VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 7

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1. Panphlets, Offprints

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Die Motivgestaltung bei Schnitzler
Situa¬
ruft Jund seine Ahnungslosigkeit, daß alles dieses zum letzten¬
mal wäres. Die rein lyrische Verwertung findet sich in dem Gedicht
des
Anfang vom Endes: sund daß ich längst Abschied von Dir
ar:
genommen, mein Mädel, — du weibt’s ja nicht.“
Der ernste und der heitere Freund sind deswegen parodistisch
Be¬
wirksam, weil sie gemeinsam die Bühne betreten, da doch sonst in

jedem Stück nur für einen von beiden Platz ist: dem Helden steht
in
entweder ein ernster Berater zur Seite wie Etzelt und der Arzt
im -Ruf des Lebenss oder einer, dessen Aufgabe es ist, ihm und
dem Stück etwas Heiterkeit mitzuteilen, wie Theodor in der
„Liebeleig, Florian Jackwerth in den -Letzten Maskene und der
Dichter Albertus Rhon im =Zwischenspielz. Die beiden Sekundanten
sind Rivalen des Helden, etwa wie Friedrich Hofreiter für sein
Duell sich die zwei Männer zu Helfern wählt, denen er das Weib,
das sie liebten, weggenommen hat und in der Novelle =Der Mördere
Alfred Altelens Bräutigam zum Sekundanten nimmt. In den Abgungs¬
worten deutet der Dichter auf die Art, aus den Episoden eines
Werkes die Handlung der späteren zu entwickeln, die wir schon
als seine eigene Arbeitsmethode kennen gelernt haben.
Die Herzogin von Lawin bringt mit ihrem Verführungsversuch
in das Stück jenes bevorzugte Motiv der durch das Wissen von
der Unabwendbarkeit des nahen Todes vertieften letzten Lust, das
wir als den Kern des Agidius-Stoffes schon gestreift haben, In der
Fassung des Opernplanes tritt die innere Verwandtschaft des Motivs
mit dem Liebestod Tristans, die in anderen Gestaltungen kaum er¬
ratbar ist, auch in äußeren Zügen hervor, in beide rauscht als
Symbol der Unendlichkeit und des Todes das Meer hinein, so daß
die Meerfahrt ihnen zum wesentlichen Stimmungs- und Handlungs¬
sch
element wird: Wie im ersten Akt des yTristang führt den Agi¬
gst
dius ein Schiff gemeinsam mit einer, die ihm bald Mörderin, bald
rem
Geliebte ist, dem Verhängnis entgegen und sein Tod hängt wie
im letzten Akt an der Landung eines Schiffes. Daß im „Weg ins
Freies die Tristan-Partitur und die Schilderung einer Tristan-Vor¬
rs
stellung Platz gefunden haben, ist also keineswegs zufällig. Die
vollständige Analyse eines Kunstwerkes müßte uns zeigen, daß die
Willkür bei der Komposition überhaupt keine Rolle spielt und die
bewußte Wahl eine sehr geringe.
Wenn wir zu den weniger rein ausgeprägten Formen unseres
Motivs niedersteigen, finden wir schon eines der frühesten, „Sterbeng,
unterirdisch davon durchzogen. Die Schilderung, wie für den, der
sein Todesurteil erfahren hat, die letzten Züge aus dem Becher des
Lebens veränderten Geschmack bekommen, ist der eigentliche Vorwurf
der Erzählung. Später erwächst aus demselben Boden die Gestalt der
Katharina im zRuf des Lebensg, die sich der Liebe nicht ersättigen
kann, seitdem sie ihr Grab so nah vor sich sieht. In der Novelle
„Die Fremdes weiß Albert, daß ihn seine Braut nach kurzem Glück
verlassen wird und findet in dem festen Entschluß, dann die Welt
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