VI, Allgemeine Besprechungen 1, Friedrich Düsel Dramatische Rundschau, Seite 7


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Hauptrolle: den bürgerlichen Kellner, der sich
zum Aristokraten geboren fühlt und als Schwind¬
ler entlarvt wird; den aristokratischen Todeskandi¬
daten, der die bürgerliche Kanaille in ihrer gan¬
zen Jämmerlichkeit enthüllt; den programmwidrig
vom Tode Auferstandenen, der mit den drüben
gewonnenen tiefen Blicken im Kreise seiner ihm
ach! allzu Bekannten nicht weiterleben mag. Und
all diesen grundverschiedenen Figuren wußte seine
geniale Wandlungsfähigkeit ebenso geistreich ge¬
sehene wie kunstvoll und eigentümlich durchgeführte
Charakterzüge zu leihen. —

Was Bassermann, ein souveräner Beherrscher
der modernen Psychologie, für das moderne Drama,
das war ein vor kurzem (6. Oktober) plötzlich
Dahingegangener im Sinne der älteren Schau¬
spielerschule hauptsächlich für das klassische Drama,

wenn sich seine reise, volle Kunst vor gelegent¬
lichen Ausflügen in das moderne auch keineswegs
zu scheuen brauchte. Karl Häußer wurde in
weiteren Kreisen zuerst durch die Münchener
Mustervorstellungen von 1880 bekannt. Schon

damals war er Mitglied des Münchener Hof¬

und Nationaltheaters und ist es bis zu seinem
Tode geblieben. Ihn auf ein bestimmtes Rollen¬
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fach festzulegen, verbot von Anfang an seine
eigenwüchsige, aller Regeln und Bande spottende
Begabung. Seine eigentliche Sphäre liegt aber
des hofateliers Elvira in München
Kar
doch wohl zwischen Schillers Illo und Shake¬
speres Falstaff, zweien seiner typischsten und voll¬
Konstantin reklamiert die hübsche, elegante Schau¬
endetsten Leistungen. Um sich ganz auszuleben,
spielerin, der er ein Recht auf sich gegeben hat.
brauchte er ein stark komisches Element; seinem
Und der Herr Leo Schenk kommt, un die Daisy
Mephisto fehlte, so berühmt er war, ein klein wenig
Leblanc kommt, um — nun, um sich die Butter
von dem Geistigen. Je schärfer umrissen die Ge¬
nicht so mir nichts dir nichts vom Brote nehmen
stalt in dem Werke des Dichters dastand, desto
zu lassen. Sie alle haben sich doch fest darauf
meisterhafter brachte seine außerordentliche Ver¬
verlassen, daß Freund Mors seine Beute behalten
wandlungsfähigkeit in Maske, Gestalt und Ton
werde, und ihre Dispositionen danach getroffen.
sie heraus, ohne sich je an der Natur zu versün¬
Und nun dieser Programmbruch! Der Gesundete
digen. Sein Falstaff erschien seiner Zeit und
müßte sich eigentlich deswegen entschuldigen: wer
Umgebung so ebenbürtig der Shakesperischen In¬
anders als er hat all diese Verwirrung ange¬
tention, daß Grützner ihn sich zum Vorbild seiner
richtet? Wenn man schon einmal einen so gro߬
weltberühmten Bilder dienen ließ. Was Häußer
artigen Abschied genommen hat, darf man nicht
vor tausend anderen gerade zur Darstellung dieser
wiederkommen. Das ist taktlos. Und auch Kon¬
humoristischen Figur berief, war die Vollsaftig¬
stantin selber fühlt, daß sie alle ihm fremd ge¬
keit seines Talentes. Eines durch und durch
worden, seit er am anderen Ufer war. Also
naiven Talentes. Klügeln und Tüfteln war nicht
schnell dem Schicksal den Willen getan: „Franz,
seine Sache. So sahen wir jungen Münchener
alle meine Koffer packen! Auf Wiedersehen in
Studenten von 1890 ihn als den Herrscher über
einer besseren Welt!“ ... Erst in dieser leichten,
alle, weil wir in ihm etwas von dem ungebun¬
spielenden Komödienstimmung darf sich Salten
denen Sturm und Drang fühlten, der uns wie
ganz daheim, ganz als sein eigener Herr fühlen.
für das neue Drama, so auch für die neue Schau¬
Dafür reicht es, dabei sollte er bleiben. Kleine
spielkunst das Nötigste und Wertvollste dünkte.
Menschlichkeiten zu persiflieren, fällt unter die
Begabung eines geistreichen Feuilletonisten, der er Das soll ganz ähnlich, wie ein Münchener Kol¬
lege versichert, auch noch vier Wochen vor seinem
ist; Angelegenheiten der großen Menschheit zu
Tode so gewesen sein. „Er war immer der
gestalten, ist Sache des Dichters, der zu sein er
noch nicht bewiesen hat. Er sieht nicht mit Größte unter seinesgleichen. Man denke nur
einmal an die Zeit zurück, da man das Virtuosen¬
Ewigkeits=, er sieht mit Tagesaugen.
Albert Bassermann, einer der reichsten tum der Barnay und Possart bewunderte. Und
Charakteristiker, die die deutsche Bühne je gehabt man vergleiche damit die Lobeshymnen, die fünf¬
hat, spielte in allen drei Stücken die männliche undzwanzig Jahre hernach dem Naturalismus
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