VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Alfred Kerr Dramatiker, Seite 5

siet
:
on
ser

box 36/4
1. Pamphlets offorints
Diese Menschen begehn, wozu der Trieb sie reizt, dieser Fabrikherr, diese
Bankiersfrau, dieser Marinefant, diese Gesellschaftstochter, dieser Pianist, dies
Edelweib — und jeder, wenn er es nicht rechtfertigt, könnte das rechtfertigen. Wo
nicht bewußt, so sicher unbewußt. Und weil diese Rechtfertigung unter der Ober¬
fläche webt, darüber jedoch, jenseits, der Schein und die Notwendigkeit von
ernsten, tiefen Verordnungen weiter wankt: darum ist es eine Komödie. Heut;
in einer Zwischenzeit. Nicht mehr in maulkorblosen Aonen . .. (denkt man).
Ein kosmischer Heimatskünstler ist der Arthur. Eine Wienerin sehr lieben,
sie einzig lieben, ihr doch untreu sein; Freunde haben, sie doch berauben; edel
sein, doch verbotenermaßen es, es kun; Alleinbesitz verlangen, ihn doch in den
Wind schlagen, ihn trotz dem Wind rächen; Verrat üben, doch ihm Geltung
nicht zugestehn; mit heimlichster Gefahr hingenommen werden und doch nicht
lieben; erschossen werden und doch nicht gehaßt sein; ein Tatleben führen, doch
nur ein Liebesleben spüren: das ist eure Welt, das heißt unsre Welt. Ja, es
heißt eine recht erträgliche Welt.
Schnitzler gibt häufig etwas Angewandtes und Lebensvolles, womit er
schöpferisch graue, hohe Lehren einer nordischen Ferne volkstümlich macht. Richt
nur das: auch weiterbildet; zerstuft; inniger als gallische Zwischentaster und .. .
im Gleichgültigen tragischer, deutscher.
Mit alledem ist es ein hingezogenes, nicht geschicktes Drama, mit halb¬
toten Strecken — von einem Bodengewinner. Seiner Dramen jedes hat
Punkte, wovor man in Gedanken den Hut zieht. Soviel über das weite
Land. Ich stieg herunter, das graue Leuchten, die Mansardenlinie, der gol¬
dige Narr Eulenbergs schoß vor, ich nahm Platz darauf und sah ihm steif in
die Pupillen.
IV.
/#o der Arthur ein Heimatskünstler mit europäischem Einschlag: so ist Her¬
bert Eulenberg ein Heimatskünstler für sein Vaterland. Doch; viel¬
leicht gibt es in Norwegen oder um Harlem (in England nicht mehr) Men¬
schen, die Werke solcher Art mitfühlen. In Italien ... in Italien müßte von
einem Histrionen die schwärmende Torheit seines Helden in phantastischem Brio
gewissermaßen halb logisch gemacht werden, europäisch, gemeinverständlich. In
Slavenländern —. Dort begriffe man bloß das Gehnlassen. Das die=Flinte¬
ins=Korn=werfen. Aber das reale Aug etwa des Russen forderte doch einen
dichteren Zusammenhang mit der wirklichen Wirklichkeit; es gewöhnte sich
schlecht an das schwankende Licht eines Halb=Märchentums. Ein Gallier
lachte wohl gern über das Tarasconnesische bei Eulenberg, . . . doch nicht mit
demselben Unterton im Lachen wie wir: die wir von Jean Pauls Dasein
wissen. Ecco.
1779