VI, Allgemeine Besprechungen 1, F. O. Schmid A. S. und die Jung Wiener Schule, Seite 7


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Panphletsofforints
Er schildert ihr die Schrecken des Todes in ihrer ganzen Furchtbar¬
keit. Sie will doch mit ihm sterben. Aber er glaubt ihr noch immer nicht.
Um sie zu prüfen, lügt er ihr vor, er habe Gift in ihren Wein getan. Sie
erschrickt. Nun, da der Tod wirklich nahe ist, fürchtet sie sich davor.
Voll Ekel jagt sie Filippo zum zweiten Male davon und trinkt dann
selbst den Giftbecher aus. Sie eilt davon zum Herzog, vergißt aber ihren
Schleier bei der Leiche. Der Herzog will wissen, wo sie gewesen ist, und
da sie sterben soll, wenn sie ihn nicht dahin führt, wo sie den Schleier ge¬
lassen, so kehrt sie mit dem Herzog zu Filippo zurück.
Wie von einem Hauch des Niegewußten, Unbegreiflichen, Rätsel¬
haften des Lebens angeweht, sagt der Herzog zu Beatrice:
„Der starb um dich? Und den verrietest du?
Und mich um ihn? Und wied'rum ihn um mich?
Was bist du für ein Wesen, Beatrice?
Und all dies Ungeheure mußte sein,
Daß ich Filippo Loschi sehen durfte —
Ein einzig Mal und so? Geheimes Walten!
In welche Tiefen muß ich untersteigen,
Die Wurzeln finden, wo sie sich verschlangen?
Aber sein freier, edler Sinn findet auch die Lösung:
„Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jedes von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
Betrug und Frevel, und du warst ein Kind!“
Noch selten ist wohl das Sprunghafte, Gleitende, unergründlich
Rätselhafte einer Frauenseele, das halb Unbewußte, Schleierhafte, das
Hin und Her von Gefühlen und Neigungen, des halb zum Weibe erwach¬
ten, halb noch traumhaft dahinterstehenden jungen Mädchens, so vollen¬
det dargestellt worden, wie in diesem schönheiterfüllten Werke Arthur
Schnitzlers.
„Der einsame Weg“ ist die Tragödie des Alleinseins, ist das
Drama der bitteren Wahrheit, daß der Mensch im letzten Grunde seiner
Seele doch immer einsam ist. Wundervoll ist, wie dieser Grundgedanke
in den Hauptgestalten des Werkes seine Resonnanz findet, wie er aus
ihnen herausklingt und mit müdem, leise ersterbendem Ton verhallt. Vor
seinem Ende sagt der Schriftsteller Sala zum Maler Julian, der als
leichtsinniger, lebensfroher Genießer jahrelang die Welt durchstreift hat,
sich nun vor dem einsamen Altern fürchtet und deshalb seinen illegitimen
Sohn, der als der Professor Wegraths gilt, von diesem zu sich herüber¬
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