VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 5

PaneOffbrin
die unendliche Geschlossenheit, die wir auch in der
klassischen italienischen Kunst bewundern. Naturgemäß
tritt das am stärksten im Drama hervor. Der Franzose
kennt nur Werke, die wir von unserem gewiß national
beschränkten Standpunkte als Theaterstücke ansehen. Das
Theatralische ist für ihn durchaus dar Drimäre, wie
für uns das Dramatische. Er gibt Dorstellungen, wir
Darstellungen. Das Sein ist absichtlich in eine Welt
des Scheins erhoben, in der es nur lebendig angeschaute
Bilder, nur äußerliche, keine inneren Entwicklungen gibt.
Auch Wien ist nicht durch Laune und Zufall
Theaterstadt geworden. Es besaß dazu das notwendige
Element einer starken Vergesellschaftung, ein lebhaft
entwickeltes Gemeingefühl in Lebensenschauung, Ge¬
schmack, Idealen. Hier repräsentiert der Dichter jedes¬
mal eine Gruppe ähnlich Denkender und Fühlender.
Er ist Wiener durch und durch. Er hat den Horizont
der Zeitkultur, des Dublikums im idealen Sinne. Hin¬
gegen wir, nach einer künstlerischen Kultur strebend, sie
nur erreichen können durch Abschwächung unserer besten,
weil individuellen Instinkte. Noch einmal, die be¬
deutenden oder berühmten österreichischen Dichter sind
Wiener: die Grillparzer, Raimund, Bauernfeld, Halm
(Anzengruber bildet eine Ausnahme). Ihre Dichtungen
tragen ein spezielles Lokalkolorit. Lebensfrische und
Anmut wohnt ihnen nur da inne, wo — wie in Bauern¬
felds Lustspielen oder in der tiefgründigen Zauber¬
poesie Raimunds — das lokale Element sich unmittelbar
mit dem dargestellten Stoffe verbindet. Bei Grillparzer
ist das durchaus nicht der Fall. Es fehlt seiner Tragik,
die der Wiener merkwürdigerweise als modern empfindet,
durchaus an dem großen Atem, an heißer Leidenschaft.
Grillparzers Welt ist nicht nach Zerstörung des ererbten
Bildes aus eigenem aufgebaut, sie ist vielmehr durchaus
klassizistisch, aus der Literatur stammend. Seine Menschen
sprechen nicht unter dem Zwange einer charakteristischen
Situation, vielmehr so glatt und schön als hätten sie
sich zu einer wohlklingenden Rede vorbereitet. Das
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Erlebnis greift hier nicht an die Wurzeln der Existenz,
um aus ihrem Mutterschoße unbewußtes heraufzuholen
und im Wiederaufsteigen aus der Tiefe erstaunte Worte
zu finden; es geht nur so weit, bis es das fertige Wort
findet, das ein seelisches Erlebnis charakterisiert. Es ist
Bildung mit einem starken poetischen Fonds, die aus
seinen Werken spricht, keine Kunst aber, die zur höheren
Natur wird. Typisch ist in dieser Hinsicht „Des Meeres
und der Liebe [ellen“. Ein Hochgesang auf die Liebe,
die aller priesterlichen Satzungen spottet und zum
Menschlich=Reinen hinaufführt, statt der Liebe selbst in
ihrer elementaren Leidenschaft, in ihrem Erlösungs¬
verte. Unschwer erkennt man in Hero das „süße
Mädel“ der Wiene. Dorstadt wieder, das zu früh den
Jugendrechten entsagt hat, um sich einer ewigen Neusch¬
heit zu weihen. Dir vermissen die großen ethischen
Momente, die eine Driesterin zum liebenden Weibe
machen können, die einen Menschen aus himmlischen
Idealen in irdische Daradiese versenken. Wohl hat
man hier mit Recht die Elemente moderne Stimmungs¬
poesie gefunden; aber ist Stimmung der wezentliche Gehalt
eines Dramas? Damit soll der Bedem. a Grillparzers,
die nach einer ganz anderen Seite lieg., kein Abbruch
geschehen. Man halte Kleist gegen ihn, will man die
ganze Begrenzung der österreichischen Doesie verstehen.
Der weichen Anmut eines Grillparzer setzt er eine herbe
Männlichkeit entgegen. Dort eine im sanften Wohllaut
dahinfließende, ziemlich undifferenzierte Sprache, hier
ein knorriger, zerhackter Stil, der alle Schönheit der
knappen Anschaulichkeit zu Liebe zum Teufel jagt.
Kleist schildert durch plastische Situationen, die in sich
selbst überzeugend wirken; er verfolgt ein seelisches Motiv
bis in seine letzten Ausläufer, hingegen Grillparzer stets
hösischen Anstand bewahrt und eine wesentlich reflek¬
tierende Natur ist. Nichts charakteristischer für den
Gegensatz norddeutschen und wienerischen Geschmacks
als das Mißtrauen und Unverständnis, mit dem man
Kleist an der Donau bis heute begegnet. Der kluge