VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 24

1902.
„DER AUTOR“. ZEITSCHRIFT FUR LITERATUR UND KUNST.
Seite 4.
Das Stück ist prachtvoll, aber freilich, rothe Striche verträgt es
richten kommt, denn sie hätte ja nicht dabei sein dürfen, man hätte
nicht, die sind aber bei uns an der Tagesordnung.
ja gefragt, wer sie denn wäre?
Die Tetralogie-Lebendige Stunden-, die uns die Ber¬
Mag sein, dass solche Dramen das Publikum nicht so amusiren
Ener heuer im Carltheater gebracht, ist noch in zu frischer Erinnerung,
als die Operetten, an die man es gewöhnt hat, — aber gesünder
als das ich sie hier näher behandeln soll, auch ist darüber die letzte Zeit
wären sie ihm jedenfalls. Es sähe in einem Spiegel die Verkommen¬
ohnehin von berufenerer Seite viel geschrieben worden. Schnitzler
heit der Gesellschaft und den Triumph der Lüge und vielleicht würde
hat nur aufs neue den Beweis erbracht, dass er ein Dichter im
es besser. Es ist ja schon etwas, wenn man anfängt, nachzudenken.
vollsten Sinne des Wortes ist, und wenn wir eines seiner Bücher zu¬
Aber freilich, wenn der Dichter nicht reden soll..
klappen, da bleibt es immer wahr, was er seinen Cyprian im -Para¬
Man weiss noch die Geschichte mit dem „Schleier der
celsuse sagen lässt:
Beatrice“ im Burgtheater. Anfangs angenommen, lehnte man das
Ein Sturmwind kam, der hat auf Augenblicke
Stück plötzlich ab, angeblich einer hochstehenden Persönlichkeit zu
Die Thore uns’rer Seelen aufgerissen,
Liebe. Und warum denn eigentlich diese Komödie? Weil in dem
Wir haben einen Blick hineingethan...
Stücke einige gewagte Scenen und Worte vorkommen, die man ganz
Es ist vorbei, die Thore fallen zu ....
gut hätte streichen können? Oder, weil ein Herzog sich in ein bür¬
Und das kann man nicht von allen sagen, die sich heute zu den
gerliches Mädchen verliebt und ihr nun einen glänzenden Antrag
Dichtern zählen.
macht, sie aber einfach erwidert:
- ich will nur dies,
*
Dass man mich morgen Früh nicht schmähen darf
Als Dirne-,
und er sie nun heiratet? Sei es nun wie immer, das Stück ist ge¬
wiss nur ein Gewinn für jede Bühne, wenn es gleich nicht das ein¬
Ein böser Ehrentrunk.
wandfreiste ist, das Schnitzler geschrieben. Es hat ja grosse Schön¬
(Nachdruck verboten).
heiten, eine edle Sprache und der wahre Poet verleugnet sich auch
hier ganz und gar nicht. Aber dennoch hat man den Eindruck, als ob
Der Grossbauer Fudermann war vor Glück dem
uns der Dichter, den wir im Wienerkleide gewohnt sind, in einem
Sterben nahe. Fürst Johann der XXII., der leibhaftige re¬
Stücke das in Bologna im Beginne des 16. Jahrhunderts spielt, etwas
gierende Fürst, hatte auch den lieben Fudermann zur Tafel
fremd vorkäme, denn seine Charaktere sind fast wieder wienerisch
und reden nun von Cesare Borgia und vom drohenden Krieg mit
geladen, die aus Anlass des glücklich vollendeten Baues
ihm. Wir finden wieder Schnitziers Lieblingspersonen, einen Dichter
der Dorfkirche stattfand, zu welcher der Grossbauer 40,000
der für eine starke Leidenschaft schwärmt, und ein Mädchen, das ihm
blitzblanke Ziegel gespendet und zugeführt hatte. Fuder¬
seinen Wunsch erfüllt. Aber als ihm das Mädchen, Beatrice, erzählt,
mann war stolzer denn je; kaum, dass er dem allerorts
dass sie geträumt, des Herzogs Braut zu sein, da jagt sie Filippo,
geehrten und sogar mit einem silbernen Kreuzlein emeri¬
der Dichter, fort. Und der Traum erfüllt sich. Beatrice wird Herzogin.
tierten Schullehrer, der die wohlverdiente Pension im
Aber noch während des Festes, das ihr junger Gatte gibt, schleicht
sie zu Filippo
Dörfchen seiner einstigen Wirksamkeit genoss, auf den
Sieh, ich bin da,
zuvorkommenden Gruss dankte.
