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PanphietsOffhrints
ganz so, wie wir sind, wann enthüllen wir unser innerstes Wesen völlig
und machen niemandem mehr etwas vor? Wann spielen wir im Leben
nicht mehr Komödie? Niemals! Wir spielen immer. Bis die letzten Mas¬
ken fallen.
„Die letzten Masken“, das ist auch so ein Stück Schnitzlere,
worin seine Fähigkeit, irgend einem an und für sich bedeutungslosen
Vorgang das allgemein Giltige abzulauschen, eklayt hervortritt.
Der alte Reporter Rademacher liegt im Spital im Sterben. Vor
seinem Tode r ünscht er noch seinen Jugendfreund, den berühmten Dich¬
ter Weihgast, zu sehen, der sich durch Lug und Trug und Schwindel, durch
Verleugnung seiner selbst, in die Höhe gebracht hat und den nicht min¬
der begabten, aber ehrlicheren Jugendgenossen kaum mehr kennt. Nade¬
macher fleht den Arzt an, doch ein letztes Wiedersehen zu ermöglichen, da
er Weihgast noch etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hätte. Aber im ge¬
heimen will er nichts, als diesem vor seinem Tode seinen ganzen Haß und
seine ganze Verachtung ins Antlitz schleudern. Und Weihgast kommt.
Bevor aber Rademacher dazu kommt, sein Vorhaben auszuführen, fängt
Weihgust an, ihm von seinen kleinen, täglichen Sorgen und Unannehm¬
lichkeiten vorzulamentieren, von dem häuslichen Kummer, dem Neid und
den Angriffen, denen er überall ausgesetzt ist. Der alte Neporter ver¬
stummt und wie Weihgast fortgegangen ist, sagt er zu seinem Nachbarn
im Krankenhaus, dem Schmierenkomödianten Florian Jakwerth: „Wie
armselig sind doch die Leute, die auch morgen noch leben müssen. Jetzt ist
er unten. Jetzt geht er durch die Allee — durchs Tor — jetzt ist er auf
der Straße — die Laternen brennen — die Wagen rollen — Leute kom¬
... und unten . .. (Er ist langsam aufgestanden.) Was
men von oben
hab' ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein Glück, was gehn mich
seine Sorgen an? Was hat unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die
morgen noch auf der Welt sein werden?“
Wie ist doch hier das Wesenlose und Gleichgültige des Alltäglichen
gegenüber der alles auslöschenden, alles gleichmachenden Gewalt des To¬
des herausgehoben. Ist es nicht, als hörte man wie aus weiter Ferne
einen Ruf aus der Ewigkeit herüberhallen, vor dem alle menschliche Eitel¬
keit und Größe, alle Liebe und aller Haß in Staub zerfallen.
So zeigt sich Schnitzler überall als der manchmal heiter lächelnde,
meist aber ernst beschauliche Mensch und Dichter, in dessen warm empfin¬
dender Seele alles Seiende und Werdende einen lebendigen Widerball
findet und den man ruhig neben die Besten und Größten unserer Zeit
stellen kann.
Es bleibt mir noch übrig, kurz auf die neben Schnitzler und Hoff¬
mannsthal bedeutendsten zwei Vertreter der Jung=Wiener=Schule hinzu¬
weisen, auf Richard Beer=Hoffmann und Felix Salten.
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PanphietsOffhrints
ganz so, wie wir sind, wann enthüllen wir unser innerstes Wesen völlig
und machen niemandem mehr etwas vor? Wann spielen wir im Leben
nicht mehr Komödie? Niemals! Wir spielen immer. Bis die letzten Mas¬
ken fallen.
„Die letzten Masken“, das ist auch so ein Stück Schnitzlere,
worin seine Fähigkeit, irgend einem an und für sich bedeutungslosen
Vorgang das allgemein Giltige abzulauschen, eklayt hervortritt.
Der alte Reporter Rademacher liegt im Spital im Sterben. Vor
seinem Tode r ünscht er noch seinen Jugendfreund, den berühmten Dich¬
ter Weihgast, zu sehen, der sich durch Lug und Trug und Schwindel, durch
Verleugnung seiner selbst, in die Höhe gebracht hat und den nicht min¬
der begabten, aber ehrlicheren Jugendgenossen kaum mehr kennt. Nade¬
macher fleht den Arzt an, doch ein letztes Wiedersehen zu ermöglichen, da
er Weihgast noch etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hätte. Aber im ge¬
heimen will er nichts, als diesem vor seinem Tode seinen ganzen Haß und
seine ganze Verachtung ins Antlitz schleudern. Und Weihgast kommt.
Bevor aber Rademacher dazu kommt, sein Vorhaben auszuführen, fängt
Weihgust an, ihm von seinen kleinen, täglichen Sorgen und Unannehm¬
lichkeiten vorzulamentieren, von dem häuslichen Kummer, dem Neid und
den Angriffen, denen er überall ausgesetzt ist. Der alte Neporter ver¬
stummt und wie Weihgast fortgegangen ist, sagt er zu seinem Nachbarn
im Krankenhaus, dem Schmierenkomödianten Florian Jakwerth: „Wie
armselig sind doch die Leute, die auch morgen noch leben müssen. Jetzt ist
er unten. Jetzt geht er durch die Allee — durchs Tor — jetzt ist er auf
der Straße — die Laternen brennen — die Wagen rollen — Leute kom¬
... und unten . .. (Er ist langsam aufgestanden.) Was
men von oben
hab' ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein Glück, was gehn mich
seine Sorgen an? Was hat unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die
morgen noch auf der Welt sein werden?“
Wie ist doch hier das Wesenlose und Gleichgültige des Alltäglichen
gegenüber der alles auslöschenden, alles gleichmachenden Gewalt des To¬
des herausgehoben. Ist es nicht, als hörte man wie aus weiter Ferne
einen Ruf aus der Ewigkeit herüberhallen, vor dem alle menschliche Eitel¬
keit und Größe, alle Liebe und aller Haß in Staub zerfallen.
So zeigt sich Schnitzler überall als der manchmal heiter lächelnde,
meist aber ernst beschauliche Mensch und Dichter, in dessen warm empfin¬
dender Seele alles Seiende und Werdende einen lebendigen Widerball
findet und den man ruhig neben die Besten und Größten unserer Zeit
stellen kann.
Es bleibt mir noch übrig, kurz auf die neben Schnitzler und Hoff¬
mannsthal bedeutendsten zwei Vertreter der Jung=Wiener=Schule hinzu¬
weisen, auf Richard Beer=Hoffmann und Felix Salten.
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