VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 9

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1. Panphlets, offprints
Die Motivgestaltung bei Schnitzler
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schiedsszene zwischen Filippo und Beatrice, deren parodistische
seinem
Wirkung eben auf der Abbreviatur beruht. Statt der vergeblichen
seine
Versuche des Dichters und des Herzogs, das Seelengeheimnis Bea¬
ist:
tricens zu ergründen, erhalten wir die bündige Selbsterläuterung
der
Liesls: „Es war halt so schön! Es ist meine Natur.e Wie Filippo
will der Held durch den gemeinsamen Tod die Untreue entsühnen.
Das Schwanken Beatricens zwischen Lebensgier und Hingabe ersetzt
Liesl durch die unzweideutige Absage: -Nein, fällt mir nicht ein —
ich bring“ mich nicht ums, auf die prompt Ekel und Verstoßung folgen.
Der als Vater der Verlassenen erscheinende düstere Kanzlist
ist eine Karikatur des Herrn Rosner, der auch von der trübselig¬
grauen Amtsatmosphäre umgeben ist und einen wenig erfolg¬
reichen Versuch macht, von dem „Verführere seiner Tochter Rechen¬
schaft zu verlangen. Mit seinem sinnlosen Gebelfer bildet er das
Gegenstück zu dem gütig-weisen Vater aus der zLiebeleis, Ganz
neu ist nur die ssoziale Notes in seiner Rede, denn ihr ist
Schnitzler stets fremd geblieben, er läßt sie auch hier durch seinen
Helden mit verächtlicher Geste beiseite schieben.
Der Vetter von Brackenburg, der gar nicht begehrt, der Erst¬
geliebte zu sein, wenn er nur der letzte bleiben darf, ist eine typi¬
sche Figur der neueren Literatur. In der „Liebeleis bleibt der Cousin
Binder, der Typus solcher Männer, die nichts glaubeng, hinter den
Kulissen, dagegen hat ihn Schnitzler mit besonderer Delikatesse im
Freiherr von Leisenbohge behandelt. Auch hier gibt es eine
Gegensatzhgur, den Dr. Berthold Stauber im „Weg ins Freies, der
sich absolut nicht in die Rolle Brackenburgs finden kann.
Der Held, der eben noch von Liebe und Haß, Neid und
Hingabe umglüht war, bleibt plötzlich allein, mit einem Schlage
wenden sich alle von ihm ab und lassen ihn ohne menschliche Be¬
ziehung zurück. Auf diesen Grundton sind alle drei Stücke der
Puppenspielerserie gestimmt. Die Helden der beiden anderen Ein¬
akter, Georg und Martin, erleiden dasselbe Schicksal, sie werden
in die Einsamkeit ausgestoßen, weil sie die Liebe, die ihnen ent¬
gegenkam, zum Spiel ihrer Eitelkeit mißbraucht hatten.
Zum Schluß greift das Marionettenstück auf die Theaterbühne
über und von dort aus, alle Schranken der Illusion durchbrechend,
auf die Zuschauer selbst, bis durch das spöttische Drohwort der
Rätselgestalt Spiel und Täuschung vollkommen aufgehoben werden
und jeder einzelne sich unvermutet Aug' in Aug’ mit der Wahr¬
heit sieht. Damit ist der Gipfel erreicht und da mit den Worten
des Direktors odie Bühne, das Abbild des Erdentreibens, auch
Spiegel der Welte sein soll, muß gleich wieder der Tageslärm ein¬
setzen und in seiner bunten Scheinwichtigkeit fortgehen, als wäre
nichts geschehen. Das Zusammenfließen von Wirklichkeit und Schein,
Traum und Erlebnis ist ein Problem, das auf Schnitzler von je
die stärkste Anziehung geübt hat. Die Stellen aufzuzählen, wo er
sich damit beschäftigt, ist wohl unnötig. Die Grenzverwischung