VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Der Merker Mai Heft 1912 mit Primärtexten, Seite 12

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Pamphletsofforints
Von einem Andern träumst, sprich ungescheut
Den Namen aus. Nur, Mädchen lüge nicht.
Margarete: Das werd' ich nie
— es sei denn: du verlangst es.
Franz:
Vie sollt ich das?
Hans:
Du tust es wie wir alle!
Mit jedem Seufzer und mit jedem Blick
Erbetteln wir voi Freunden und von Frau'n
Die Lüge, die uns weiter hilft zu leben.
Je näher unserm Herzen Eine ist,
Umso viel tief’re Lügen fordern wir.
Was uns daheim auf Erden fühlen läßt,
Ist allerlei Betrug, der uns umgibt.
Wer Wahrheit sucht, ist fremd und bleibt allein.
Wer möchte sich in einen Ballsaal stellen —
Und rufen: Masken ab! Musik verstumme!?
Ach, sie verstummt sogleich, wenn Masken fallen!
Um mich ist sie verstummt! Doch dich umklingt sie
Du liebst das Dasein und den Tanz. Ein Dichter
Bist du, verschwöre nicht die Lüge!
(zu Franz):
Margarete
Sag',
Was heißt dies alles? Geht er nicht mit uns?
Franz:
Das gute Kind hört nur, was es begreift.
Hans:
Das gute Kind hat Recht: ich bleib’ daheim.
Franz:
Warum? Bist du von gestern müd?
Hans:
Ich bin's
Von vielen Tagen und von vielen Nächten.
Der Frühling will mich nicht’ das fühl' ich so,
Wie Einer sich, der eintritt in ein Haus,
Als ungebet’ner Gast empfinden mag,
Und weiß doch nicht, warum. Geh du spazieren!
Ich bin so weit von dir, wie du nicht ahnst.
Wie man allmählig Sprachen sonst erlernt,
So ist es mir, als wenn von Tag zu Tag
Ich aller Sprachen tiefer nur vergäße,
In denen einst das Leben zu mir sprach.
Und kommen wird der Augenblick, da mich
Das bunte Treiben dieser Welt wie Lärm
Umtönen wird, den ich nicht deuten kann.
Wie vieles hat doch einst zu mir geredet!
Zu Taten rief es mich — ich hört’ es gut;
Im Feld bin ich gestanden, hab’ mich oft
Herumgeschlagen und hab’s gern getan.
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