box 36/2
Pamphlets Offprints
690
Helene Herrmann:
Dran werden Menschen einer späten Zeit,
kennens nur das Grauen der Verwirrung.
Der uns're Taten nichts als Worte sind,
Von den bewußten heißt es bei Hofmannsthal:
In kühlen Stein gegraben zum Gedächtnis,
Wie wir, die Mitgebornen, uns erfreun
Sie aber sind im Täuschenden zu Haus,
Mit gleichem Lächeln und mit gleichen Tränen;
Und das geheimnisvolle Element
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
Umgibt und nährt sie — wie beneidenswert!
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
(Vorspiel zur „Antigone“.)
Lebendig jeder neuen zu bestellen
Und hinzuwandeln über allen Tod.
„Es ist doch die schönste Art, sich über die
Also: das gestaltete Leben ist mehr als
Welt lustig zu machen,“ sagt der Herzog im
„Grünen Kakadu“ vom Schauspieler, „einer,
das gelebte. Und Menschen, die dies schaf¬
der uns vorspielen kann, was er will, ist
fen, kennen die ethischen Hemmungen und
doch mehr als wir alle!“
Bindungen nicht, verwundern sich über die
Beim Schauspieler vollzieht sich diese be¬
Forderungen, mit denen die anderen an sie
wußte Umbildung am deutlichsten, aber im
herantreten, wenn sie von einer neuen Sehn¬
Grunde sind alle modernen Künstlernaturen
sucht zu neuem Genießen und Gestalten ver¬
lockt werden:
solche Wissenden. Schnitzlers Künstler spielen
gern — ein wenig zu viel und zu deutlich
Auf leichten Flügeln rauscht mein Leben hin,
manchmal — mit diesem Gleichnis. Nament¬
Sie aber hängen schwere Worte dran,
In ihre Tiefe es zu ziehn.
lich im „Einsamen Weg“ dient es fast zu
(„Schleier der Beatrice“.)
oft, die vom Dichter gewünschte Stimmung
zu beschwören.
Als Julian Fichtner dem Sohn erzählt,
Das Verhältnis dieser modernen Künstler
wie er einst seine Mutter verführt und ver¬
zum Leben, zu den Menschen anderer Art
lassen habe, da gibt er ihm als Erklärung
nichts weiter, er schildert nur die Stimmung,
und zu sich selbst ist das zentrale Problem
für Schnitzler. Ihr Reichtum und ihre tiefe
in der er während der Nacht vor seiner
Armut. Der Wissende, für den es nur Ku¬
Flucht zum Fenster hinausblickte: „Und da
lissen und Rollen gibt, der jenseit des er= begann es wie leichte Schauer über mich
lebten Momentes kein Bleibendes kennt, kann zu fließen. Unten sah ich die Straße hin¬
seine Überlegenheit nur wahren, wenn er es laufen, auf der ich gekommen war, die führte
versteht, in die unermeßlichen Tiefen des ins Land hinaus, stieg die Hügel hinan,
Momentes hinabzutauchen. Je verfeinerter die die Aussicht versperrten, und verlor sich
seine Sinnlichkeit, je ausgebildeter seine Auf= ins Weite, ins Unbegrenzte ... Mir war,
nahmeorgane sind, je empfindlicher sein Ge= als läge dort hinter jenen Hügeln meine
fühlsleben reagiert, je schweifender seine Zukunft, schimmernd von Glanz und Aben¬
Phantasie zu spielen versteht, desto märchen¬
teuern, und wartete auf mich ... aber auf
mich allein.“ — „Und wenn sie sich getötet
hafter werden diese Tiefen sein, desto mehr
Rollen werden ihm zu Gebote stehen. Die hätte?“ fragt der Sohn. — „Ich glaube, ich
Bewußtheit des Genießens, die es ihm er= hätte mich dessen für wert gehalten in jener
möglicht, Dichter, Schauspieler und Zuschauer Zeit.“
Nun aber verharrt Schnitzler nie lange
seines Lebens zu sein, muß ihm die voll¬
strömende, dumpfe, angstlose Lebensfreude der bei dieser einseitigen Auffassung des Künst¬
lers. Er stellt sich auf den Boden der an¬
Unbewußten ersetzen. Und schon im Genießn
deren, der Nichtkünstler. Und der Zweifel
fühlt er die gestaltheischenden Elemente des
befällt ihn, ob das gestaltete Leben wirk¬
Erlebten in seine Seele hinübergleiten und
lich nur eine „lebendige Stunde“ wert ist,
gewinnt als Gestalter eine Macht über das
Leben, die den anderen ewig versagt bleibt.
die um seinetwillen verloren geht. Die ethi¬
Der Künstlerstolz, ja =hochmut in Schnitz¬
schen Fragen beginnen ihm das Konzept zu
ler ist sehr groß. Im „Schleier der Bea= verwirren.
