VI, Allgemeine Besprechungen 1, 1-14, Lamprecht Deutsche Geschichte Ergänzungsband, Seite 45

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1. Panph Offprints
Dichtung.
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worden war, entsprechend der vornehmlich künstlerischen Vor¬
wärtsentwicklung der Nation seit den fünfziger Jahren. Aber
das Drama geht doch über all das noch hinaus. Das Thema
des Pantheismus mit seinen zahlreichen Variationen ist das
große Problem der europäischen Welt seit den Tagen Giordano
Brunos; die Neuzeit lebt und webt in ihm; über Jahrhunderte
erstrecken sich die Lösungsversuche der Fragen, welche die „Ver¬
sunkene Glocke“ anregt.
So ist auch die Form nicht mehr die des naturalistischen
Impressionismus. Sie ist sozusagen dauerhafter empfunden
als bloß modern, und sie nimmt darum manches vom alten
Drama auf. Der Inhalt des Ganzen ist zwar einfach und
läßt der Schilderung Raum; dennoch ergiebt sich gegenüber
dem reinen Katastrophendrama ein Mehr von Handlung, und
zu deren Lösung werden einige Verwicklungen nicht geschent.
Fernab stehen wir dem Intriguendrama, aber auch die Grenze
des Zustandsdramas ist überschritten. Eine neue Auffassung
des Schicksals, dem gegenüber die Selbständigkeit des Helden
größer erscheint als bisher, schafft eine neue dramatische Form.
Und auch im Einzelnen der Technik vollzieht sich ein Aus¬
gleich zwischen alt und neu. Das Märchendrama scheint den
Vers zu verlangen: er tritt auf, und zwar in einzelnen Partien
in großer Schönheit und Vollendung. Aber gleichwohl bleiben
die wesentlichen Errungenschaften des naturalistischen Im¬
pressionismus. Die Charakteristik ist scharf und scheut keine
Härten. Für den Bau der Sprache und des Verses ist es
bezeichnend, daß mitten unter hochdeutsch redenden Personen
die alte Wittichen sich ihres ebenfalls in Verse gebrachten
gründlich dialektischen Schlesisch bedienen kann, ohne daß das
in Sprache wie Rhythmus auffällt. Ja gerade der Vers wirkt
hier versöhnend. Das krasse Nebeneinander von Wirtlichkeits¬
und Phantasiescenen in „Hanneles Himmelfahrt“ wird dadurch
vermieden; die höhere Form mildert, ja verbindet die Gegensätze.
Nach der „Versunkenen Glocke“ ist Hauptmann neuerdings
noch einmal in „Schluck und Jau“ (1899) halb und halb auf
die Form des Märchendramas zurückgekommen. Schluck und


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Dichtung.
Jau sind zwei arme Teufel und D
Thoren eines märchenhaften Fürstensc
und durch entsprechende Simulatione
Teilnahme des wirklichen Fürsten da
sich selbst für Fürst und Fürstin zu
das bei Schluck zum Erschrecken gut,
in seinem ganzen möglichen Umfang
gelingt. Der Stoff ist alt, die
Zwar führen die bewußten Anlehnung
in der Sprache wie in der Zeichnun
heitere Märchenton, der namentlich b
Liebe des Fürsten zur Sidselill ange
minder auch die skizzierende Art der
Schilderung des Hofes und Hofgesin
das romantische Land, das hier und de
französischen Liebeshöfe angedeutet wi
den Dichter eigentlich fesselt, ist doch
blase eines verworrenen Geschehens,
der seelischen Regungen im Grunde
armen Muß=Fürsten Schluck. Auch in
und Jau“ neben „Kollege Crampto
liegen zunächst und eigentlich Charakt
Und begann nicht auch schon in
im Grunde das psychologische Interes
dem Symbolismus heraus schreitet der
wicklungsperiode, der eines ausgesproch
Indes war die Periode des Trau
mit den Werken Hauptmanns keines
geschlossen. So brachte z. B. auch Ernst
nach Dramen eines naturalistischen I
dem Physiologischen schon stark ins
in den „Königskindern“ von 1895 e
entwicklungsgeschichtlich gelangte die
den scharfen Dualismus von Naturc
hinaus, der „Hannele“ kennzeichnet,
söhnung des Gegensatzes ein neues M


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