VI, Allgemeine Besprechungen 1, 4, Viktor Klemperer Bühne und Welt, Seite 12


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1. Pamphlets, offprints
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Bühne und Welt.
als ein Wort. Es klingt ins Leere. Sie sind mir fremder geworden, seit ich es
weiß.“
Und Doktor Reumann, der sanfte Altruist, schilt seine Güte, die ihn an
allem kräftigen Lebensgenuß hindert, einmal einen „Temperamentsmangel" und
meint: „Die Sehnsucht, die am tiefsten in mir steckt, ist die, ein Schurke zu sein.“
Will man dem erschütternden Drama eine Schwäche nachsagen, so weist dieses
Wort des Doktors darauf hin. Es ist immer von solchen skrupellosen Tat= und
Genußmenschen die Rede, ohne daß man sie eigentlich zu Gesicht bekommt. Denn
Fichtners und Salas unbedenkliches Genießen liegt ja weit zurück, und beide Männer
sind nunmehr derart in Reflexionen eingesponnen, daß man gelegentlich Mühe hat,
an ihre frühere Skrupellosigkeit zu glauben. Für diese Schwäche aber ist Schnitzler
nur zum Teil verantwortlich. Im wesentlichen nämlich hemmt ihn die Zeit seiner
Handlung, die Gegenwart. Hier ist für nicht reflektierendes, unbedenkliches Tun
wenig Raum, und der Dichter, der sich den Raum dafür erzwingt, gerät in Gefahr,
ein Schauerstück zu schreiben. Und gerade Schnitzler, der Zerfaserer aller Gefühle,
kann keine ungebrochenen Tatmenschen in sder Gegenwart sehen. Stellt er sie doch
einmal hier hmein, so tut er sich selbst Gewalt an, und der Erfolg ist dann ein so
verfehlt gewaltsames Stück wie „Der Ruf des Lebens“.
Aber es gibt ja für den Dichter auch andere Formen zur Gestaltung seines
Sehnens. Er kann der Gegenwart ins Zeitferne, der äußerlichen Wirklichkeit ins
Spiel und Märchen entfliehen. Das hat Schnitzler mehrfach getan, und ich glaube
auf diese dem Staube entrückten Dichtungen wird sich sein Ruhm dauernder stützen
als auf die Gegenwartsstücke. Zweierlei scheint mir jene Spiele emporzuheben.
Einmal blieb ihnen fern, was im Tag und Tagesinteresse an Vergänglichem steckt,
was also auf die Dauer im Gegenwartsstück notwendig zu Ballast werden muß, und
dabei werden sie doch gewissermaßen von dem tiefsten Atem der Gegenwart be¬
seelt; denn das leidenschaftliche Verlangen nach höchstem Lebensgenuß, das Zerren
an Rätselschleiern der Seele und der Natur, das qualvolle Schwanken den letzten
Fragen gegenüber — diese Dreiheit haben Schnitzlers Spiele und die Gegenwart
gemein. Und sodann ermöglicht eben die Zeitentrücktheit dem Dichter sozusagen ein
lauteres, zuversichtlicheres Sprechen, ein kraftvolleres, größeres und so dramatischeres
Gestalten seines tatsächlichen und seines ersehnten Ichs. Um dies zu erkennen, ver¬
gleiche man einmal den Einakter „Die Frau mit dem Dolch“, den Gegenwartsstücken,
die an dieselben Probleme rühren. Wie sehr wägt Schnitzler im „Einsamen Weg“
das Recht des Künstlers zweifelnd ab, und mit welcher Selbstverständlichkeit läßt er
seinen Remigio im furchtbarsten Erleben zum Dinsel greifen; wie sehr müssen im
„Zwischenspiel“ sich die Gatten zerquälen, weil ihr sinnliches Begehren nicht immer
mit der Neigung ihres Herzens und Geistes in Einklang zu bringen ist, und wie
ruhig und sicher lebt Haola nach dem Satze: „Zusammen wach sein, das allein be¬
deutet.“ So stark und gerade vermag der Dichter allein im freien Ohantasiespiel
die Menschen zu gestalten, deren einer zu sein, bisweilen sein höchstes Sehnen ist.
Aber auch die Zerrissenheit, die Unsicherheit seines eigenen Wesens kann im
gegenwartentrückten Spiel bedeutend kräftigere Gestaltung erfahren als in den
modernen, sozusagen kulturgehemmten Stücken.
So malte Schnitzler diese beiden Charaktere, den sicheren Tatmenschen und den
lebenssehnsüchtigen Grübler am vollkommensten in dem Ohantasiespiel „Der Schleier
der Beatrice“. Ich halte diese Tragödie für das schönste Werk, das Schnitzler bisher
gelungen ist, ich weiß nur ganz wenige dramatische Dichtungen des letzten Aenschen¬
alters, die sich mit dieser an Tiefe und Schönheit messen können, und es ist mir un¬
begreiflich, warum gerade dieses Meisterwerk auf den Bühnen nicht so recht heimisch
geworden ist. Schnitzler wählte für seine Dichtung die Renaissancezeit, weil diese
Epoche den modernen Menschen eine besondere Lebensfülle, den gewaltigsten Lebens¬
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