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Pamphletsofforints
löschen eines Schwindsüchtigen, der, um nicht allein sterben zu müssen, so¬
gar die geliebte Frau mit sich ins Grab hinunterziehen will, vor Augen
führt, stets ist es die gleiche vollendet künstlerische Einheit, (Handlung
und Stimmung. Etwas unendlich Feines, leise Fließendes und wie ein
weicher Frühlingsabend Verdämmerndes liegt denn auch über den klei¬
nen Novellen, wie wir sie etwa in „Dämmerseelen“ oder „Die
Fraudes Weisen“ finden, ein Duft und ein Glanz, der nicht wie¬
derzugeben ist.
Sein bedeutendstes Prosawerk aber ist unstreitig der erst voriges
Jahr erschienene, groß angelegte Noman „Der Wegins Freie“, in
dem Schnitzler die Rassengegensätze zwischen Semiten und Ariern in ei¬
ner Weise beleuchtet, die einfach erschöpfend genannt werden muß. Ge¬
rade in großen Städten wie Paris, Berlin, Wien ist die Judenfrage nicht
erst seit heute zu einer brennenden geworden, und Schnitzler kennt die
Eigentümlichkeiten der semitischen Rasse, die nicht immer ihre Vorzüge
sind, nur zu gut. Aber wunderbar ist, wie er über allen diesen Dingen
steht, wie er sich losgelöst hat von allen diesen kleinlichen Feindseligkeiten
und Lächerlichkeiten, wie sie in den Nassestreitigkeiten zum Ausdruck
kommen, als ob wir nicht alle Kinder einer Sonne, einer Erde wären.
Wunderbar ist auch der ruhige, gleichmäßige Fluß der Erzählung, die
technische Meisterung des verwickelten Stoffes. Hier ist wieder einmal
ein Buch, das voll Geist und Leben ist, nicht konventionellen abgestor¬
benen Lebens, sondern heißen pulsierenden, mit allen guten und bösen
Mächten des Daseins ringenden Lebens. Es ist mir in den letzten Jahren
kaum ein Werk in die Hände gekommen, das ich mit so hohem Genuß ge¬
lesen hätte, wie diesen Roman eines klugen und vorurteilslosen Men¬
schen und echten Dichters.
Von Schnitzlers dramatischen Werken das bekannteste ist die
„Liebelei“, ein Stück voll leichtsinnigen melancholischen Ernstes, ver¬
schwiegener Innigkeit und ergreifender Lebenswahrheit, und einer Ge¬
stalt darin, die ein Dutzend moderner Schauspiele aufwiegt: Christine,
die schlichtanmutige Tochter des alten Violinspielers mit ihrem mädchen¬
haft stillen Wesen, der rührend vertrauensseeligen Hingabe an ein
großes und starkes Gefühl und der heimlichen Angst im Herzen, daß doch
alles bald zu Ende sein werde. Wohl ist die „Liebelei“ spezifisch Wiene¬
rischen Verhältnissen entsprungen, aber aus dem Kreis des lokal Be¬
grenzten heben sich ihre Gestalten empor zum ewigen Symbol jenes leich¬
ten tändelnden Spieles mit Menschenherzen und der daraus resultieren¬
den, tragischen Konflikte.
Mit dem „Schleier der Beatrice" begibt sich Schnitzler
dann in die sinnen= und farbenfrohe Zeit der italienischen Renaissance
zurück. Lionardo Bentivoglio, der Herzog von Bologna, wünscht am
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löschen eines Schwindsüchtigen, der, um nicht allein sterben zu müssen, so¬
gar die geliebte Frau mit sich ins Grab hinunterziehen will, vor Augen
führt, stets ist es die gleiche vollendet künstlerische Einheit, (Handlung
und Stimmung. Etwas unendlich Feines, leise Fließendes und wie ein
weicher Frühlingsabend Verdämmerndes liegt denn auch über den klei¬
nen Novellen, wie wir sie etwa in „Dämmerseelen“ oder „Die
Fraudes Weisen“ finden, ein Duft und ein Glanz, der nicht wie¬
derzugeben ist.
Sein bedeutendstes Prosawerk aber ist unstreitig der erst voriges
Jahr erschienene, groß angelegte Noman „Der Wegins Freie“, in
dem Schnitzler die Rassengegensätze zwischen Semiten und Ariern in ei¬
ner Weise beleuchtet, die einfach erschöpfend genannt werden muß. Ge¬
rade in großen Städten wie Paris, Berlin, Wien ist die Judenfrage nicht
erst seit heute zu einer brennenden geworden, und Schnitzler kennt die
Eigentümlichkeiten der semitischen Rasse, die nicht immer ihre Vorzüge
sind, nur zu gut. Aber wunderbar ist, wie er über allen diesen Dingen
steht, wie er sich losgelöst hat von allen diesen kleinlichen Feindseligkeiten
und Lächerlichkeiten, wie sie in den Nassestreitigkeiten zum Ausdruck
kommen, als ob wir nicht alle Kinder einer Sonne, einer Erde wären.
Wunderbar ist auch der ruhige, gleichmäßige Fluß der Erzählung, die
technische Meisterung des verwickelten Stoffes. Hier ist wieder einmal
ein Buch, das voll Geist und Leben ist, nicht konventionellen abgestor¬
benen Lebens, sondern heißen pulsierenden, mit allen guten und bösen
Mächten des Daseins ringenden Lebens. Es ist mir in den letzten Jahren
kaum ein Werk in die Hände gekommen, das ich mit so hohem Genuß ge¬
lesen hätte, wie diesen Roman eines klugen und vorurteilslosen Men¬
schen und echten Dichters.
Von Schnitzlers dramatischen Werken das bekannteste ist die
„Liebelei“, ein Stück voll leichtsinnigen melancholischen Ernstes, ver¬
schwiegener Innigkeit und ergreifender Lebenswahrheit, und einer Ge¬
stalt darin, die ein Dutzend moderner Schauspiele aufwiegt: Christine,
die schlichtanmutige Tochter des alten Violinspielers mit ihrem mädchen¬
haft stillen Wesen, der rührend vertrauensseeligen Hingabe an ein
großes und starkes Gefühl und der heimlichen Angst im Herzen, daß doch
alles bald zu Ende sein werde. Wohl ist die „Liebelei“ spezifisch Wiene¬
rischen Verhältnissen entsprungen, aber aus dem Kreis des lokal Be¬
grenzten heben sich ihre Gestalten empor zum ewigen Symbol jenes leich¬
ten tändelnden Spieles mit Menschenherzen und der daraus resultieren¬
den, tragischen Konflikte.
Mit dem „Schleier der Beatrice" begibt sich Schnitzler
dann in die sinnen= und farbenfrohe Zeit der italienischen Renaissance
zurück. Lionardo Bentivoglio, der Herzog von Bologna, wünscht am
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