VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 15

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2. Cuttings
kunft, sondern sie baut sich zusammen aus Vergangenheiten. Sie ist ein
Museum aller schönen Worte, erlesenen Gefühle, durchgereiften Weis¬
heiten. Und schafft neue Museumstücke hinzu, voll aparter Einfälle, fein¬
studierter Wendungen, sinnvoller Abstufungen, reizender Ueberraschun¬
gen. Ueberall spüren wir das bereits Erreichte, nirgendwo das noch zu
Erreichende. Wir wissen uns in der besten und vornehmsten aller Ge¬
sellschaften, aber die Fenster sind geschlossen, und der Wildbach, der
draußen tobt, dringt nicht an unser Ohr. Oder wenn er es dennoch tut —
so ist sein elementarisches Wüten durch eine kunstvolle Stufenleiter von
Uebertragungen derart sinnreich in ein wohlabgestimmtes Tönen ver¬
wandelt, daß es ohne innere Schrecken uns ästhetisch ergötzt — wie ein
Rossinisches Gewitter.
So wird man denn sagen müssen, daß der Hofmannsthalschen Dich¬
tung das Erlebnis fehlt. Oder vielmehr, sie kennt nur ein einziges Er¬
lebnis: ihre eigene Entstehung. Gewiß, dies soll das letzte und höchste
Erlebnis jeder Dichterseele sein. Aber die Dichterseele ist doch nur der
innerste Kern einer Menschenseele, und erst, was diese durchmacht an
Bangnissen, Ungewißheiten, Seligkeiten und Schrecken, und alles, was
ihr aufgeladen ward an leidvollen Entbehrungen und schicksalsschweren
Verantwortungen, erst das formt für sie den Stoff innerer Erlebnisse,
der dann in den Berührungen und Reibungen mit der äußeren Welt
sich schöpferisch entzündet. Ich meine also dieses: eine Dichterseele muß
teilhaben am Leiden der Gesamtmenschheit, und gerade an ihren primi¬
tivsten und trivialsten Leiden, sie darf sich in der Hinsicht nicht unter¬
scheiden wollen, sie muß animalisch, elementarisch und geschwisterlich sein
das gibt ihr ihren höchsten Reichtum und schafft ihr ihren
lebendigsten Untergrund.
Gräbt man
bei
Hofmannsthal
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in die Tiefe,
spürt man von allem diesem äußerst wenig.
Hingegen sehr viel stößt man auf chevalereske Selbstbespiegelung; auf
ehrgeizige Selbsterziehung und Selbstaufstachelung; und, aus dem Reich
der Schmerzen, auf das dumpfverhohlene und bohrende Gefühl eines
kalten Alleinseins. Und was ist dieses Alleinsein anders als die trüb¬
selige Ahnung eines Ausgeschlossenseins von den warmen und zeuge¬
rischen Umarmungen menschlichen Erlebens?!
Hierin erblicke ich die Tragik der Hofmannsthalschen Erscheinung
und das Bedrohliche für die ganze Art von ästhetischer Kultur, als deren
ragender Gipfel er sich uns darstellt. Unfruchtbarkeit ist das Schicksal,
das hier droht — Unfruchtbarkeit bei äußerlich glanzvoller Entfaltung
und formal verblüffender Vollendung. Und darum sehe ich nicht ohne
Bangen, daß Hofmannsthal Schule macht, daß er magisch anzieht und
fasziniert. Für viele hat er heute bereits die Geltung eines Klassikers
erlangt; ja, manche möchten am liebsten jagen: er sei als Klassiker auf
die Welt gekommen. Sieht man nicht den Widersinn, der hierin liegt,
und ahnt man nicht, wieviel Schweiß und Blut, ja wieviel Schmutz am
schmerzlich errungenen Klassikertum eines Goethe klebt? Und nichts
hiervon dürfte fehlen; auch der Schmutz nicht! Ja, der vielleicht am
wenigsten.