Den anderen erscheint der Künstler als
trice“ sagt der Herzog, der Mann der Tat
und des Lebens, vom Dichter:
der Mörder der „lebendigen Stunden“.
„Hochmütig seid ihr alle!“ — den Vorwurf
Ein Lied von dem, verweht's der Zufall nicht,
schleudert der treue Freund einer Mutter, die
Ist ew'ger als der kühnste unsrer Siege,
sich tötete, damit der Sohn unbeirrt schaffen
Der ewig nur Vergangenheit erzengt.
ben,
Seele
ner Kun
40
uch sein Kuß der S#
Zur Förd'
ig eines Bildes, das
Und glaubt mir: wenn dies letzte
Das unvollendet seiner Rückkunft
Schwand all sein Lieben hin.
(„Die Frau mi
Und die Frau gibt eine Ant
sie dem Künstler das Recht zu
deln zuspricht, weil er ja in
tödlichen Glück, das er schenkt,
Lebendige, Wertvolle des gewöh
schen befreit:
Das weiß ich gut,
Denn ich bin dann nichts mehr, bis
Und mein Lebend'ges bebt in diesen
So wendet Schnitzler das
und her.
Das Wesen des Künstlers e
in Schnitzlers Werken durch
Gegensatz zu Naturen anderen
es ist interessant zu sehen, wi
der Stimmung, die ihn beherr
deren anschaut. Zuweilen zeig
Menschen, die in stiller Sicherhei
erfüllung, in der Fähigkeit zu
an andere, an einen Beruf, ein
zugeben, die höchste Bewundernn
e
Pamphlets Offprints
690
Helene Herrmann:
Dran werden Menschen einer späten Zeit,
kennens nur das Grauen der Verwirrung.
Der uns're Taten nichts als Worte sind,
Von den bewußten heißt es bei Hofmannsthal:
In kühlen Stein gegraben zum Gedächtnis,
Wie wir, die Mitgebornen, uns erfreun
Sie aber sind im Täuschenden zu Haus,
Mit gleichem Lächeln und mit gleichen Tränen;
Und das geheimnisvolle Element
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
Umgibt und nährt sie — wie beneidenswert!
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
(Vorspiel zur „Antigone“.)
Lebendig jeder neuen zu bestellen
Und hinzuwandeln über allen Tod.
„Es ist doch die schönste Art, sich über die
Also: das gestaltete Leben ist mehr als
Welt lustig zu machen,“ sagt der Herzog im
„Grünen Kakadu“ vom Schauspieler, „einer,
das gelebte. Und Menschen, die dies schaf¬
der uns vorspielen kann, was er will, ist
fen, kennen die ethischen Hemmungen und
doch mehr als wir alle!“
Bindungen nicht, verwundern sich über die
Beim Schauspieler vollzieht sich diese be¬
Forderungen, mit denen die anderen an sie
wußte Umbildung am deutlichsten, aber im
herantreten, wenn sie von einer neuen Sehn¬
Grunde sind alle modernen Künstlernaturen
sucht zu neuem Genießen und Gestalten ver¬
lockt werden:
solche Wissenden. Schnitzlers Künstler spielen
gern — ein wenig zu viel und zu deutlich
Auf leichten Flügeln rauscht mein Leben hin,
manchmal — mit diesem Gleichnis. Nament¬
Sie aber hängen schwere Worte dran,
In ihre Tiefe es zu ziehn.
lich im „Einsamen Weg“ dient es fast zu
(„Schleier der Beatrice“.)
oft, die vom Dichter gewünschte Stimmung
zu beschwören.
