VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 23

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„DER AUTOR“. ZEITSCHRIFT FUR LITERATUR UND KUNST.
1902.
uns noch immer so ungern die Wahrheit hören will. Und die Wahr¬
lichen Herzense nennt. Auch in seinem grössten epischen Werke, im Ro¬
heit ist es, die Schnitzler uns in seinen Dramen sagt, die ganze,
mane -FrauBerthaGarlane beweist sich die poetische Kraft,
nackte Wahrheit. Ich kann natürlich auch hier nur einige Motive aus
die in Schnitzler liegt. Und noch eines. Er ringt nach neuen Formen,
dem ganzen Melodieenschatze bringen, aber die paar Beispiele sollen
Gleich den Sängern des Mittelalters, die ihre Weisen sich selbst
zeigen, was Schnitzler uns als Dramendichter zu sagen weiss und
schufen, greift Schnitzler nicht gerne nach alten, abgebrauchten For¬
wie er es zu sagen weiss.
men. Er teilt seinen Roman nicht in Capitel mit Ueberschriften, er
Das Mädchen, das liebende, gefallene Mädchen, ist sein Schütz¬
lässt ihn leicht aus der Feder fliessen, ohne allen Zwang im Bau,
ling. Meine Natur — — bin ich denn deswegen gemein? lässt er
ohne eine literarische Architektonik, die den Eindruck machen könne,
Fanny zur Schwester im Märchen: sagen, -Aber das ist eine
dahinter sei das Eisengerippe, das die Façade halte. Und dabei fin¬
Gemeinheit, so einen widerwärtigen Menschen zu heiraten, weil er
den wir uns überall so zu Hause. Die Carlskirche, das Conserva¬
einen versorgen kann ... Nur darum!.
torium, die Paulinerkirche, der Ring, die Elisabethbrücke, ja der Bau
Freilich, das hören die Leute nicht gerne, denn es fühlen sich
der Wienflussregulierung — das alles gibt Schauplätze der Hand¬
gar so viele betroffen, Herren und Damen aus den schönsten Kreisen.
lung. Ist’s eigentlich eine? Ist’s nicht wieder mehr Fühlen, mehr
Solche Aussprüche stempeln die Personen der Schnitzlerischen Dra¬
Empfinden? Ein lyrischer Roman, so paradox es klingen mag.
men zu Typen. Und das sind sie auch. Wenn er dem Maler Robert
Diese Sehnsucht der Witwe nach dem Jugendgeliebten, der nun
in den Mund legt: -Was richtet Ihr aus mit Eurer Anbetung? Ihr
ein berühmter Virtuose ist, wie rührend ist sie in ihrem Er¬
schafft euch künstliche Schmerzen .. Ich beneide Euch nicht darum.
wachen, in ihrer Entwicklung, in ihrer Erfüllung, in ihrer grausamen
Ihr werdet mir die elementare Freude an meiner Ninette nicht ver¬
Enttäuschung gezeichnet. Und wie originell weiss der Dichter das zu
gällen — und ebenso wenig die Freude an meinem Schaffen. —
geben. Sie hat ihm von ihrem Landneste aus, wo sie wohnt, zu einem
Schmerzlose Liebe — schmerzlose Begeisterung, — die
Orden gratulirt, den er bekommen, und wirklich, wie sie’s geträumt,
Dinge nehmen, wie sie sind, — hinaus über alles! Uber der Em¬
gleich Antwort bekommen. Und nun will sie ihm gleich wieder
pfindung steh'n! Mit solchen Worten ist nicht nur der Charakter
schreiben..Mein lieber Emil! Es ist sehr liebenswürdig von dir,
Roberts gezeichnet, eine Weltanschauung liegt in ihnen, ein Typus.
mir so bald zu antworten. Ich war ganz glücklich — sie strich eganz
Und wie blitzen erst die Streiflichter durch in den Dialogen zwischen
glückliche wieder aus und setzte dafür esehr erfreute, als ich deine
den Schriftstellern Fedor und Leo mit dem Beamten Wandel, der uns
lieben Zeilen erhielt. Wie vieles hat sich verändert, seit wir uns nicht
das gedankenlose Vorurteil personifizirt!-Wir haben uns einmal das
gesehen haben! Du bist seitdem ein berühmter Virtuose geworden,
schöne Recht der Sünde herausgenommen, sagt Fedor, -und wenn
was für mich niemals einem Zweifel unterlage — sie hielt inne und
uns ein Mädchen einmal dieser Sünde wegen verschmähte, so wäre
strich den ganzen Satz wieder aus. -Auch ich theile den Wunsch,
sie gerade so lächerlich, — als wir, wenn wir sie ihr einmal ver¬
Dich bald wiederzusehen: — nein, das war ja ein Unsinn! Also
ziehen ... Woher nehmen wir nur das Recht, jedes Weib für recht¬
sauch mir wäre es riesig angenehm, wenn ich dich wieder einmal
los zu erklären, das die Kühnheit hatte, zu lieben, bevor wir erschie¬
sprechen könntes-.. Ist’s nicht als ob der Dichter in jede Falte
nen? Es ist Zeit, dass wir es aus der Welt schaffen, dies Märchen
dieses Frauenherzens hineinleuchtete? Die Detailmalerei, wie sie nun
von der Gefallenen!: Ein Faustschlag ins Gesicht. Und nun die
zum ersten Rendezvous in die Stadt hereinfährt, ihre Träume im
Handlung. Auch sie wird zur beissendsten Satyre. Fanny richtet sich
Coupé, das einsame Gefühl im Hotelzimmer, die peinliche Wahl ihrer
nach diesen Worten ihres Geliebten und enthüllt ihm ein vergangenes
Toilette am Morgen, wo sie ihn nun nach 10 Jahren wieder sehen
Abenteuer mit einem andern. Und er? Er fühlt die Macht des =Mär¬
soll, jede geheimste Regung ihres dürstenden Herzens, das alles ist
chens- und das furchtbare Dilemma in dem er nun steckt.
