VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 10

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1. Panphlets, Offprints
Hanns Sachs
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zwischen Bühne und Lebensernst ist ein Sonderfall dieses Problems,
den er schon einmal im -Grünen Kakadus mit höchster Meister¬
schaft behandelt hat.
Die komisch-parodistische Wirkung des Marionettenspieles
beruht vor allem darauf, daß trotz Bewahrung der dramatischen
Form alle technischen Regeln des Dramas auf den Kopf gestellt
werden. Die Handlung geht ohne Rücksichtnahme auf die retar¬
dierenden Elemente geradewegs auf ihr Ziel los wie eine Pistolen¬
kugel. jede Person des Stückes teilt ohne Umschweife alle ihre
Absichten und Vorsätze mit. Dadurch werden dem Dialog alle
Ausbeugungen vom Persönlichen ins Allgemeine unmöglich gemacht,
die für das moderne PProblemstücke — das der ggroße Wurstele
parodiert —— das Wichtigste sind. Der technischen Schwierigkeit,
derlei einzuffigen, ohne den Anschein zu erwecken, daß den
handelnden Personen die kritischen Erörterungen mehr am Herzen
liegen als ihr eigenes Schicksal, wird absichtlich durch das plumpste
Auskunftsmittel begegnet und dieses noch ins Groteske verzerrt.
Der -Räsonneure dem die ganze Weisheit in den Mund gelegt
wird, ist in die Handlung kaum je völlig einzuflechten, im Puppen¬
stück steht er ihr vollkommen ferne, der kümmert sich um niemanden
und niemand kümmert sich um ihne.
jeder Auftretende erläutert nicht nur seine Pläne, sondern
auch seinen Charakter und die Aufgabe, die ihm demgemäß in der
Handlung zufällt, so daß für die indirekte Charakteristik — den
Kernpunkt aller dramatischen Technik — gar kein Platz mehr bleibt.
Mit einer Offenherzigkeit, die dem Zuschauer nichts mehr zu erraten
übrig läßt, geben die Figuren gelegentlich auch Winke über den
literarischen Stil, den sie repräsentieren, so tröstet sich der Held
damit, daß er in eine moderne Truhe gehöre, während der alte
Kanzlist mit seiner sozialen und moralischen Anklagestellung aus
einer uralten Schachtel stammt.
Hinter dieser Ausgelassenheit, die in der Auflehnung der
Marionetten gegen den Dichter gipfelt, steckt allerdings ein Stück
wehmütigen Verzichtes. Wer mit Marionetten spielt, der braucht
denen er sie genommen hat, wieder zurückzulegen, von anderen
Sorgen bleibt er frei. Der Dichter, der danach strebt, lebende
Menschen zu gestalten, muß immer fühlen, daß ihm ihre Persön¬
lichkeit nicht in der ganzen Fülle und Tiefe, wie sie sich zwischen
Geburt und Tod ausbreitet, zugänglich wird, sondern nur innerhalb
des kleinen Bezirkes der von ihm erfundenen Handlung. Alles was
vorher und nachher geschieht, bleibt ihm rätselhaft, denn er kann
seine Handlung nicht nach Willkür wählen, um bald dies, bald
jenes Stück Menschenlaufbahn zu überblicken, mit unsichtbaren,
aber unauflöslich festen Banden ist er an bestimmte Motive gekettet,
die ihm die Möglichkeiten der Erfindung begrenzen. Es mag ihm
wohl scheinen, als wollten die von ihm gezeugten Gestalten ihres