VI, Allgemeine Besprechungen 1, Helene Hermann Probleme in Schnitzlers Dichtungen, Seite 5

—.—
box 36/2
Panphlets offprints
688
Helene Herrmann:
glückliches Zusammenleben das Fundament die stärksten Symbole gefunden, die mäch¬
abzugeben? Und sogleich heißt es wie ein= tigen stützenden Akzente für seine ost frauen¬
mal bei Ibsen: Stellen wir die Frage nicht haft zarte Kunst. Im „Grünen Kakadu“
so allgemein! Allgemeinheiten verwirren. ist es die französische Revolution, die in
Hat die Lüge in diesem besonderen Falle den Theaterspaß hineingrollt, der ihren Ernst
durch die Liebe der Menschen, durch die
spielend vorausnimmt, im „Schleier der
Stärke der Empfindungen, an denen sie sich
Beatrice“ der Untergang der ganz vom glü¬
nährte, die Kraft bewiesen, dieses Lebens¬
henden Renaissanceleben durchpulsten Stadt.
Der Grundakkord von Schnitzlers Dich¬
glück zu tragen, so hat sie auch das Recht,
so ist sie mehr Wahrheit als die bloße Wahr¬
tung ist das Problem vom verwirrenden
heit der Tatsachen. Der eigentliche Kern
Spiel des Daseins, die Unmöglichkeit, Sein
dieses Stückes liegt aber nicht in diesem
und Schein, Traum und Wachen, Wahrheit
ethischen Problem, er liegt in den inneren
und Lüge richtig zu werten, gegeneinander
Widersprüchen, die sich ergeben müssen, wenn
abzugrenzen. Ist überhaupt ein Festes,
solche Naturen wie Julian Fichtner über¬
Wesenhaftes in Dingen und Menschen? In
haupt in ethische Konflikte hineingestellt wer¬
unseren Empfindungen, dem Nächsten, Ge¬
den. Er liegt in diesen Naturen selbst. Und
wissesten, das wir haben, sicherlich nicht:
mehr noch finde ich den Kern des Stückes
„Es ist alles nur im selben Moment wahr.“
in der Gestalt, die außerhalb dieses Kon¬
Wie erleben wir den Wandel unserer Liebe,
fliktes steht, in Stephan von Sala, der besser
unseres Hasses, wie unmöglich ist es, im
als Julian den einsamen Weg zu gehen
Flusse des Geschehens, rein in der Wandlung
weiß. Es ist im Grunde genommen wieder der äußeren Umstände, die uns bedingen,
das eigentliche Schnitzlerproblem — das das vielleicht vor einem Jahre, vielleicht vor
Nichtethische. Und darum wird man bei einer Stunde wahr Empfundene festzuhalten!
einer Beschäftigung mit dem Dichter von Ibsen würde sagen: „Wir stehen alle unter
allen Seiten auf dieses Werk hingeführt, es dem Gesetze der Umwandlung.“ Das wäre
für Schnitzler schon zuviel. Und „wir alle“
steht nicht wie das „Vermächtnis“ völlig
würde er kaum sagen, denn er hält diese
seitab. Es ist vielleicht in der Verfeinerung
Erkenntnis für ein Besitztum derer, die sei¬
des Dialogs, in der Zartheit und Tiefe
der Psychologie die vollkommenste Dichtung
nes Blutes sind, der Menschen, die jeden
Augenblick bewußt durchkosten, staunend
Schnitzlers, es besitzt in Stephan von Sala
eine aus Seelentiefen des Künstlers er¬
ihrem Empfinden zuschauen. Und die, vom
Grauen der Vergänglichkeit überrieselt, rein
wachsene Gestalt — aber die Technik Schnitz¬
lers hat es weder vermocht, jenen Dualis¬
durch die Tatsache von Gegenwart und Ver¬
gangenheit zu schaudern gelernt haben:
mus der ethischen und der ästhetischen Welt¬
ansicht klar vor uns auszubreiten, noch ihn
s ist ein Ding, das niemand voll aussinnt,
zu überbrücken. Wir fühlen ihn in der Per¬
nd viel zu grauenvoll, als daß man klage,
sönlichkeit des Künstlers unausgeglichen, und
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.
daher ist des Dramas psychologischer Wert
(Hofmannsthal, „Terzinen über Vergänglichkeit“.)
stärker als sein künstlerischer.
Andere Schöpfungen, in denen alle Fäden
„Gegenwart, was heißt das eigentlich?
Stehen wir denn mit dem Augenblick Brust
seiner Art und Kunst zusammenlaufen, wie
an Brust, wie mit einem Freund, den wir
„Der grüne Kakadu“, „Der Schleier der
umarmen, oder mit einem Feind, der uns
Beatrice“, haben darum so sehr die Wirkung
bedrängt? Ist das Wort, das eben ver¬
echter Kunstwerke, weil hier der Dualismus
klang, nicht schon Erinnerung? Der Ton,
fast aufgehoben scheint, weil hier die Natur
mit dem eine Melodie begann, nicht Erinne¬
des Dichters sich von dem verwirrenden
rung, ehe das Lied geendet?" (Sala im
„so sollte es sein“ befreit hat, weil er hier
„Einsamen Weg“.) Und wiederum: die
die Probleme seiner Natur so gestaltet, wie
Vergangenheit kann tausendmal näher sein,
er sie eben sehen kann, nicht, wie sie auch
eine Natur der entgegengesetzten Art sehen
lebendiger als die Gegenwart. Und dann
könnte. In solcher Stimmung hat er auch der Traum!
*


ld
t zu
twas
tzuhalt
n einem
der Persönlich
die Narrheit des
erhebt wie in der Renaissanc
einer vorwiegend ironischen St
in der Romantik, sondern von
seinsgrauen, das sich aus
von Wahrheit und Lüge ins ech
überrettet. Aus der Schwerm
Seelen erfüllt, steigt für sie ?
auf. „Die Traurigkeit ssteckt o
in den Dingen, als wir ahnen.
Im „Grünen Kakadu“ spiel
dem schon von den Wogen der
umbrandeten Paris in einer S
Truppe als Verbrecher getleid
tigen Untergang vor. Und
ersehnen sie alle den Tag, w
Spiel Ernst wird. Die Schau
Verbrecherrollen, und das Publ
den pikanten Gegensatz, daß
ständige Leute seien. Aber zuw
nen ihre Rollen Macht über si
dem fingierten Taschendiebe wir
licher. Der stärkste, echteste Kü
ihnen spielt, gleichsam als Absch
sein eigenes, in Qualen wirkl
Liebesgeschick und erfindet als