Ich sehe in Hofmannsthal eine wundervolle Spätfrucht, von
selch
ebenmäßiger Schönheit, daß sie mich mit Wehmut erfüllt. Voll von
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kränklicher Süße, ist sie umzogen von einem leisen Hauch der Verwesung.
Je mehr sie mit prunkenden Lebensfarben prahlt, desto deut# wird
mir diese fühlbar. Weit beruhigter stehe ich da einem anderen Wiener
Dichter gegenüber, der die melancholische Koketterie besitzt, seine Figuren
mit Leichenblässe zu schminten. Herbst= und Abendstimmungen liebt
dieser Poet, letzte Sonnenstrahlen und sinkende Dämmerung. Trotzdem
pulst er innerlich von vielfältigem Leben. Ich spreche von Artbur
Schnitzler.
Auch Schnitzler ist für Wien in besonderem Grade repräsentativ.
Ich erblicke in ihm den höchsten und reichsten Typus des ganz von der
Seele Wiens durchdrungenen Judentums. Eine solch harmonisch ge
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steigerte Verbindung zweier scheinbar auseinander#revender, in der Ta
oft glücklich sich erganzender Rassen war natürlich nur möglich in einem
echten Poeten. Und das ist Schnitzler ganz und gar, und zwar ein
deutscher Poet. Er hat eine Schlichtheit, Herzlichkeit und Feinhörig
keit der Empfindung, die dem deutschen Gemüte überaus wohltut.
darum ranken sich in pikantem Kontrastspiel bereichernde Gaben: eine
kluge und zart sondierende Beobachtung, ein skeptisch betrachtender und
furchtloser Verstand, libellenhaft huschender Witz und träumerisch ver¬
sonnene Schwermut. Das Ganze ein überaus sympathisches Gemisch
Als Produkt und Repräsentant einer Kultur von Jahrtausenden
mag Hofmannsthal höheres Gewicht haben und tieferen Glanz. Aber
in Schnitzler sprudeln lebendigere Daseinsquellen. Gewiß ist auch er
ganz verwachsen mit Kultur und überall ist seine Sensibilität bis in die
letzten Differenziertheiten empor gediehen. Doch die Natur, als der
Untergrund seines Wesens, steht unangetastet da und verzweigt sich in
tausend feinen Baynen und Adern bis ins Herz seines Schaffens. Von
Haus aus ist Schnitzler nichts weniger als Aesthet; vielmehr war e#
ehedem Arzt. Das verschaffte ihm wohl seine bewunderungswürdige
Kenntnis der intimsten Eigenheiten der menschlichen Natur. Seine un¬
gemein hoch entwickelte Psychologie wurzelt ganz in physiologischem Be¬
greifen. Er kennt alle Gebundenheiten des Menschen, hat ein starkes
Gefühl für dessen stete Hilfsbedürftigkeit und einen witternden Spürsinn
für das, was helfen kann: sei's auch durch das Mittel eines unschuldigen
Betrugs.
So stoßen wir bei den Ursprüngen dieser Dichternatur auf ein tiefes
Mitleid. Aber dieses ist seltsam durchgeläutert und derart vergeistigt
daß gleichsam ein kühler, skeptischer Hauch davon ausgeht. Und in den
höchsten Schichten seines Bewußtseins hat dieser Dichter sein Mitleid
völlig überwunden. Da ist er klar, durchsichtig und kalt wie ein gletscher¬
entsprungener Bergstrom. Da ist er nichts als seine, ironische, ästhetisch
gerührte Weltbetrachtung. Da ist er durch und durch Artist und handhabt
die
Sprache mit köstlicher Meisterschaft, wie eine zarte Lanzette, mit
der er die subtilsten Nervenfäserchen im organischen Gewebe bloßlegt.
Bis in diese ibsenhaft=kühle Höhe wird dem Künstler wohl nicht jeder¬
mann folgen. Sie ist's jedoch, die ihm den letzten künstlerischen Adel
verleiht. Dort unten freilich, bei den Ursprüngen, ist's behaglicher, dort
ist's molliger und wärmer. Dort unten können alle kommen und staunen,
die zur Kunst überhaupt Zutritt begehren.