mit einer natürlichen Leichtigkeit hingeworfen, die den Leser mit¬
Sie heiraten? „Weisst Du, wer ich dann bin? Der, der schliess¬
reissen muss, selbst dort, wo diese Leichtigkeit flüchtig zu werden
lich hängen geblieben ist. Er, Arm in Arm mit seiner Frau, begegnet
scheint. Schnitzler ist keine Beamtenseele, die das eigene Opus
mir mit ihr. Kennst Du dieses Lächeln?“... Oder aber, „auch einer
peinlich nachrevidirt, zehnmal umarbeitet und mit dem evigen Feilen
sein? Einer, genau wie die andern.. Dessentwegen man sich dann
und Verbessern nicht zu Ende kommt. Er malt in kräftigen, frischen
auch nicht umbringt? Wie?
Zügen und ist seines Zieles sicher, er weiss, dass er nicht für jene
Und er windet sich los. Er geht verstohlen wie ein Feigling,
schreibt, die ihm irgend eine kleine Monotonie oder einen etwas hol¬
er ist ja einer, — genau wie wir alle, wenigstens die meisten. Und
perigen Satz als Todsünde anrechnen. Er beweist an hundert anderen
Fanny hat den Schlussaccord: „Und ich bin wehrlos. Und auf immer
Stellen, was er kann. Er will nicht an Worten gemessen sein, er
muss ich verloren sein? Und man darf mich verlassen wie eine — —“
will verstanden sein in seinem Inhalt, in seiner Tendenz. So auch hier.
Ein Dichter, der seine Leier mit so kräftigen Saiten bespannt, wird
Frau Bertha findet den Geliebten, sie verbringt mit ihm eine seiige
freilich immer seine Feinde haben, die da sagen werden, er liebe den
Nacht. Aber als sie ihn öfter sehen will, weiss er auszuweichen. Er
Kot und dergleichen. Aber sehen wir uns diese Feinde nur an, dann
schreibt ihr: rrichte Dir’s doch so ein, mein Kind, dass Du alle 4—6
wissen wir auch, warum sie es sind. Es sind die Beleidigten, die
Wochen einen Tag und eine Nacht nach Wien kommste. Nun fällt
Getroffenen. So ist es Schillern ergangen mit den „Räubern“, so
die ganze Wucht der Enttäuschung auf die Arme. Nun hatte sie ihm
hat es schon Lessing erfahren mit der „Emilia Galotti“, so war’s schon
geschenkt, was sie ihm als Mädchen geweigert, und nun sah er in ihr
bei Euripides, der nach Makedonien fliehen musste, weil er den Athenern
einen Zeitvertreib, einen Lückenbüsser, wenn er nichts anderes fand.
zu viel Wahrheiten sagte. Und haben sich seither die Menschen geän¬
Und wie schön klingt nun das Ganze aus. Frau Rupius, ihre Freundin,
dert? Das Kleid vielleicht und die Gewohnheiten, ihr Wesen ist noch das¬
liegt im Sterben, sie hat hinter dem Rücken des siechen, lahmen
selbe. Warum also sollte Schnitzler nicht seine Feinde haben? Warum
Mannes ein Verhältniss gehabt und die Furcht vor dem neuen Leben,
sollten sie ihm nicht ebensowohl zur Folio seines Wertes dienen wie
das sich in ihr zu regen begann, trieb sie in den Tod. Da steht nun
jenen grossen Meistern ihre? Man hat es nach den Aufführungen von
Frau Bertha und denkt mit Schaudern an sich selbst, das erstemal
„Liebelei“ gesehen, wie entrüstet sich manche zu geberden
seit jener Nacht, zund sie ahnte das ungeheure Unrecht in der Welt,
wissen, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Und doch, wie trefflich
dass die Sehnsucht nach Wonne ebenso in die Frau gelegt ward, als
war’s auch dort gezeichnet, das muntere Quartett Fritz, Theodor,
in den Mann; und es bei den Frauen Sünde wird und Sühne fordert,
Mizzi und Christine. Was für prächtige wienerische Typen! Aber wie
wenn die Sehnsucht nach Wonne nicht zugleich Sehnsucht nach dem
eine schwere Gewitterwolke zieht’s herauf, wie ein Blitz trifft's ins
Kinde ist -
junge Glück des Mädchenherzens, als sie erfährt, dass ihr Fritz im
Der Dramatiker Schnitzler ist vielleicht mehr bekannt,
Duell gefallen, im Duell mit dem Manne seiner Geliebten. „Und ich.
als der Epiker, denn besonders sein Schauspiel -Freiwild-, das
was bin denn ich? Was bin denn ich ihm gewesen?“ bricht sie
die Sitte beleuchtet, den Mädeln nachzusteigen und sie wie ein
aus. „Theoder.. haben Sie denn gar nichts für mich.. hat er nichts
Wild gleichsam zu jagen, wie -Liebeleis sind den meisten von
niedergeschrieben..? Hat er Ihnen kein Wort für mich gesagt., haben
den Aufführungen her geläufig. Es dürfte auch noch in Erinnerung
Sie nichts gefunden.. einen Brief,. einen Zettel?“
sein, welchen Anfeindungen der Dichter wegen dieser Schauspiele
Aber nichts. Er ist schon begraben, als es ihr Theodor zu be¬
ausgesetzt war, wenn es gleich schwer erklärlich ist, dass man bei