VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1899–1902, Seite 25

box 37/2
2. Cuttings
1. Beiblatt zum General=Anzeiger für die gesamten Interessen des In
Berlin, Donnerstag, den 13. November 1902.

Nr. 11.


hat diese beiden Typen eig
Kunst nicht genügen, weil sie nicht von heute ist. Sie wollen
Selbst wo er andere Chara#
die eine und die andere nicht missen. Sie wollen beides,
füllt jene Welt wenigstens d
die österreichische Farbe und den Geruch des Tages.“
Wiener Gesellschaft, mondain
Diese Dichter haben eine ängstliche Scheu vor der Wahrheit.
und Lebemänner mit ihren
Ein Sabbathpsalm.
Sie wagen dem brutalen Zeitgeist nicht entgegenzutreten.
und die „süßen Mädel“ der
Sie leben in Träumen und Stimmungen. Sie lieben das
Psalm 126.
„leichtsinnig=melancholische“
Augenblickliche, die feinen Genüsse der Seele. Bilder,
An jenem Tage aber wird es sein,
war seine Welt! wir werd
Phantasicen, Reflexionen, Stimmungen in der Form von
Als bannte uns ein lichter, schöner Traum.
Jahren danach lingt, sein
Novellen, Skizzen, dramatischen Seenen und zarten
Es flammt der morgenrote Sonnenschein
Immerhin sind die
lyrischen Gedichten — das ist ihre Kunst!
Als Freiheitsfackel auf am Himmelssaum:
Liebelei“, frühere Dicht
An jenem Tage klingt von Nord und Süd,
Noch ein anderes Wesen offenbart sich in alledem:
nicht seine eigenartigsten un
Von Ost und West ein einz'ger Jubelschrei,
die meisten, wenigstens die bekanntesten und begabtesten
Anatol=Szenen hängen
Ein Sabbathpfalm, ein frohes Hochzeitslied:
Die hohe Kultur ihres
dieser Dichter sind Juden.
sammen. Sie behandeln d
Der Herr hat uns erlöst, und wir sind frei!
Volkes offenbart sich in ihren Schriften, aber auch
jungen Anatol. Die zweite
ein melancholischer, kritischer Geist, eine tiefe Skepsis
nen wiederkehrt, ist der F#
Ein Meer von Tränen haben wir vergossen
neben einer aus unverstandenem Herzen plötzlich und jäh
Figur. Er ist der verstän
Und viele sind es, die für Zion starben;
emporquellenden weichen Empfindung. Es ist eine re¬
Pylades, jener der weichh
Doch unsre Saat ist herrlich aufgesprossen
signierende und geistvolle sinnreiche Kunst der Träume,
ling, der rechte Repräsentan
Und reich und golden stehen unsre Garben
Stimmungen und Allegorien, eine von jeder groben Sinn¬
pflückt Anatol eine Illusion
die
Frei liegt vor uns das Land im Morgenglüh'n,
lichkeit freie und daher geistig vornehme Kunst,
lockt ihn das Leben und die
Das unsre ahnungsüßen Träume schauten,
gerade in diesem Wesen die Eigenart des süddeutschen ge¬
er entnüchtert zu sich zurüch
Und purpurrote, junge Rosen blühn,
bildeten Juden zeigt.
den Glauben an alles, vor
Wo unsre heißen Tränen niedertauten.
ernsten Arbeit ist er nicht
Der glücklichste und begabteste Dramatiker des jungen
hältnisse mit Kokotten und
Wien ist jedenfalls Arthur Schnitzler Seit den
Still ruht der Sabbathfriede auf dem Land;
einzelnen Szenen in graziö
erfolgreichen Aufführungen seines Dramas „Liebelei“ an
Im tiefsten Glück versinken die Gedanken,
findet er ein wirkliches letz
den besten europäischen Bühnen, gehört er zu den inter¬
Und eine schlanke, feine Mädchenhand
der Vorstadt: das „Süße
nationalen Berühmtheiten. Er ist am 15. Mai 1862 in
Kränzt deine Stirn mit frischen Blumenranken.
dieses Verhältnisses entdeck
Wien geboren. Sein Vater war der bekannte Professor
In tiefgeneigte Zweige hüllt dich ein
Züge Anatols und seines 2
der Laryngologie. Der junge Schnitzler studierte Medizin
Mit deinem Glück ein blütenschwerer Baum —
nigkeit weiß Schnitzler die
in Wien, war darauf eine zeitlang am Krankenhaus in
An jenem fernen Tage wird es sein,
Volke zu schildern. Anato
Wien und später an der Poliklinik tätig. Seit etwa zehn