-Bereit mit dir den letzten Wegzu geh'n! — Doch ertrinkt das
Das verdross dessen jüngsten Sohn Hanns, ein flotter
Gift allein und sie flieht mit Entsetzen von der Stätte des Todes.
Studio, der gerade daheim auf Ferien war.
Der Herzog vermisst an Beatrice den Schleier. Sie führt den Gemahl
Hört mal, Grossbauer! Euch ist zu gratulieren mit
vor die Leiche Filippos, wo#ie ihn liegen gelassen. Ungeheure
Strafe scheint ihr Loos. Doch der Herzog begreift das Mädchen:
der Fürstentafel! So weit wäre ja Alles recht schöng redete
Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
ihn Hanns am nächsten Morgen an, Aber wisst ihr denn
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
auch, wie man sich bei einer solch führnehmen Tafelei zu
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
benehmen hat?
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Fudermann stutzte und kraute sich hinterm Ohre.
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
2
-Und leidens nicht, und jeder von uns wollte
Ihr meint
Nicht nur das einz’ge Spielzeug sein, nein, mehr!
Freilich! Das ist nicht so einfach, Grossbauer! Seht,
=Die ganze Welt. So nannten wir dein Thun,
der Fürst ist aus einem ganz besonderen Geschlechte, mit ganz
Betrug und Frevel — und du warst ein Kindle
besonderem Privileg. Von dem, den ei zum erstenmale zur
Beatrice bittet den Herzog um dem Tod, aber der Edle gibt
Tafel lädt, wird ein kerniger Trinkspruch gefordert. Für
sie frei. Da stösst ihr der Bruder den Dolch ins Herz, er hat kein
Wochentage das ist euer Fall — heisst er: Ich trinke
Verständnis für die Sünden der Schwester.
auf das Wohl Seiner fürstlichen Hoheit!.
Schon im Einakter - Paracelsuss und in der Groteske =Der
grüne Kakadus arbeitete Schnitzler mit historischem Milieu und ich
Fudermann, im Innersten froh durch den grundge¬
möchte gerade dem letzteren Stücke den Preis zuerkennen. Die Spe¬
lehrten Studio Hanns noch rechzeitig informiert zu werden,
lunke das Prospere, der einst ein Schmierendirektor, nun Wirth ist
murmelte einigemale den Wochentags-Trinkspruch nach
und seinen -Schauspielerne zu bedenklichen Rollen Gelegenheit gibt,
und schüttelt das Gruseln ab. Redner war er wohl nie ge¬
dieses Stammpublikum von Adeligen, unter denen selbst der Herzog
von Cadignan nicht fehlt, dieser Hintergrund mit dem Grollen der
wesen, doch die 8 Worte würde er sich merken. Also tröstete
grossen Revolution, das alles ist prächtig gezeichnet. Und höchst
sich der Grossbauer insgeheim.
wirksam und nicht im mindesten den Ausdruck des Natürlichen ver¬
Cebt nur fein achte rieth der Studio weiter „bis die
letzend ist der Ausklang. Henri erzählt, dass er den Herzog bei sei¬
Schalen mit dem besonderen Ehrengetränk kommen. Die
ner Frau ertappt und ermordet habe. Aber diese Lüge enthüllt ihm
anderen Gäste, so will’s das Privileg nämlich, greifen mit
die Wahrheit. Eben schreit draussen dass Volk durch die Strassen,
und der Wirt meint: Jetzt brauchst du dich nicht mehr zu fürchten,
den Fingern hinein und wischen sich diese säuberlich ab.
ich hätte es dir schon vor einer Stunde sagen können, dass sie
Ihr aber, Grossbauer, als Erstgeladener, steht auf, leert die
die Geliebte des Herzogs ist ... Da kommt er selbst, der Herzog.
Schale herzhaft bis auf den Grund und ruft vorher: sich
Henri rennt ihm den Dolch in den Hals und an der Leiche
trinke auf das Wohl Seiner fürstlichen Hoheit!e
brüllen sie: Es lebe die Freiheit!