VI, Allgemeine Besprechungen 1, Helene Hermann Probleme in Schnitzlers Dichtungen, Seite 6

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1. Panphlets offprints
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Probleme in Arthur Schnitzlers Dichtungen.
die mäch¬
sten Coup einen tragischen Abschluß: er habe
Bedenkt dies eine nur, daß jede Nacht
Uns zwingt hinabzusteigen in ein Fremdes,
oft frauen¬
den Galan seiner Frau, der der strahlendste
Entledigt unsrer Macht und unsres Reichtums,
en Kakadu“
und beneidetste der verhaßten Aristokraten,
Und alles Lebens Fülle und Verdienst
ion, die in
erdolcht. Aber dieser Mann hat ihm wirk¬
Von weit geringrer Macht sind als die Träume,
Die unfrem willenlosen Schlaf begegnen.
ihren Ernst
lich seine Frau geraubt, alle wissen es —
(Schnitzler, „Paracelsus“.)
hleier der
nur er nicht. Nun ist die Verwirrung von
vom glü¬
Schein und Sein aufs höchste gestiegen,
Und wer zu schaudern gelernt hat, der schätzt
lsten Stadt.
schlägt den Wissenden und doch nicht Wissen¬
die Sicherheit des unmittelbar Wirklichen
rs Dich¬
den über dem Kopfe zusammen. Sie meinen,
nicht zu hoch, wägt das Irrsal von Traum
irrenden
und Phantasie in vorsichtiger Hand. Darum er habe die Tat vollführt, sie rufen ihm zu:
keit, Sein
liebt Schnitzler die Situationen besonders, „Rette dich.“ Er aber, erwürgt vom Netz
Wahrheit
in denen die starren Unterschiede aufgehoben der eigenen lügnerischen Kunst, steht schau¬
inander
sind, die die „Nicerschaudernden“ zwischen dernd, und als nun der Nebenbuhler zu
Festes,
Wahrheit und Lüge aufgebaut haben: den den Zuschauern tritt, tötet er ihn wirklich.
n? In
Traum, die Hypnose, das Theater. Ihm Und als wäre dies Umspringen des Spieles
n, Ge¬
wie Hofmannsthal und jener ganzen Gene= in die Wirklichkeit das Signal, braust die
ich nicht:
ration ist das Theater Lieblingssymbol für Nachricht vom Sturm der Bastille herein
wahr.“
und reißt die Schauspieler mit fort zu dem
diese Unentwirrbarkeit. Die ganz persönliche
Liebe,
großen Drama, das draußen agiert wird.
eigenartige Lebensstimmung dieser Künstler
es, im
Ich habe so lange bei diesem Einakter ver¬
hat dem alten verbrauchten Bild vom Theater
dlung
weilt, weil hier das Problem, das sonst oft
der Welt neues Lebensblut zugeführt, und
ingen,
nur in spitzem Dialog formuliert wird, wirk¬
so berührt es uns wie etwas völlig Origi¬
t vor
lich gestaltet ist und mit einer technischen
nales. Es ist wichtig, festzuhalten, daß diese
n!
Virtuosität, einem Herausbilden von Einzel¬
Neubelebung nicht von einem starken Über¬
zügen, die den Sinn des Ganzen leiser re¬
legenheitsgefühl der Persönlichkeit ausgeht,
flektieren, daß man die Freude des Künstlers
das sie über die Narrheit des Geschehens
mitspürt. Er genießt mit den raffinierten
erhebt wie in der Renaissance, nicht von
iese
aristokratischen Feinschmeckern: „Das ist ja
einer vorwiegend ironischen Stimmung wie

gerade das Entzückende, überall blitzt etwas
in der Romantik, sondern von einem Da¬
Ernst durch.“
seinsgrauen, das sich aus der Wirrnis
inend
Alle Menschen sind ihm im Grunde gute
von Wahrheit und Lüge ins echte Spiel hin¬
om
oder schlechte Schauspieler, Darsteller ihrer
überrettet. Aus der Schwermut, die ihre
ein
inneren Möglichkeiten:
Seelen erfüllt, steigt für sie dies Symbol
er¬
auf. „Die Traurigkeit ssteckt oft viel tiefer
Was ist nicht Spiel, was wir auf Erden treiben,
in den Dingen, als wir ahnen.“
Und schien es noch so groß und tief zu sein?
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Im „Grünen Kakadu“ spielt mitten in
Der andre spielt mit tollen Abergläub'schen,
dem schon von den Wogen der Revolution
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer.
klage,
Mit Menschenseelen spiele ich; ein Sinn
umbrandeten Paris in einer Spelunke eine
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
er Vergänglichkeit“.)
Truppe als Verbrecher getleideter Schau¬
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
spieler perversen Aristokraten ihren zukünf¬
Wahrheit und Lüge — Sicherheit ist nirgend.
s eigentlich?
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
#tigen Untergang vor. Und im geheimen
Wir spielen alle — wer es weiß, ist klug!
lgenblick Brust
ersehnen sie alle den Tag, wo aus dem
(„Paracelsus“.)
bund, den wir
Spiel Ernst wird. Die Schauspieler geben
eind, der uns
Wer es weiß, ist klug. Der wirkliche Schau¬
Verbrecherrollen, und das Publikum genießt
das eben ver¬
spieler weiß es; ihn soll man bewundern,
den pikanten Gegensatz, daß sie alle an¬
? Der Ton,
weil er aus der Not eine Tugend macht,
ständige Leute seien. Aber zuweilen gewin¬
nicht Erinne¬
aus dem Verhängnis ein Gewolltes, weil
nen ihre Rollen Macht über sie, und aus
?“ (Sala im
er innerhalb des Zufälligen ein Notwen¬
dem fingierten Taschendiebe wird ein wirk¬
biederum: die
licher. Der stärkste, echteste Künstler unter diges schafft, den Kreis seines Lebens in
al näher sein,
spielender Willkür erweitert. Die anderen
ihnen spielt, gleichsam als Abschiedsbenefiz,
Ft. Und dann
sein eigenes, in Qualen wirklich erlebtes Menschen, die unbewußten Schauspieler, emp¬
Liebesgeschick und erfindet als verblüffend= finden in den seltenen Momenten des Er¬

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