2. Cuttings box 37/2
kränklicher Süße,
kunft, sondern sie baut sich zusammen aus Vergangenheiten. Sie ist ein
Je mehr sie mit
Museum aller schönen Worte, erlesenen Gefühle, durchgereiften Weis¬
mir diese fühlb
1e4.14
heiten. Und schafft neue Museumstücke hinzu, voll aparter Einfälle, fein¬
Dichter gegenü
studierter Wendungen, sinnvoller Abstufungen, reizender Ueberraschun¬
den Fellilelon.
mit Leichenbl
gen. Ueberall spüren wir das bereits Erreichte, nirgendwo das noch zu
dieser Poet, le
Erreichende. Wir wissen uns in der besten und vornehmsten aller Ge¬
iner
pulst er inn
Von allen Menschenrechten ist das Recht des Unwissenden.
sellschaften, aber die Fenster sind geschlossen, und der Wildbach, der
Schnitz
draußen tobt, dringt nicht an unser Ohr. Oder wenn er es dennoch tut —
durch den Weiseren geleitet zu werden, mit Milde oder Gewalt
so ist sein elementarisches Wüten durch eine kunstvolle Stufenleiter von
durch ihn auf dem rechten Wege gehalten zu werden, das un¬
Uebertragungen derart sinnreich in ein wohlabgestimmtes Tönen ver¬
S
wandelt, daß es ohne innere Schrecken uns ästhetisch ergötzt — wie ein
Carlyle.
bestreitbarste.
sich
Rossinisches Gewitter.
So wird man denn sagen müssen, daß der Hofmannsthalschen Dich¬
tung das Erlebnis fehlt. Oder vielmehr, sie kennt nur ein einziges Er¬
Führer von Jung=Wien.
lebnis: ihre eigene Entstehung. Gewitz, dies soll das letzte und höchste
Erlebnis jeder Dichterseele sein. Aber die Dichterseele ist doch nur der
Von Franz Servaes.
innerste Kern einer Menschenseele, und erst, was diese durchmacht an
Sie meinen, daß den jungen Wiener Sprachkünstlern ihre spielend
Bangnissen, Ungewißheiten, Seligkeiten und Schrecken, und alles, was
schaffende Formbegabung leicht zum Verhängnis werden könne; daß
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ihr aufgeladen ward an leidvollen Entbehrungen und schicksalsschweren
manche schließlich nicht halten würden, was sie im Anfang ihrer Ent¬
Verantwortungen, erst das formt für sie den Stoff innerer Erlebnisse,
wicklung versprachen. Eine Gefahr dieser Art ist wohl kaum zu be¬
der dann in den Berührungen und Reibungen mit der äußeren Welt
streiten. Fast größer aber erscheint mir die, daß durch eine zu ein¬
sich schöpferisch entzündet. Ich meine also dieses: eine Dichterseele muß
seitig betriebene Formkultivierung die Beziehungen zur Literatur stärker
teilhaben am Leiden der Gesamtmenschheit, und gerade an ihren primi¬
werden als diejenigen zum Leben; daß sich eine Art von literarischer
tivsten und trivialsten Leiden, sie darf sich in der Hinsicht nicht unter¬
Inzucht herausbildet; und daß hierdurch die Kunst sich zum Aesthetentum
scheiden wollen, sie muß animalisch, elementarisch und geschwisterlich sein
abschwächt und in sich selber starr wird.
das gibt ihr ihren höchsten Reichtum und schafft ihr ihren
Nehmen Sie die gewiß blendendste Dichterbegabung des heutigen
Hofmannsthal
bei
Gräbt man
lebendigsten Untergrund.
Wier Hugo von Hofmannsthal! Ich verehre in ihm einen Menschen
in die Tiefe, so spürt man von allem diesem äußerst wenig.
von eminentestem, repräsentativem Kulturcharakter. An Wissen, an Ge¬
Hingegen sehr viel stößt man auf chevalereske Selbstbespiegelung: auf
schmack, an Sprache, an Gefühl für Schönheit kommt ihm kaum einer
ehrgeizige Selbsterziehung und Selbstaufstachelung; und, aus dem Reich
gleich. Er schreibt Verse von einem Wohlklang und von einer süßen
der Schmerzen, auf das dumpfverhohlene und bohrende Gefühl eines
Reike, daß sie wie ein schimmernder Rausch einem ins Blut gehen und
kalten Alleinseins. Und was ist dieses Alleinsein anders als die trüb¬
dochsgleichzeitig unser geistiges Wesen aufs innigste beschäftigen. Seine
selige Ahnung eines Ausgeschlossenseins von den warmen und zeuge¬
Prohaaufsätze sind solche Wunderwerke, daß ich sie mit Boulle=Uhren ver¬
rischen Umarmungen menschlichen Erlebens?!
