten wird geschildert;
wirklichen Glückes fällt dem Idealisten zu.
ergab sich als die Form des Symbolismus,
wurde, doch durchaus das Traum= und n
Märchendrama; und man mag bei Erwähnu
sache wohl der Märchendramen Raimunds rüch
die bis heute der deutschen Bühne nicht verlore
und eben in den Jahren des neuen Märchen
etwas wie eine Auferstehung gefeiert haben.
Im übrigen konnten die Stoffe zu den nes
besten fremden Litteraturen entnommen werden,
phantastischen des Orients. Und damit war
lichkeit eines entscheidenden Wurfes für einen
der vornehmlich formbegabt, aneignungsfähi
historisch imprägniert war. Dieser Dichter war
(geb. 1862). Im Jahre 1892 gelangte Fuld
auf die Bühne. Der außerordentliche Erfolg
wurde gewiß teilweis mit dem Stoffe verda
König angehenden Caesarenwahns wird von de
dadurch geheilt, daß ihm ein ganz augenschei
in den er sich und seinen Hof und sein Vol
von einem kleinen Mädchen nachgewiesen wird:
schließt, künftig mit Rat seines Volkes zu reg
bösen Versehen gegenüber der Wirklichkeit der
wahrt zu sein. Allein daneben war es doch n
leichte, frohe Ton des orientalischen Märchens,
entzückte. Freilich in dieser einfachen Form
Wenige Jahre später hat Fulda dem „Talism
Märchendrama folgen lassen, den „Sohn des Ka
Glück: die reine Märchenstimmung war schon
gute kam sie dagegen noch einem Stücke, das
mit Fuldas „Talisman“ auftauchte, der B
indischen Dramas Mritschhakatiká, die En
älterer Dichter, in schön gebauten Versen unt