VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Josef Karl Ratislav, Seite 28

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1. Panphlets offorints
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Gnaden haben wir ihr erwiesen, Gnaden — wir! — Und hätten ein¬
fach gut sein müssen, Mama!“
Auch in diesem Drama hat Schnitzler seinen mächtigsten Helfer
neben sich: den Tod. Der erste Akt gelingt ihm meisterlich, die beiden
andern sind mehr quälend. Dadurch, daß der Dichter das Kind bald
dem Vater nachsterben jäßt, will er die Frage herausarbeiten, ob
Toni im Hause bleiben kann. Daß sie sich an die Familie des Toten
klammert, ist eigentlich unverständlich und nur einer kaum glaubhaften
Charakterschwäche zuzuschreiben. Desgleichen ist auch ihr freiwilliger
Tod keine notwendige Folge des Geschehenen. Auch in Hugos Vater
tritt uns ein Mann entgegen, der nicht die Kraft hat, Theorie in
Praxis umzusetzen. Er wagt es schließlich doch nicht, die Gesetze der
Gesellschaft umzustoßen.
Der Einakter „Die Befährtin“ ist ebenfalls im gewissen
Sinne ein Anklagestück gegen die Gesellschaft. Der Akt ist vollständig
in sich abgeschlossen und trefflich komponiert. Schnitzler beweist hier,
daß er auch das, was nur ein undramatisches, festes Sein ist, in
einer geschickten Szene in ein dramatisches Geschehen umwandeln
kann. Die hohle Ehe eines Gelehrten ist das Problem dieses äußerst
geistreich geschriebenen Einakters. Es ist interessant zu beobachten,
wie Schnitzler hier viel durch die bloße Stimmung erreicht.
In der ergreifenden Krankenhausstudie „Die letzten Masken“
werden wir Zeugen der Unterredung eines verbummelten, totkranken
Schriftstellers mit seinem berühmten Kollegen. Die Grundstimmung
der Szene ist die: vor dem Tod werden so viele Probleme des Lebens
lächerlich und nichtig. Was uns in gesunden Tagen als sehr wichtig
erscheint, dafür haben wir im Angesichte des Todes nur ein resignieren¬
des Lächeln. Der armselige Journalist will seinen glücklicheren Neben¬
buhler am Totenbett die Wahrheit entgegenschleudern, daß eigentlich
er der Größere sei, denn ihn habe die Gattin des berühmten Autors
geliebt. Aber er schweigt, als er die Bekenntnisse des beneideten
Kollegen hört, der in tausend Mühen und Angsten seinen Ruhm be¬
haupten muß. So stirbt Rademacher mit dem freudigen Bewußtsein:
„Wie armselig sind doch die Leute, die auch noch morgen leben müssen.“
Von den übrigen Figuren dieses Einakters verdient der Schauspieler
besondere Erwähnung.
Wie gründlich Schnitzler zwischen echtem und falschem Künstlertum
zu unterscheiden weiß, zeigt das geistsprühende Lustspiel: „Literatur“.
Die Verlogenheit des Scheinkünstlertums wird hier in Margarete ge¬
——
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geistreich
geißelt und in dem um jeden Preis
keiner echten unmittelbaren Gefühle fähig. De
ist folgender: Ein Mann heiratet eine junge S
einer ziemlich lockeren Gesellschaft von Bohemien
hat. Sie gab ihm das Versprechen, nichts mehr
aber dennoch heimlich einen Roman, in dem
niederlegte und Briefe an einen früheren G
erwähnten Kreise aufnahm. Aber auch dieser h
in das wieder Briefe Margaretens ausgenomm
läßt den Roman seiner Frau einstampfen, un
während der Dichter, der Margarete aufsuch
wieder zu gewinnen, abziehen muß.
VI.
Drei Einakter hat Schnitzler in einem Bu
trägt das Motto: „Wir spielen immer; wer e
spricht der Dichter zum erstenmal deutlich au
hältnis zwischen Wahrheit und Dichtung, zwi
besteht. Es ist ein Spiel. Das Schicksal sp
oft spielen auch wir mit unserem Schicksal, d#
Personen, die er uns vorführt. Schnitzler ha
So sagt er im „Paracelsus,“ dem die obige
führlich:
„Es fließen ineinander Traum und
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist
Wir wissen nichts von andern, nichte
Wir spielen immer, wer es weiß, ist
Und in „Der grüne Kakadu“ heißt es: „Wi
über
Spiel in Wirklichkeit.“ Noch öf
darauf zurück, bis er schließlich in den „
unsichtbaren Drähte, an denen er seine Mensch
Schnitzlers „Paracelsus“ ist mit M
des Erasmus“ das beste Renaissancedrama d
spiel führt uns in den Beginn des 16. J
Es ist das erstemal, daß Schnitzler historische
eines Dramas bringt. Der Held des St
Wunderdoktor Theophrastus Bombastus Ho
seine Künste Justina, die Gattin des Waff