VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Hanns Sachs Imago, Seite 11

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Die Motivgestaltung bei Schnitzler
Schöpfers spotten, wenn sie sich seiner schaffenden Phantasie nicht
mehr fügen wollen, ja, seinen Händen entgleitend ins Wesenlose
verschwinden, sobald er es versucht, sie über den Kreis hinaus, der
ihm gegönnt ist, zu verfolgen. Diese Beschränkung in der Motiv¬
wahl, die für uns die Charakterlinien der künstlerischen Persönlichkeit
ergibt, bedeutet für den Künstler die Grenze, die auch der reichsten
und tiefsten Natur gezogen ist.
Der Giftbecher.
Es kann nicht bedeutungslos sein, wenn in den Phantasien eines
Dichters eine bestimmte Episode stets wiederkehrt. Nicht das kommt
für uns in Betracht, ob sie in seinem Schaffen und Denken einen
hervorragenden Platz einnimmt, mag sie ein noch so unbedeutendes
Requisit der Handlung sein, wenn sie sich nur immer wieder durch¬
zusetzen weiß, immer wieder dort zum Vorschein kommt, wo es
der Gang der Breignisse gestattet, werden wir doch vermuten,
daß sie irgendeinmal eine dominierende Rolle im Seelenleben ge¬
spielt hat, etwa wie wir daraus, daß sich ein bestimmtes Götterbild
bei der Ausgrabung einer antiken Stadt in zahlreichen kleinen
Wiederholungen findet, schließen können, daß die dargestellte Gott¬
heit an diesem Orte einst allgemeine Verehrung genoß. Die führende
Stellung hat eine solche Episode — oder die Phantasie, der sie
angehörte — offenbar längst verloren. Aber ins Nichts aufgelöst
hat sie sich darum doch nicht: sie wartet in der Tiefe, bis die Ge¬
legenheit zu ihrer Verwendung kommt, und niemand kann ermessen,
ob es nicht ihr geheimer Einfluß ist, der die Gelegenheit herbei¬
führen hilft, d. h. ob bei dem Aufbau der Dichtung, wenn er gleich
ganz anderen Zielen zustrebt, unbewußt auf die Möglichkeit sie ein¬
zufügen Rücksicht genommen wird. Solche Episoden zu verfolgen,
kann wohl der Mühe wert sein.
NNur eines Griffes von seinem Finger hätte es bedurft, das
Glas umzustoßen, das bläulich vom Tischchen herüberschillerte und
die Gifttropfen wären, ein harmloses Naß, in die gleichgiltigen
Dielen versickert. Aber Alfred lag regungslos und wartete. Er
wartete, bis er endlich, mit stillstehendem Herzen, einer ihm wohl¬
vertrauten Bewegung Elisens gewahr wurde, die mit halbge¬
schlossenen Augen ihre Hand nach dem Glase ausstreckte, um, wie
sie immer vor dem Einschlafen tat, ihren letzten Durst zu stillen.“
So wird in der Novelle „Der Mördere das Gift gereicht. Ganz
ebenso vergiftet im „Ruf des Lebense Marie ihren Vater, indem
sie eine tötliche Dosis des Schlafmittels in das Glas schüttet, das er
vor dem Einschlafen leert. In 2Lebendige Stundeng geht die Mutter
Heinrichs freiwillig aus dem Leben und sucht — wie jene beiden
Mörder — einen natürlichen Tod vorzutäuschen. Man trinkt das
Morphiumflascherl aus, in der Früh wird man tot im Bett ge¬
funden.& Dieselbe Art zu sterben hat wohl Frau Mathilde in?Die

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