VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 5

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PamphletsOffnrints
456 LLLEELEBEBBB3B Dr. Friedrich Düsel: Kaseleerkurakare
Militärschwänke aufmarschieren lassen, wenn sie baualste Weise zerstört worden. Er ist kein ge¬
bei Licht besehen nicht alle in derselben Unisorm meiner Betrüger, kein habsüchtiger Hochstapler.
steckten. Eine kleine Bereicherung wenigstens er= O nein! Was er tat, tat er aus uneigennütziger
fährt das Militärthema in dem vom Friedrich= Liebe zu der, die dann seine Frau wurde. Und
Wilhelmstädtischen Schauspielhause ausgeführten dann: daß er einmal Kellner spielen mußte da
Kadettendrama „Brüderchen“ von Robert drüben, am anderen Ufer, das war nur ein Be¬
Overweg, wenn sich auch der Roman und die
setzungsfehler in der Komödie des Lebens, eine
Novelle — man denke nur an Wildenbruchs
falsche, ihm nicht gehörende Rolle — Graf Festen¬
„Edles Blut“ oder an Szezepanskis „Spartaner¬
berg, das ist er, das ist sein Fach. Er hat sich
jünglinge" — der rührenden Kleintragik einer
lediglich zu dem emacht, wozu er geboren war.
militärisch=disziplinierten, der Mutter und des
Er hat die lächerliche Stümperei des Schicksals
Elternhauses beraubten Kindheit schon längst be¬
verbessert. Aristokrat? Pah! Wer ist mehr
mächtigt hatten.
Aristokrat, der ehemalige Kellner Josef Müller
Wer etwas von dem Wesen des literarischen
oder der aufgeblasene junge Herr, der nichts ist
Wiens, zumal des modernen, begriffen hat, der
und nichts kann und sich doch so viel auf seinen
wird es ohne weiteres verstehen, daß dort, an
Namen zugute tut? Er hat sie immer gehaßt,
der hohen Schule des Walzers, des Feuilletons
von Grund seiner Seele gehaßt, die Handwerker¬
und sonstiger gleich flüchtiger Lebensreize, auch
arbeit, sie verabscheut, sich vor ihr geschändet, seiner
der psychologisch=impressionistische Einakter eine
eigentlichen Begabung und Bestimmung entzogen
liebevolle Pflegestätte findet. Arthur Schnitzler
gefühlt. Ergo war er von jeher ein Aristokrat,
insbesondere hat sich in mehreren seiner charak¬
alles andere nur Lüge des dummen Zufalls.
teristischen Stücke, wie in dem „Anatol“=Zyklus,
Eine wunderbare Philosophie des Sozialismus!
im „Grünen Kakadn“ und seinen beiden Ge¬
Sie siegen zu lassen, bedarf es der ganzen Trot¬
nossen („Paracelsus“ und „Die Gefährtin“), in
telhaftigkeit, Aufgeblasenheit und dummen Sen¬
den „Lebendigen Stunden“ und den „Mario¬
timalität, die Salten für ausreichend hält, um
netten“, als ein Meister dieser Form gezeigt. Nun
seine Vertreter der hohen österreichischen Aristo¬
findet er Nachfolge in dem jungen Wiener Felix
kratie zu zeichnen. Schließlich muß gar noch
Salten, und diese Schülerschaft verleugnet sich
ein alter verlumpter Graf Festenberg aus Monte
in der Form und Lebenssphäre so wenig wie in
Carlo heran, der für Geld und gute Worte gewiß
der Manier, drei oder mehr dieser Einakter durch
gern Herrn Josef Müller adoptiert und damit
einen gemeinsamen Titel zusammenzukoppeln und
dem Skandal vorgebeugt hätte. „Jesus Maria“,
den Zuschauer nach der gemeinsamen Idee oder
ruft da Se. Erlaucht der Reichsgraf Laurentin
Melodie suchen zu lassen, die sie etwa auch inner¬
aus, „da müßte man ja sofort ... da darf
lich verbindet. Bei Schnitzler heißt das Rätsel
doch nichts übereilt werden inzwischen ... nur
„Lebendige Stunden“ bei Salten nennt es sich
jetzt keine Verhaftung!“ Zu spät. Der Kom¬
„Vom anderen Ufer“ (Buchausgabe bei S.
missar steht schon vor der Tür. „Habe ich es
Fischer, Berlin). Versuchen wir es trotzdem, die¬
nicht gesagt,“ ironisiert der verbindlich grüßend
sen drei Einaktern ein wenig hinter die Schale
Entschwindende das altmodische Pathos des Adels¬
zu blicken: lohnen es ihre dichterischen Qualitäten
stolzes, „daß es dumm war, die Polizei zu holen?“
nicht, so vielleicht ihr stofflich=novellistischer Ge¬
Der Ernst des Lebens, die moralische Kraft
halt. Jedenfalls ist der Saltensche Einakterabend
das sind die Maximen, die der Herr Medizi¬
- wir verdanken ihn dem Lessingtheater — in
nalrat, ein kleinseliger, selbstgerechter und korrek¬
dieser Berliner Spielzeit bisher di. einzige Gabe
ter Streber, der die Tochter seines reichen und
der zeitgenössischen Dramatik, die das Interesse
vornehmen Gönners geheiratet hat, seinem jungen
eine Weile zu fesseln vermag.
Schwager, dem Baron, einem leidenschaftlichen
Graf Festenberg nennt sich der kürzlich erst
Lebensgenießer und seinnervigen Lebenskünstler,
als ein reicher Mann von Amerika herübergekom¬
immer wieder predigt, obgleich er weiß, daß es
mene Schwiegersohn Sr. Erlaucht des Reichsgrafen
für dessen sanfte morbidezza nichts Verstimmen¬
Laurentin, der sich durch diese Heirat mit der
deres und Niederdrückenderes gibt als diese Phi¬
höchsten Aristokratie Österreichs verschwägert hat.
listerweisheit. Und nicht genug damit: bei der
In Wirklichkeit aber heißt dieser Selfmademan
erbetenen Untersuchung sagt der Medizinalrat dem
Josef Müller oder Josef Wessely und ist von Her¬
Kranken, dem jede Sekunde seines Lebens ein
kunft und Beruf — Wiener Kellner. Der ebenso
kostbares Geschenk, brutal ins Gesicht, daß er
adelsstolze wie eisersüchtige Vetter seiner Frau
nur noch etwa sechs Monate zu leben habe. Da
entlarvt ihn, noch ehe die Flitterwochen einer
ist für den Todgeweihten der Augenblick gekom¬
höchst zärtlichen und glücklichen Ehe vorüber. Der
men, mit diesem greßsprecherischen, heuchlerischen
Ertappte leugnet nicht, sondern benutzt die letzten
Moralitätsterrorismus Abrechnung zu halten.
Augenblicke der Freiheit, seiner Frau und seinem Ist dieser Wahrheitsfannker wirklich der Held,
Schwiegervater zu erklären, welch „seines, geist= für den er sich ausgibt, einer, der nicht mit der
reiches Lebenswerk“ hier auf die lächerlichste und Wimper zuckt, wenn der Tod ihm ins Antlitz