VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Adelt, Seite 2

1. Panphlets offprints
und vom Gymnasio academico gejagt. Da sich der Ratsherr und Welt¬
fahrer Meinerts und der Feldobrist Zierenberg nach eines Viertelsäkulums
Spanne wiedersehen, holen sie den Bauernsohn als einen Triumphator in
ihre Mauern ein. Nun steigen des Zierenbergers Süchte vollends zu seinem
Stern. Er will ein Volksführer werden, er träumt sich eine Krone und
vertraut, wie der Friedländer, auf seine Sternenstunde. Das Leitmotiv
klingt an: Der Mensch kann alles, der Mensch vermag alles. Wie Raketen
schießen glänzende Namen durch die Erinnerung: Götz, Florian Geyer,
Wallenstein.. Götz und Geyer und Wallenstein tragen die Gründe
ihres Abfalls in der eigenen Brust. Der Zierenberger — und einer, der
das Gras wachsen hört, möchte da schon stutzen — der Zierenberger hat des
Grundes nicht genug in der Mannesbrust, sein Weib lockt um den Preis
ihrer selbst, und es erscheint ungewiß, ob ihre Wünsche das Echo seines
Ehrgeizes sind oder aber seine Ehrsucht ihr Echo. Aus seines Weibes
Ehrgeiz ... Sie heißt Cordula und ist eine polnische Grafentochter. Sie
verachtet den Plebejer, an den sie nach einem heimlichen Fehltritt ihrer
Jugend losgeschlagen wurde, und sie haßt den Starken, der wider den
Sadismus ihrer Natur ist. Dennoch will sie seinen Triumph: seine Stärke
soll der Sockel ihrer Frauenmacht sein. Aber sie wiegt währenddem, als
ihr Kind von ihm, Mordgedanken im Arm und harrt des Rächers.
Der Rächer sind gleich zwei. Ein Feind und ein Freund. Der Feind
ist Jobs Hamel, Syndikus von Danzig, eben der, um dessen Verstümmelung
willen Andreas einst die Stadt fliehen mußte. Er giert danach, den Zieren¬
berger zu sich heran und heraufzuziehen, um ihn aus sicherer Nähe desto
tiefer zu stürzen. Der Freund ist Sebald Meinerts, eben der, um dessentwillen
Cordula verschachert wurde. Er verfällt der Frau seines Freundes, wie
sie einst ihm verfallen war. Meinerts ist, gleich Zierenberg, ein nordwärts
versprengter Spätling der Renaissance. Der eine schreibt mit der Eisen¬
faust, der andre mit Samthandschuhen. Der Patrizier ist Genießer, wo
jener Eroberer ist. Der Eroberer hat das Weib und kann es nicht wahren,
der Genießer nimmt es und kann es nicht behalten.
Dies sind die Fundamente des historischen Dramas, die auf einen ver¬
wickelten Bauplan schließen lassen. Fundamente aus Zuständen und Gestalten.
Und es muß gesagt werden: wenn anders etwas an diesem Schauspiel zu
loben ist, so sind es bis hierher seine Charaktere. Sie sind — in der
Anlage — glaubhaft und deutlich distanziert. Aber gerade sie geben in sich
Beweis, daß sie nicht aus einem dichterischen Erleben geboren wurden: sie
arbeiten sich aus der Historie bis zum Typus heraus, um späterhin — es
wird sich zeigen — mit dem Moment ihres Eigenseins anzufangen, un¬
faßbar zu irrlichtern. Typen, nicht Individualitäten, sind in den Steck¬
briefen festgelegt, die Halbe seinen verbrecherischen Geschöpfen mitgibt. Da
heißt es von Zierenberg: mächtige, überragende Statur, die Augen grübelnd
und bohrend, alles an ihm von Natur aus ungeschlacht und bäurisch, aber
durch eine gewisse erworbene Haltung und Würde geadelt. Von Meinerts:
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schöne, männliche Erscheinung, regelmäßig geschnittene Züge, in die ein
stürmisches Leben sich eingeschrieben, reich gekleidet, ein Hauch von welt¬
männischem Wesen umgibt ihn. Von Hamel: gelbe, eingefallene Wangen,
messerscharfes Profil, bucklige Gestalt. Sagen wir doch einfach: sell-made¬
man, Lebemann, Intrigant. Drei Typen. Cordula und Andreas: Simson
und Delilah, der biderbe deutsche Bär und die verschlagene polnische Katze.
