VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 20

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2. Cuttings
Der Bazar.
Arthur Schnitzler.
Der erste große dichterische Erfolg der diesmaligen Theater¬
saison ist verknüpft mit dem Namen Arthur Schnitzlers
des gegenwärtig hervorragendsten österreichischen Poeten. Sein
Einaktercyklus „Lebendige Stunden“ ist das Bedeutendste
und Wertvollste, was die im September v. J. begonnene neue
Spielzeit geboten hat. Anfang Januar ist das Werk im
„ Deutschen Theater“ in Berlin erschienen und sein anhaltender
Erfolg ist ein vollauf verdienter. Der erste Einakter hat dem
ganzen Cyklus seine Bezeichnung gegeben: „Lebendige Stunden“
Das Thema, das darin angeschlagen, wiederholt sich in wunder¬
vollen Variationen in den anderen Stücken — der „Frau mit
dem Dolche“, den „Letzten Masken“ dem satirischen Lustspiel
„Litteratur“. Lebendige Stunden — sie leben doch nicht länger
als der letzte, der sich ihrer erinnert. Darum kann der junge
Dichter im ersten Stück ihren Wert so hoch nicht schätzen
vor ihm liegt noch Ziel und Streben und sein Dichterberuf,
solchen Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hinaus.
Freilich wird das nur einem wirklichen Dichter gelingen, nicht
den im Schlußspiel Litteratur“ geschilderten Dichterlingen,
die schon Lebendiges zu geben glauben, wenn sie ihre Seelen
entblößen statt sie zu offenbaren. Und wiederum Dichter¬
psychologisches behandeln die Gegensätze im ersten und im
zweiten Stück
die schwer leidende Mutter die freiwillig
den Tod sucht, um ihren Sohn von der sein dichterisches
Schaffen lähmenden Last zu befreien, und dann die Frau, die
eine Art Gegenstück zu Charlotte Stieglitz, mit dem Gedanken
der Opferung spielt, um den Gatten durch den Schmerz zu
einem großen Dichter aufzustacheln. Die Mutter sucht den
Tod um des Lebenden willen, ihre Liebe hat auch nach
dem Tode noch Beziehungen zu ihrem Sohne. Wo diese
Liebe aber fehlt, wo nur der Haß herrscht, da zeigt sich, wenn
die „Letzten Masken“ fallen, daß keine Beziehung mehr be¬
steht zwischen dem, der morgen sterben wird und denen, die
noch leben werden. „Und was gehen den dem Tod schon
Geweihten die Sorgen der noch kommenden lebendigen
Stunden an?“
So schlingt sich um diese mit einem elegischen Andante
beginnenden und mit einem prächtigen Scherzo ausklingenden
vier Dichtungen ein Einheitsgedanke, den Schnitzler oft schon
in seinen Novellen gestreift — das Ineinanderspielen von
Stimmungen auf dem schmalen Steg zwischen Leben und
Sterben. Und auch hiervon abgesehen ist eine Gedanken= und
Gefühlsbrücke von einem Stück zum anderen geschlagen. Der
Dichter hat hier sein Bedeutsamstes gegeben, so viel Eigen¬
artiges und Schönes wir auch bisher schon von ihm be¬
saßen.
Arthur Schnitzler, geb. 1862 in Wien und dort eine Zeit
lang als praktischer Arzt thätig, ist in erster Linie Seelen¬
schilderer. Von der Novelle kam er in seinem „Anatol“ zur
dialogischen Novelle und von ihr zur dramatischen Form.
Es steckt ein in bestem Sinne wienerischer Zug in seinen
Schöpfungen. Seine Art ist am besten so zu charakterisieren,
wie er einmal eine seiner Heldinnen schildert: „Sie erinnert so
an einen getragenen Wiener Walzer — sentimentale Heiter¬
* lächelnde, schalkhafte Wehmut — das ist so ihr Wesen.“
keit -
Aber allmählich ist Schnitzler darüber hinausgewachsen. Er
hat über Wiener Stimmungen hinausgegrissen und hat z. B.
im Grünen Kakadn“ den Weg gezeigt, auf dem wir wieder
zu einem historischen Drama kommen könnten. Ph. St.
(Nr. 6. 9. Februar 1902. 48. Jahrgang.]
E. Bieber, Hofphot., Berlin-Hamburg.
Arthur Schnitzler.
Aus der New Torker Gesellschaft.
Von Rose Julien.
Nachdruck verboten.
(ILeber die amerikanische Gesellschaft bestehen im Auslande
A die wundersamsten Vorstellungen, weil jene Kreise, mögen
sie auf Reisen auch noch so international verkehren, sich
daheim allen außerhalb stehenden Elementen völlig verschließen.
Im Auslande hat sich um die „oberen Vierhundert von
New York“ eine Art Nimbus gebildet. Auf goldenem Grunde
erscheinen sie, die vielgenannten Vertreter der Milliardär= und
Millionärdynastien und eine Fülle von Sagen, aus Wahrheit
und Dichtung gewoben, erzählt von ihrem Reichtum, ihren
Extravaganzen und zugleich von ihrer philanthropischen Gro߬
mut. Alles ist in diesem Umfange meist schwindelerregend
für deutsche Gemüter und entspricht übrigens auch nicht immer
ganz der Wahrheit
denn solche Meldungen kommen zu
uns durch das Medium der amerikanischen Zeitungen, die sich
in Sensationsnachrichten gefallen.
Das vielverbreitete Wort von den „oberen Vierhundert“
trifft übrigens für New York gar
Es giebt mehr
nicht mehr zu.
als „Achthundert“, die das Recht
haben