VI, Allgemeine Besprechungen 1, Helene Hermann Probleme in Schnitzlers Dichtungen, Seite 8

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1. Parphlets offprints
Probleme in Arthur Schnitzlers Dichtungen.
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ner späten Zeit,
könne, diesem jungen Künstler entgegen, als Sie sind im Gegensatz zu der Selbstüber¬
ils Worte sind,
er davon spricht, seinen Schmerz gestalten schätzung des Künstlers rührend bescheiden.
n zum Gedächtnis,
zu wollen. „Was ist denn deine ganze Bald läßt er sie einen dumpfen Groll emp¬
uns erfreun
tgleichen Tränen:
Schreiberei, und wenn du das größte Genie finden gegen die fremde Art wie Hausdorfer
ausgesandt,
bist, gegen so eine lebendige Stunde, in der in den „Lebendigen Stunden“, öfter be¬
undnen Welt
deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl ge= wundernde Scheu, ja geheime Sehnsucht nach
rod.
sessen ist und zu uns geredet hat oder auch dem von moralischen Bedenken nicht gehemm¬
geschwiegen, aber da ist sie gewesen, und sie ten Verhalten. „Wenn ich aufrichtig sein soll,
ist mehr als
hat gelebt — gelebt.“ („Lebendige Stunden“.)
gnädige Frau,“ sagt der Dr. Neumann im
die dies schaf¬
Sie haben ja recht von ihrem Standpunkt
„Einsamen Weg“ mit übertreibender Selbst¬
nmungen und
aus — die anderen; aber hat nicht auch der
ironie und spielt dabei auf den „Verrat“
sich über die
Künstler recht, wenn er eine Antwort gibt,
Julius Fichtners an, „die Sehnsucht, die
nderen an sie
die hochmütig klingt, aber auf seinem Wissen am tiefsten in mir steckt, ist die, ein Schurke
neuen Sehn¬
vom Dasein beruht: „Lebendige Stunden!
zu sein, ein Kerl, der verführt, hohnlacht,
alten ver¬
Sie leben doch nicht länger als der letzte, über Leichen schreitet. Aber ich bin durch
der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der Mängel meines Temperamentes verurteilt,
eben hin,
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer ein anständiger Mensch zu sein.“ Wenn
an,
zu verleihen!“ Hat er wirklich recht? Der Schnitzler sehr ethisch gestimmt ist, wenn es
rVeatrice“.)
Ethiker in Schnitzler verneint es, wenn auch ihn drängt, ein Fazit zu ziehen, so findet
seine geheimste Sehnsucht Ja ruft — tau= er, daß trotz solcher verräterischer Sehnsucht
rzählt,
sendmal Ja! Wie grausam kann der Künst= diese Leute recht behalten müssen. Beson¬
ler sein, wenn sein Dämon ihn ergreift!
ders gewaltsam wirkt dieses plötzliche Ver¬
rung
Dann ist das liebste Leben, die Frau, die lassen des relativistischen Standpunktes bei
ung,
sich ihm mit Leib und Seele hingibt, „nur dem allzu moralischen Schluß des „Einsamen
einer
Weges“.
Anlaß und Stachel seiner Kunst“:
da
Doch es gibt auch entgegengesetzte Stim¬
Verrät'risch lockt
lich
Aufs Antlitz euch sein Kuß der Seele Glut
mungen. Dann sieht er in den „anderen“
Zur Förd'rung eines Bildes, das euch gleicht.
nichts als die dumpfen engen Seelen, die
Und glaubt mir: wenn dies letzte ihm gelang,
nie erschauderten vor den Tiefen des Da¬
Das unvollendet seiner Rückkunft harrt,
Schwand all sein Lieben hin.
seins, die ihr bißchen Pflichterfüllung un¬
(„Die Frau mit dem Dolche“.)
endlich wichtig nehmen, breitbeinig dastehen
Und die Frau gibt eine Antwort, in der
und das Philisterhohngelächter anschlagen
sie dem Künstler das Recht zu seinem Han¬
über alle, die anders werten.
deln zuspricht, weil er ja in dem kurzen
Da mag es denn so einen „Wissenden“
tödlichen Glück, das er schenkt, das eigentlich
wie Paracelsus locken, den aufgeblasenen
Lebendige, Wertvolle des gewöhnlichen Men¬
Wirklichkeitsmenschen in Verwirrung zu brin¬
schen befreit:
gen, ihm mit seiner Kunst den sicher ge¬
Das weiß ich gut,
glaubten Besitz als verloren zu zeigen, mit
Denn ich bin dann nichts mehr, bin ausgeschöpft,
ihm zu spielen wie die Katze mit der Maus.
Und mein Lebend'ges bebt in diesem Bild.
Dabei mag es geschehen, daß das Netz des
So wendet Schnitzler das Problem hin Truges dem Hexenmeister selbst über dem
und her.
Kopf zusammenschlägt.
Das Wesen des Künstlers entwickelt sich
Und endlich die „anderen“ die Schnitz¬
in Schnitzlers Werken durchgehends im
ler selbst mit sehnenden Blicken betrachtet:
Gegensatz zu Naturen anderer Art. Und die großen Lebenden und Genießenden, die
es ist interessant zu sehen, wie er je nach schöpferischen Tatnaturen, die nicht nur ge¬
der Stimmung, die ihn beherrscht, die an= träumtes Leben schaffen, deren unbewußte
deren anschaut. Zuweilen zeigt er sie als Lebenskraft in mächtigem Flusse dahinströmt.
Menschen, die in stiller Sicherheit der Pflicht¬
Ein solcher ist der Herzog im „Grünen
erfüllung, in der Fähigkeit zu lieben, sich Kakadu“; wenn er hereintritt, „flammt das
an andere, an einen Beruf, ein Wollen hin= Leben auf“. Vom Herzog Bentivoglio im
e
zugeben, die höchste Bewunderung verdienen. „Schleier der Beatrice“ sagt der Dichter
n