VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 19

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charakterisslende Essais geschrieben wperg
zur Kritik der Moderne“); aber gerade diese Essais
ist das
sind kaum Charakteristiken zu nennen. Es ist mir # den
nicht möglich gewesen, aus seinen eigenen Werken
das einheitliche Bild einer Persönlichteit oder einer
künstlerischen Entwicklung zu gewinnen. Eine Pro= 24 die
theusnatur, die immer wieder ein anderes Gesicht rgen¬
zeigt! Als Dichter erscheint er mir ohne eigene, ur- zun")
sprüngliche dichterische Begabung zu sein. Ueber das
Leben
junge Wien ist schon viel geschrieben worden. Wiene= ilungen
risches Wesen kommt in der melancholisch=leichten
Kunst eines Schnitzler und in der tiefsinnig=gra¬
ziösen eines Peker Altenberg (beider Werke
bei S. Fischer. Berlin) gewiß zum Ausdruck. Diese
zarten Dichterseelen schufen eine Kunst, die, wenn
irgend eine, den Namen Decadence=Poesie ver¬
dient. Auch Hoffmannsthal und Felix
Dörmann gehören zu ihnen. Es ist keine ober¬
flächliche Kunst. Sie zeigt originellen Stil und ist
gedankentief. Aber sie ist üppig emporgewachsen aus
den Reflerionen der modernen, komplizirten, egoisti¬
schen Seele, die sich nur mit sich selbst beschäftigt und
an nichts Großem sich begeistern kann, weil sie die
Nichtigkeit alles Seienden durchschaut. Alle naive
Kraft, alle naive Freude am großen, zukunftsfrohen,
hoffnungsvollen Leben, alle Fühlung mit der Volks¬
seele ist diesen Dichtern in ihrer steten Beschäftigung
mit der Kunst und ihrer Seele, mit dem Ausdruck
und mit der Sprache abhanden gekommen. Sie sind
Artisten geworden. Darum ist ihre Kunst undeutsch
und unfruchtbar, formell und inhaltlich Decadence¬
Poesie, eine Poesie der Seele, nicht des Gemüthes,
eine Poesie für den Salon und nicht für das Volk.
Kraft und Leidenschaft fehlt ihr, positive Weltan¬
schauung und ursprüngliche, starke Phantasie. Der
Boden, auf dem sie gedeiht, ist die Ueberkultur. Diese
Dichter, die mehr Künstler als Dichter sind, lieben
das Leben, dessen sie überdrüssig sind, und sie lieben
es stets aufs neue, weil sie hoffnungsarm sind, weil
sie das Herannahen eines neuen, starken Geistes
fürchten, der sie unbarmherzig hinwegsegen wird wie
ein erfrischender rauher Sturm. Sehr viel Aehnlich¬
keit hat die wienerische Kunst mit der französischen.
——
Allein diese Aehnnchkeit berüht auf einer esgenartigen
Verwandtschaft der künstlerischen Temperamente und
auf Gleichartigkeit der Kulturen, weniger auf Nach¬
ahmung und Beeinflussung. Im einzelnen bietet
diese feine Kunst dem modernen Menschen sehr viel.
Schnitzler's „Liebelei“ und feine „Anatol“=Szenen wie
einige seiner Novellen sind Meisterwerke einer feinen
realistischen Milien= und Seelenpoesie. Altenberg er¬
zielt oft mit seinen raffinirt einfachen Mitteln starke
und tiefe poetische Wirkungen. Ich glaube aber, daß
in dem Genusse hieran nur der Geschmack der Zeit,
die eine Uebergangszeit ist, sich offenbart. Hoff¬
mannsthal hat entschieden viel von Goethe gelernt.
In seiner Kunst zeigt sich verbunden mit einem durch¬
aus persönlichen Stil eine Frühreife, eine Formenrein¬
heit und Schönheit und Bedeutsamkeit des Ausdruckes,
eine einfache Fülle der Worte, die entschieden an Goethe
erinnert. So offenbart er sich aber nur in seinen
besten Stücken. Er ist tief in der einzelnen Idee wie
Ein Kritiker (Alfons
in seiner Weltanschauung.
Fedor) charakterisirt dieselbe folgendermaßen: „In
konzentrirtester Fassung setzt er eine Lebenswahrheit
neben die andere, durchaus in dem abgeklärten, seeli¬
schen Rhythmus Goethe's. Und es waren jene im
Grunde so alten Lehren der naiven ästhetischen Welt¬
anschauung, wie sie in Hellas ihre Blüthe gehabt hatte,
die Goethe in seinen spateren Jahren zum Mittelpunkt
seines Lebens und seiner Kunst wurden und die uns
Nietzsche auch wieder zum Bewußtsein bringen wollte.
Die unmittelbare sinnliche Anschauung der Welt gab
die Basis dafür ab, in dem „schönen Schein“ von dem
die Métaphysik oft wie von einem verlorenen Para¬
dies spricht, die Schönheit zu sehen — und nicht den
Schein, der als solcher ja auch nur intellektuell „er¬
kannt“ werden konnte; die Erscheinungen des Lebens
einfach und naiv als Erscheinungen zu nehmen, ohne
nach ihrem Grunde oder nach ihrem Zwecke zu fragen,
sie unmittelbar auf sich wirken zu lassen und sich dabei
nur erfüllt zu wissen von dem umfassenden Gefühle
der Harmonie, in welcher jene Erscheinung mit seinen
Einzelheiten, mit dem Beschauer (was demnach zu¬
sammenfällt!) und mit dem All steht.“ Ich wieder¬
hole, daß eine derartige Lebensauffassung in den besten
Dichtungen H.'s sich spiegelt, in anderen dagegen ist
er um so barocker, um so unklarer, und was bei Goethe
und Nietzsche als Stil und ursprünglichste Offen¬
barung der Persönlichkeit erscheint, das erscheint bei
H. oft als Manier.