VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Max Burckhard Wiener Literatur, Seite 5

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Panphlets Offariuts
„Ungar“ LENAU, den Krakauer HALM, den Deutschböhmen STIITER und den
n Jahrhunderts
Waldviertler HAMERLING, wenngleich diese beiden letztgenannten nur die Stu¬
Schätze von
dienzeit und die unmittelbar anschließenden Jahre in Wien verlebt haben, und auch
ewegung
den Deutschböhmen MORIZ HARTMANN, den Vielgereisten, den Verfasser des
1 zum
Romanes „Der Kampf um den Wald“ und des „Schlosses im Gebirge“, der außer
23 im
Jugendjahren auch noch die letzten Jahre seines Lebens in Wien verbracht hat.
usel“.
Auch Wien erreichten die Wogen des Naturalismus, die vom hohen Norden
über Deutschland gekommen waren. Die entstandene Bewegung wurde zuerst als
Kaffeehausangelegenheit betrachtet und nach heimischer Art verlacht und ver¬
spottet. Aber neue Mensehen tauchten aus ihr auf und traten auf den Plan, deren
hohe dichterische Begabung und strenge, ernste Selbstzucht sich nicht verkennen
ließ, und sie fanden in HIERMANN BAHTR einen Vorkämpfer, der vorher schon in
Berlin in der „freien Bühne für modernes Leben“ einer der Rufer im Streit ge¬
wesen war und nun rückhaltlos umdi rücksichtslos für die Jungen eintrat, mit seiner
breiten Brust und kräftigen Ellbogen Platz für sie zu schaffen.
Von SCIINTTZLER und HIOTMANNSTIIAl, brauche ich hier wohl nur
einige Titel von Büchern zu nennen, ihre Namen sind ja längst nicht nur nach
Deutschland, sondern in die ganze literarische Welt gedrungen. Freilich haben sich
die Dinge so entwickelt, daß, nachdem ich als Direktor des Burgtheaters diese Bühne
dem Dramatiker Sehnitzler mit seiner „Liebelei“ geöffnet hatte, und auch von Hoff¬
mannsthal drei kleinere Versdramen unter Direktor Schleuther am Burgtheater
gegeben worden waren, nun die Premièren der Stücke Hoffmannsthals und
Schnitzlers in Berlin stattfinden, und es überhaupt in der Heimat nicht an Leuten
fehlt, die den heimischen Dichtern die Auerkennung, die sie allenthalben gefunden
haben, mißgönnen und sie dafür zu Hause herabsetzen und verunglimpfen.
Von Hoffmannsthal weise ich nur auf „Elektra“, „Odipus und die Sphinx“
und die „Uaterhaltungen über Iiterarische Gegenstände“. Von Schnitzler seien ange¬
führt die Dramen „Liebelei“. „Der Schleier der Bentrice“ und die blutige Groteske
„Der grüne Kakadu“ sowie die Einakter „Lebendige Stunden“; ferner sein neuer
Roman „Der Weg ins Freie“, die Novellen „Leutnant Gustl“ und „Dämmerseelen“
mit der köstlichen Geschichte „Das Schicksal des Freiherrn v. Leisenbohg“, die
„Novelletten“ und die DialogeReigen“. Den „Reigen“ hat staatliche Weisheit und
private Beschränktheit für unsittlich befunden, weil er eine der Grundwahrheiten
des physiologischen Verhältnisses zwischen Mann und Frau, die Tatsache, wie
anders der Mann vor und nach der „Gewährung“ sich der Frau gegenüber verhält,
in einer Reihe von Szeuen durchführt; daß dies in der geschlossenen Form eines
Kunstwerkes geschicht, das mit feinster Beobachtungsgabe die verschiedensten Ge¬
sellschaftskreise durchmißt, daraui kommt es ja gewissen Leuten nicht weiter an.
Von den Büchern HERMANN BAHRS will ich anführen aus seinen
Dramen den „Franzl“, in dem die Gestalt Franz Stelzharners mit dichterischer
Freiheit, aber mit Humor und feiner Empfindung behandelt wird, den „Meister“,

der auch erst über Berlin nach Wien gekommen ist, und das „Arme-Leut-Stück“
„Unter sich“, das von der Zensur nirgend beanständet wurde, weil diese Farce
so geschickt gemacht ist, daß der Ankläger durch seine Anklage sich selbst zum
Schuldigen machen würde. Ferner den eben erschienenen Novellenband „Stimmen
des Bluts“ und das dem kleinen Karl Moser gewidmete „Buch der Jugend“
die „Dialoge“ „vom Marsyas“ und „vom Tragischen“, sowie die „Rede für Klimt“ und
die Streit- und Spottschrift mit dem Titel „Gegen Klimt“, zwei Schriften, in denen
Bahr mit aller Schärfe für Gustav Klimt und gegen dessen Widersacher auftritt,
wie er in den Aufsätzen, die unter dem Titel „Secession“ gesammelt erschienen sind,
rückhaltslos für die „Modernen“ auf dem Gebiete der bildenden Kunst eintrat, ein
Kampf, in dem er in Wien lange nur Ludwig Hevesi („acht Jahre Secession“)
und Bertha Zuckerkandl als Kampfgenossen hatte. Und da möchte ich gleich
LUDWIG HEVESi als typisches Beispiel dafür anführen, wie in Wien Ausländer,
denn Hevesi ist, wie schon sein Name sagt, Ungar. zu Wienern werden können, die