Als Julian Fichtner dem Sohn erzählt,
Das Verhältnis dieser modernen Künstler
wie er einst seine Mutter verführt und ver¬
zum Leben, zu den Menschen anderer Art
lassen habe, da gibt er ihm als Erklärung
nichts weiter, er schildert nur die Stimmung,
und zu sich selbst ist das zentrale Problem
für Schnitzler. Ihr Reichtum und ihre tiefe
in der er während der Nacht vor seiner
Armut. Der Wissende, für den es nur Ku¬
Flucht zum Fenster hinausblickte: „Und da
lissen und Rollen gibt, der jenseit des er= begann es wie leichte Schauer über mich
lebten Momentes kein Bleibendes kennt, kann zu fließen. Unten sah ich die Straße hin¬
seine Überlegenheit nur wahren, wenn er es laufen, auf der ich gekommen war, die führte
versteht, in die unermeßlichen Tiefen des ins Land hinaus, stieg die Hügel hinan,
Momentes hinabzutauchen. Je verfeinerter die die Aussicht versperrten, und verlor sich
seine Sinnlichkeit, je ausgebildeter seine Auf= ins Weite, ins Unbegrenzte ... Mir war,
nahmeorgane sind, je empfindlicher sein Ge= als läge dort hinter jenen Hügeln meine
fühlsleben reagiert, je schweifender seine Zukunft, schimmernd von Glanz und Aben¬
Phantasie zu spielen versteht, desto märchen¬
teuern, und wartete auf mich ... aber auf
mich allein.“ — „Und wenn sie sich getötet
hafter werden diese Tiefen sein, desto mehr
Rollen werden ihm zu Gebote stehen. Die hätte?“ fragt der Sohn. — „Ich glaube, ich
Bewußtheit des Genießens, die es ihm er= hätte mich dessen für wert gehalten in jener
möglicht, Dichter, Schauspieler und Zuschauer Zeit.“
Nun aber verharrt Schnitzler nie lange
seines Lebens zu sein, muß ihm die voll¬
strömende, dumpfe, angstlose Lebensfreude der bei dieser einseitigen Auffassung des Künst¬
lers. Er stellt sich auf den Boden der an¬
Unbewußten ersetzen. Und schon im Genießn
deren, der Nichtkünstler. Und der Zweifel
fühlt er die gestaltheischenden Elemente des
befällt ihn, ob das gestaltete Leben wirk¬
Erlebten in seine Seele hinübergleiten und
lich nur eine „lebendige Stunde“ wert ist,
gewinnt als Gestalter eine Macht über das
Leben, die den anderen ewig versagt bleibt.
die um seinetwillen verloren geht. Die ethi¬
Der Künstlerstolz, ja =hochmut in Schnitz¬
schen Fragen beginnen ihm das Konzept zu
ler ist sehr groß. Im „Schleier der Bea= verwirren.
Den anderen erscheint der Künstler als
trice“ sagt der Herzog, der Mann der Tat
und des Lebens, vom Dichter:
der Mörder der „lebendigen Stunden“.
„Hochmütig seid ihr alle!“ — den Vorwurf
Ein Lied von dem, verweht's der Zufall nicht,
schleudert der treue Freund einer Mutter, die
Ist ew'ger als der kühnste unsrer Siege,
sich tötete, damit der Sohn unbeirrt schaffen
Der ewig nur Vergangenheit erzengt.
ben,
Seele
ner Kun
40
uch sein Kuß der S#
Zur Förd'
ig eines Bildes, das
Und glaubt mir: wenn dies letzte
Das unvollendet seiner Rückkunft
Schwand all sein Lieben hin.
(„Die Frau mi
Und die Frau gibt eine Ant
sie dem Künstler das Recht zu
deln zuspricht, weil er ja in
tödlichen Glück, das er schenkt,
Lebendige, Wertvolle des gewöh
schen befreit:
Das weiß ich gut,
Denn ich bin dann nichts mehr, bis
Und mein Lebend'ges bebt in diesen
So wendet Schnitzler das
und her.
Das Wesen des Künstlers e
in Schnitzlers Werken durch
Gegensatz zu Naturen anderen
es ist interessant zu sehen, wi
der Stimmung, die ihn beherr
deren anschaut. Zuweilen zeig
Menschen, die in stiller Sicherhei
erfüllung, in der Fähigkeit zu
an andere, an einen Beruf, ein
zugeben, die höchste Bewundernn
e