VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Viktor Klemperer Bühne und Welt, Seite 7

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1. Panphlets, Offprints
Bühne und Welt.
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Bedeutende seiner Natur durchschimmern läßt. Für dieses Verborgene haben die
wenigsten Verständnis gehabt. Zumeist bewundert man an den „Anatol“=Gesprächen
die französische Grazie des Wortgeplänkels, das Spiel mit gewagten Themen, die
ironischen Töne. Gern klammert man sich an die beiden völligen Satrrspiele „Ab¬
schiedssouper“ und „Hochzeitsmorgen“ und nennt dann Schnitzler etwa einen „öster¬
reichischen Alaupassant“ (Das sind, beiläufig gesagt, die gleichen Leser, die später
dazu beigetragen haben, Schnitzlers anderes Gesprächsbuch, den „Reigen“, teils in
Phot. F. X. Setzer, Wien.
Elsa Wohlgemuth als Prinzessin von Dalois in „Der junge Mebardus“
falscher Hinsicht berühmt, teils zu Unrecht berüchtigt zu machen. Sie sahen eben nur
die allerdings unüberbietbar drastischen Erotika des Werkes und bemerkten nicht das
traurige Achselzucken, das höhnische Lachen des Gestalters hinter den fragwürdigen
Gestalten.) Tatsächlich hat man es im „Anatol“ mit keinem oberflächlichen Nach¬
ahmer Maupassants zu tun, sondern mit einem durchaus originellen Dichter. Anatol
ist Schnitzler selber, nur eben der junge Schnitzler, für den noch Sehnsucht und Liebes¬
sehnsucht identische Dinge sind. Anatol ist belastet mit all der Grübelei, all dem
zerlegenden Beobachten des eigenen Selbst und seiner Umgebung, die auch seinen
Dichter drückt. Das hat dem schwärmerisch Sehnsüchtigen einen robusteren, kälter¬
geistigen Freund beigegeben, den Vertrauten des klassisch=französischen Dramas, in