Es muß wohl sein, daß Cordula als polnischer Frauentyp nicht eben selten
ist: ich finde ihn in der Frau Tiralla aus Clara Viebigs letztem Roman
Absolvo te“ wieder. Wenn es des Zierenbergers ans Allzumenschliche
gekettetes Uebermenschentum gilt, läutet Halbe die Sturmglocke großtönender
Worte: „Der Mensch kann alles, der Mensch vermag alles! . . . Also
Wille, Kraft, Ausdauer ohnmächtig gegen die Unvernunft der Kreatur!
Immer wieder an den Grenzen des Menschlichen! . .. Sieg oder Unter¬
gang! Mit einem Wort steh ich oder fall ich!“ Wenn es Cordulas falsches
Girren gilt, klingelt ein Schellenspiel billiger Redensarten, und die humane
Weltweisbeit von Sebald Meinerts illustriert des großen Preußenkönigs
Flötenblasen: „Lassen sich widerstreitende Ansichten ewig nur mit dem Richt¬
schwert replizieren!“ Jobs Hamel — ein rechter Stiefsohn der Natur,
wie es nur je der verwachsene Kanzler Ambrosius Volland in Hauffs
„Lichtenstein war — weiß alles, sieht alles, durchfreuzt alles, als der Enkel
einer unabsehbaren Flucht von Theaterintriganten und der Erbe ihrer
geheiligten Tradition: „Darum hab ich für jeden Zug, den er auf dem
Schachbrett tut, schon den Gegenzug ersonnen.“
Es ist überflüssig, die Nebenfiguren des Spiels — als da sind: Lorenz,
des Zierenbergers Lerse, oder Järtke, der Cordula masochistischer Widerpart
auf ihre individuelle oder tyvische Rote anzuschneiden. Vielleicht ver¬
langt das historische Drama eine gewisse Typisierung, die ihm Distanz und
Stil gibt. Und in jedem Fall hätte sich — wenn man schon dem „Wahren
Gesicht“ dieserhalb eigentliche dichterische Werte abspricht — immer noch
ein gutes Theaterstück auf den Fundamenten zimmern lassen. Sudermann,
der über der Technik das Dichten verlernt hat, beweist es. Aber Halbe ist
von je kein Techniker gewesen; mancher lernt es eben nie. Und sein Drama
ist so verzwickt angelegt, daß auch ein geschickterer Kombinator sich in die
Zwickmühlen dieses Spiels verrennen möchte. Es ist ein Verräterspiel.
Zierenberg verrät die Stadt Danzig um seines Weibes Cordula willen.
Sein Weib Cordula verrät ihn um seines Freundes Meinerts willen. Sein
Freund Meinerts verrät ihn um seines Weibes Cordula und die Vaterstadt
um seinetwillen. Hamel schließlich verrät alle drei um ihrer gemeinsamen
Vaterstadt willen. Die Parteien sind: Zierenberg — Cordula — Hamel.
Meinerts ist ihrer aller Freund und somit ihrer aller Feind und Anstoß des
Verderbens. Aus dieser Anlage war dramatisch zu folgern: Der Ueber¬
mensch Zierenberg ist aus Liebesleidenschaft von seiner Kraft Einsamkeit
abgekommen und legt sein Geschick in Weibeshände, die es triumphierend
zu Boden schleudern, daß es zerbricht. Solcher Tragödie ungeschriebener
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