gleichen möchte. So herrlich sind sie in ihrer Struktur und so ver¬
Hierin erblicke ich die Tragik der Hofmannsthalschen Erscheinung
schwenderisch in der wohlberechneten Fülle ihres Schmucks. Und damit
und das Bedrohliche für die ganze Art von ästhetischer Kultur, als deren
Sie nicht meinen, daß ich des Dramatikers Leistungen unterschätze will
ragender Gipfel er sich uns darstellt. Unfruchtbarkeit ist das Schicksal,
ich bekennen, daß ich der „Elektra“ einen der überwältigendsten Kunst¬
das hier droht — Unfruchtbarkeit bei äußerlich glanzvoller Entfaltung
eindrücke meines Lebens verdanke; und daß ich es als einen meiner
und formal verblüffender Vollendung. Und darum sehe ich nicht ohne
schmerzlichsten Verluste empfinde, bisher „Oedipus und die Sphinx“ nicht
Bangen, daß Hofmannsthal Schule macht, daß er magisch anzieht und
gesehen zu haben.
fasziniert. Für viele hat er heute bereits die Geltung eines Klassikers
Trotzdem werfe ich die Frage auf: schenkt dieser Dichter uns neue
erlangt: ja, manche möchten am liebsten sagen: er sei als Klassiker auf
Visionen unseres Lebens? Wühlt und arbeitet in ihm eine Kraft, die,
die Welt gekommen. Sieht man nicht den Widersinn, der hierin liegt,
aus unterirdischen Quellen kommend, bisher verborgene Edelmetalle ans
und ahnt man nicht, wieviel Schweiß und Blut, ja wieviel Schmutz am
Ich wage nicht, ja zu sagen. Dafür hat mir die Ge¬
Licht schwemm
schmerzlich errungenen Klassikertum eine Goethe klebt? Und nichts bis
mann folgen.
samtheit der Homannsthalschen Dichtung zu viele Voraussetzungen. So
hiervon dürfte fehlen; auch der Schmut nicht! Ja, der vielleicht am
verleiht. Dort
reich sie ist, so lauter sie funkelt, sie ist doch überall bedingt und abge¬
wenigsten.
ist's molliger un
leitet. Sie ist durch und durch Kulturprodukt. Insofern also gewiß
Ich sehe in Hofmannsthal eine wundervolle Spätf#ucht, von solch
auch Repräsentant einer Kultur (hoch, höher, am höchsten), doß
eines leider nicht: kulturschöpferisch. Sie weist nicht in die Zu- I ebenmäßiger Schönheit, daß sie mich mit Wehmut erfüllt. Voll von 1 die zur Kunst
kränklicher Süße,
kunft, sondern sie baut sich zusammen aus Vergangenheiten. Sie ist ein
Je mehr sie mit
Museum aller schönen Worte, erlesenen Gefühle, durchgereiften Weis¬
mir diese fühlb
1e4.14
heiten. Und schafft neue Museumstücke hinzu, voll aparter Einfälle, fein¬
Dichter gegenü
studierter Wendungen, sinnvoller Abstufungen, reizender Ueberraschun¬
den Fellilelon.
mit Leichenbl
gen. Ueberall spüren wir das bereits Erreichte, nirgendwo das noch zu
dieser Poet, le
Erreichende. Wir wissen uns in der besten und vornehmsten aller Ge¬
iner
pulst er inn
Von allen Menschenrechten ist das Recht des Unwissenden.
sellschaften, aber die Fenster sind geschlossen, und der Wildbach, der
Schnitz
draußen tobt, dringt nicht an unser Ohr. Oder wenn er es dennoch tut —
durch den Weiseren geleitet zu werden, mit Milde oder Gewalt
so ist sein elementarisches Wüten durch eine kunstvolle Stufenleiter von
durch ihn auf dem rechten Wege gehalten zu werden, das un¬
Uebertragungen derart sinnreich in ein wohlabgestimmtes Tönen ver¬
S
wandelt, daß es ohne innere Schrecken uns ästhetisch ergötzt — wie ein
Carlyle.
bestreitbarste.
sich
Rossinisches Gewitter.
So wird man denn sagen müssen, daß der Hofmannsthalschen Dich¬
tung das Erlebnis fehlt. Oder vielmehr, sie kennt nur ein einziges Er¬
Führer von Jung=Wien.
lebnis: ihre eigene Entstehung. Gewitz, dies soll das letzte und höchste
Erlebnis jeder Dichterseele sein. Aber die Dichterseele ist doch nur der
Von Franz Servaes.
