VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Josef Karl Ratislav, Seite 20

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1. Panphlets iforints
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gänglichkeit all der süßen Freuden der Liebe aus. Dieser Zwiespalt
im Charakter Anatols kehrt auch im „Reigen“ wieder. In „Weih¬
nachtseinkäufe“ wird der mondänen Dame der Typus des süßen
Mädels beschreibend vorgeführt. Von ihm heißt es: „Sie ist nicht
faszinierend schön
sie ist nicht besonders elegant — und sie ist
durchaus nicht geistreich . . . aber sie hat die weiche Anmut eines
Frühlingsabends . .. und die Grazie einer verzauberten Prin¬
zessin ... und den Geist eines Mädchens, das zu lieben weiß.“
In „Episode“ erfahren wir von Anatols bisherigen Liebes¬
abenteuern. Er hatte alle Briefe, Locken und Blumen sauber in
Päckchen geordnet, auf denen irgend ein bezeichnendes Wort oder ein
Satz steht, der ihm die ganze Episode ins Gedächtnis zurückruft.
Seinem Freunde Max übergibt er diese Sammlung zur Aufbewahrung
und bei dieser Gelegenheit betrachten sie miteinander die einzelnen
Päckchen. Eines trägt die Aufschrift: „Episode“. Es waren zwei
stimmungsvolle Stunden, die Anatol mit Bianka verlebt hat. Die
beiden trennten sich bann sofort, weil sie mit ihrem Zirkus nach
Petersburg ging. Eben jetzt ist sie wieder zurückgekehrt. Sie besucht
Max und trifft bei ihm auch Anatol, hat aber das Erlebnis mit diesem
längst vergessen.
Am Vorabend von Anatols Hochzeit spielt „Denksteine“.
Anatol kramt im Schreibtisch Emiliens, der er noch immer nicht ver¬
traut, obzwar sie ihm längst ihre Jugendsünden gestanden und die
Erinnerungen daran gemeinsam mit ihm vernichtet hat. Anatol kann
eben die Vergangenheit seiner Geliebten nicht vergessen und darin
liegt die Tragik. (Dasselbe Motiv wird später im „Märchen“ ange¬
schlagen.) Wirklich findet er noch zwei Edelsteine, deren Herkunft
wir nun erfahren. Er wirft sie ins Feuer, aber Emilie will sie
retten, denn der eine ist ein schwarzer Diamant und besitzt den Wert
einer Viertelmillion. Da verläßt sie Anatol mit dem Zuruf: „Dirne!“
Das „Abschiedssouper“ will Anatol mit Annie halten, da
er bereits eine andere liebt. Bei dieser Veranstaltung steht ihm Max
hilfreich zur Seite. Anatol wird die Erklärung schwer, Annie kommt
ihm aber zuvor, indem sie ihm mitteilt, daß auch sie bereits einen
andern Liebhaber hat. Den Grundgedanken dieses Einakters, daß
ein Verhältnis vom Anbeginn auf völlige Wahrheit und Aufrichtig¬
keit begründet wird, verwendet Schnitzler auch im „Zwischenspiel“.
Eine Szene aus dem Verhältnis mit einer verheirateten Frau
bringt „Agonie“. Anatol liebt Else tief, sie aber hat nicht die Kraft
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zu einer wahren Liebe, das Schreck
fortwährend vor Auge. Für sie ist
einem langweiligen Familienleben.
Anatols Hochzeitsmorgen.
betrügt Anatol schon seine junge Fra#z
mittag Max abholen kommt, findet
köstlichen Szene wird Ilona beigebre
nun wieder ganz gewonnen zu haben
Sie führt einen richtigen Skandal au
Max beruhigen, der sie damit tröstet,
mit ihr verkehren könne.
Im „Anatol“ tritt das Tragisch
vom Lichte des Humors oder der frivo
wird. Die Einakter geben ein treff
Bourgeoisie in den 80er Jahren. Zu
Schäffers („Gesellschaft“, Jahrgang 1
glühendes Gedicht, wie die andern da
aber ohne Pathos, lodernde Leide
Stammeln des verzückten Rausches,
das Buch mit dem Titel, der so graz
eines von jenen, die am Ende einer
Skepsis nicht mehr an die großen kon
Gefühle differenziert werden, und die
Sonne, dem Leben, in das zart=violett
rettet.“
Dem Anatolzyklus kann man im
dramatische Szene „Halb Zwei“ b
auch zu einem Werke hinüber, das in
„Anatol“ nennen kann. Es sind zehn
gehörigkeit schon durch den gemeinsamen
Die Liebe in ihrer konkretesten
variierte Thema dieses Buches. Es i
für den, der nicht tiefer zu lesen verste
meinheit bis zur feinsten Erotik auf
Vorgänge. Der Dichter steht über sei
gewagten Situationen, die er darstellt,
Menschlichen bis auf den Grund scha
und der Soldat eröffnen mit einer f
zeichneten Szene das Buch. Der S#