VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 4

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1. Panphlets, offprints
Hanns Sache
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Von größter Einsicht zeigt es, daß der Träger des Namens
nie handelnd die Szene betritt, solche Gestalten gleichen, im Drama
verwendet, dem Riesen aus dem Märchene Goethes, dessen
Schatten ungeheuere Kräfte hat, während sein Leib nicht die kleinste
Last zu heben imstande ist.
Das Auffälligste im Geschicke des Agidius: höchste Lust ge¬
nossen von einem, der weiß, daß er dem Tode geweiht ist, ging
auf den jungen Medardus nicht über. Wir werden später sehen, daß
es sich hier um eines der allertypischesten Motive Schnitzlers
handelt, das er leicht aufgreifen und wieder fallen lassen konnte, da
es sich seiner formenden Hand stets bereitwillig darbot. Auch im
Medardus klingt es in jener Szene mit dem Kerkermeister und auch
sonst an mancher Stelle an, seine Ausgestaltung mußte diesmal
geopfert werden, weil das Ganze einem ursprünglich fremden Zu¬
sammenhang eingefügt wurde. Der versuchte Dolchstoß ist im
Medarduss nicht mehr das erregende Moment, aus dem sich die
Handlung entwickelt, sondern ein letztes Aufflackern vor dem Ende.
Nicht nur an die Stelle des Königs tritt Napoleon, er über¬
nimmt gleichzeitig die Rolle des begünstigten und besitzenden
Rivalen, so daß er den Vater und Verlobten des Entwurfes in
einer Person vereinigt. Dagegen hat der Vater der Prinzessin Helene
eine deutliche Verwandtschaft mit dem Bräutigam Heliodor, da
beide hart ans Narrentum streifen, auch den Herzogstitel und vor
allem den Cäsarenwahn miteinander teilen.
Für den wirklichen Verlobten, den Marquis, bleibt wenig mehr
übrig, die wesentlichen Züge hat er seinem Oheim abgetreten und
muß nun ziemlich farblos durch die Handlung wandeln.
Im -Weg ins Freieg berichtet Heinrich Bermann von den
Phantasiebildern, mit denen er sich auf seiner Ferienreise umgeben
hatte. „Da entwickeln sich dann die allerseltsamsten Beziehungen
zwischen den wirklichen und den erfundenen Figuren. Ich könnte
Ihnen von einer Unterhaltung berichten, die zwischen meinem ver¬
storbenen Großonkel, der Rabbiner war, und dem Herzog Heliodor
stattgefunden hat, wissen Sie, mit dem, der sich in meinem Opern¬
stoff herumtreibt, eine Unterhaltung, so amüsant, so tiefsinnig wie
im allgemeinen weder das Leben noch Operntexte zu sein
pflegen Das Wirkungsvolle bei der Gegenüberstellung dieser
beiden Figuren ist offenbar der Kontrast der prosaisch philiströsen
Wirklichkeit mit den kühnen Linien und abenteuerlichen Horizonten
eines aller Banalität entrückten Daseins.
Dieser selbe Kontrast ist einer der Tragbalken der Kompo¬
sition des Medardusg geworden, nur der Rassengegensatz, der ihn
verstärken hilft, blieb dort unverwendbar und fand erst später in
PProfessor Bernhardig seinen Platz. Die Buchhändlersfamilie Klähr
und die Wiener Typen, die ihren Bekanntenkreis bilden, auf der
einen, die Valois und ihre Gefolgschaft auf der anderen Seite —
aus der Unvereinbarkeit dieser Gegensätze entsteht der tragische