Als bannte uns ein lichter. schöner Traum.
Zärtlichkeit seiner sehnsücht
Jahren lebt er als praktischer Arzt in Wien. Schnitzler hat
Dolorosa.
ihrem kleinen Zimmer draß
von frühester Jugend an geschrieben. In die Oeffentlich¬
X
Blumentöpfen am Fensterk
keit ist er spät getreten. Die ersten Novelletten, Gedichte,
vielen Dächer. Uebrigens
Dialoge veröffentlichte er 1886 und 1889 in der Zeit¬
eine Frivolität finden.
Arthur Schnitzler.
schrift „An der schönen blauen Donau.“
nicht als Sünde. Sie lebe
Nicht alles, was Schnitzler geschrieben hat, ist g.##
Traum einer untergehendes
Die junge Wiener Kunst ist eine Poesie der feinen,
wertig. Bahr charakterisiert ihn sehr richtig in seinen
Ich übergehe das näch
individuellen Empfindung, der Nüance, der zarten und
„Studien“ (Verlag Rütten & Loening, Frankfurt a. M.):
ma: „Das Märchen“
zierlichen Formen, sie ist eine Kunst für die Kunst, weniger
„Was er bringt, ist nichtig. Aber wie er es bringt, darf
teristik der Personen und
eine Kunst der Persönlichkeit und der frischen oder innigen
gelten. Die großen Züge der Zeit, Leidenschaften, Stürme,
ist ein Thesenstück, das wer
allgemeinen Empfindung. Entschieden läßt sich in ihr der
Erschütterungen der Menschen, die ungestüme Pracht der
Das Drama „Lieb
Geist der österreichischen Nation erkennen, jenes süddeutsche
Welt an Farben und an Klängen ist ihm versagt. Er
gemacht. Ich will es in
lebhafte und zugleich leicht ermüdende, sanguinische und
weiß immer nur einen einzigen Menschen, ja, nur ein ein¬
suchen. In diesem Stückel
zugleich melancholische Wesen. Hermann Bahr, einer ihrer
ziges Gefühl zu gestalten. Aber dieser Gestalt giebt er
deutsche Volkstypen. Chrik
Hauptvertreter, sagt einmal über diese Dichter etwas pa¬
Vollendung.“ Seine Eigenart ist die Grazie, mit der er
chengestalten, welche die m
thetisch:, Sie wollen österreichisch sein, aber österreichisch von
#alles erzählt und hinplandern läßt, der feine Dialog und
ist das naiv liebende Mäd
jetzt. Das ist der dunkle weite Drang, der sie über das
eine einfache doch charakteristische Sprache. Er liebt dann
Seele. Ihre erste Lieben
Herkommen treibt und doch auch wieder vor den französi¬
und wann die geistreiche Phrase, ja, er verschmäht die kon¬
Als männliche Hauptcharal
schen und russischen Mustern warnt . . . . Sie können sich
ventionelle Pose nicht. — Seine künstlerische Welt ist die des
und der Freund auf. Dell
an der neuen Kunst von heute nicht genügen, weil sie nicht
Wiener Lebemannes und der Wiener Grisette. Schnitzler
österreichisch ist; und sie können sich an der österreichischen
in diesem Aufsatz vermissen
Judenheit gegeben werden, wie ich ganz unabhängig davon
da Satz an Satz ohne inner
meine Anschauungen über das Wesen des „Judentums“
Der „jüdische Almanach“.
nur weil der Verfasser den
niederschrieb. O. Thon giebt Betrachtungen über „das
ahmen sollte. Es ist da
Zum erstenmal wird uns ein jüdischer Kalender dar¬
Problem der jüdischen Wissenschaft", indem er das bisher
Nachempfinden des Dichter
geboten, den man nicht leicht durchblättert und dann
Geschaffene hell beleuchtet. Man kann mit seinen Aus¬
um so viel unterschätzt,
gelangweilt ihn höchst gleichgiltig aus der Hand giebt.
führungen durchaus übereinstimmen, wenn er der bis¬
schätzt wird. Ersterer geht
Der „Jüdische Almanach“ ist so reichhaltig und so über¬
herigen Wissenschaft des Judentums den Vorwurf macht,
„Richtung“ anzugehören u
raschend schön ausgestattet, daß man ihm für längere Zeit
sie habe das jüdische Volk für tot gehalten und sich damit
einem litterarischen Groß
das weitgehendste Interesse widmen wird. Er ist mehr als
abgegeben, die Grabsteine getreu zu kopieren und alles in
#ie Herbotz
EnBöfnungs vonl gesthmmte