innerste Kern einer Menschenseele, und erst, was diese durchmacht an
Sie meinen, daß den jungen Wiener Sprachkünstlern ihre spielend
Bangnissen, Ungewißheiten, Seligkeiten und Schrecken, und alles, was
schaffende Formbegabung leicht zum Verhängnis werden könne; daß
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ihr aufgeladen ward an leidvollen Entbehrungen und schicksalsschweren
manche schließlich nicht halten würden, was sie im Anfang ihrer Ent¬
Verantwortungen, erst das formt für sie den Stoff innerer Erlebnisse,
wicklung versprachen. Eine Gefahr dieser Art ist wohl kaum zu be¬
der dann in den Berührungen und Reibungen mit der äußeren Welt
streiten. Fast größer aber erscheint mir die, daß durch eine zu ein¬
sich schöpferisch entzündet. Ich meine also dieses: eine Dichterseele muß
seitig betriebene Formkultivierung die Beziehungen zur Literatur stärker
teilhaben am Leiden der Gesamtmenschheit, und gerade an ihren primi¬
werden als diejenigen zum Leben; daß sich eine Art von literarischer
tivsten und trivialsten Leiden, sie darf sich in der Hinsicht nicht unter¬
Inzucht herausbildet; und daß hierdurch die Kunst sich zum Aesthetentum
scheiden wollen, sie muß animalisch, elementarisch und geschwisterlich sein
abschwächt und in sich selber starr wird.
das gibt ihr ihren höchsten Reichtum und schafft ihr ihren
Nehmen Sie die gewiß blendendste Dichterbegabung des heutigen
Hofmannsthal
bei
Gräbt man
lebendigsten Untergrund.
Wier Hugo von Hofmannsthal! Ich verehre in ihm einen Menschen
in die Tiefe, so spürt man von allem diesem äußerst wenig.
von eminentestem, repräsentativem Kulturcharakter. An Wissen, an Ge¬
Hingegen sehr viel stößt man auf chevalereske Selbstbespiegelung: auf
schmack, an Sprache, an Gefühl für Schönheit kommt ihm kaum einer
ehrgeizige Selbsterziehung und Selbstaufstachelung; und, aus dem Reich
gleich. Er schreibt Verse von einem Wohlklang und von einer süßen
der Schmerzen, auf das dumpfverhohlene und bohrende Gefühl eines
Reike, daß sie wie ein schimmernder Rausch einem ins Blut gehen und
kalten Alleinseins. Und was ist dieses Alleinsein anders als die trüb¬
dochsgleichzeitig unser geistiges Wesen aufs innigste beschäftigen. Seine
selige Ahnung eines Ausgeschlossenseins von den warmen und zeuge¬
Prohaaufsätze sind solche Wunderwerke, daß ich sie mit Boulle=Uhren ver¬
rischen Umarmungen menschlichen Erlebens?!
gleichen möchte. So herrlich sind sie in ihrer Struktur und so ver¬
Hierin erblicke ich die Tragik der Hofmannsthalschen Erscheinung
schwenderisch in der wohlberechneten Fülle ihres Schmucks. Und damit
und das Bedrohliche für die ganze Art von ästhetischer Kultur, als deren
Sie nicht meinen, daß ich des Dramatikers Leistungen unterschätze will
ragender Gipfel er sich uns darstellt. Unfruchtbarkeit ist das Schicksal,
ich bekennen, daß ich der „Elektra“ einen der überwältigendsten Kunst¬
das hier droht — Unfruchtbarkeit bei äußerlich glanzvoller Entfaltung
eindrücke meines Lebens verdanke; und daß ich es als einen meiner
und formal verblüffender Vollendung. Und darum sehe ich nicht ohne
schmerzlichsten Verluste empfinde, bisher „Oedipus und die Sphinx“ nicht
Bangen, daß Hofmannsthal Schule macht, daß er magisch anzieht und
gesehen zu haben.
fasziniert. Für viele hat er heute bereits die Geltung eines Klassikers
Trotzdem werfe ich die Frage auf: schenkt dieser Dichter uns neue
erlangt: ja, manche möchten am liebsten sagen: er sei als Klassiker auf
Visionen unseres Lebens? Wühlt und arbeitet in ihm eine Kraft, die,
die Welt gekommen. Sieht man nicht den Widersinn, der hierin liegt,
aus unterirdischen Quellen kommend, bisher verborgene Edelmetalle ans
und ahnt man nicht, wieviel Schweiß und Blut, ja wieviel Schmutz am
Ich wage nicht, ja zu sagen. Dafür hat mir die Ge¬
Licht schwemm
schmerzlich errungenen Klassikertum eine Goethe klebt? Und nichts bis
mann folgen.
samtheit der Homannsthalschen Dichtung zu viele Voraussetzungen. So
hiervon dürfte fehlen; auch der Schmut nicht! Ja, der vielleicht am
verleiht. Dort
reich sie ist, so lauter sie funkelt, sie ist doch überall bedingt und abge¬
wenigsten.
ist's molliger un
leitet. Sie ist durch und durch Kulturprodukt. Insofern also gewiß
Ich sehe in Hofmannsthal eine wundervolle Spätf#ucht, von solch
auch Repräsentant einer Kultur (hoch, höher, am höchsten), doß
eines leider nicht: kulturschöpferisch. Sie weist nicht in die Zu- I ebenmäßiger Schönheit, daß sie mich mit Wehmut erfüllt. Voll von 1 die zur Kunst