VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 11

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1. Panphlets, Offprints
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einer außermenschlichen Hauptperson sozusagen, ist nun schon
der Sprache häufig das unfreiwillige Schwache, Lächerliche des
öfter versucht worden. Von den Griechen, die sich das große
Menschen hervorkehrt, hat denn auch Hauptmann allerlei gelernt.
Mittel des Chors vorbehielten, um die eigentliche Macht zu
Dagegen hat er jene lyrische Symbolik, die lbsen braucht, um
künden, sprach ich schon. Im Barock, das mit den Mitteln der
die unbekannten Ubermächte zu gestalten, so gut wie nie benutzt.
neuentdeckten Sinnlichkeit das Unsinnliche zu verherrlichen
Er bedarf ihrer nicht; und gerade das kennzeichnet seine außer¬
trachtete, schuf der Spanier Calderon das katholische Drama,
ordentliche Leistung in der Stilgeschichte des Dramas.
in dem wundertätige Mächte aus den Wolken steigend, den rein
Das Werk Gerhart Hauptmanns scheint mir unter den stili¬
menschlichen Konflikt zerreißen dürfen, nachdem eine sehr selbst¬
stischen Versuchen der letzten deutschen Generation nämlich
herrlich gedehnte Sprachmusik unsern Sinn vom realistischen
deshalb am merkwürdigsten und bedeutsamsten, weil hier zum
Anspruch schon hinreichend abgelenkt hat. Wie auch lbsen die
ersten Mal der Ausdruck einer eigentlich antidramatischen Ge¬
außerweltliche Macht, die er quer durch alles Menschliche greifen
sinnung mit dem rein dramatischen Mittel vollkommen objektiver
fühlte, in lyrischen Symbolen anzudeuten pflegte, habe ich
Menschendarstellung gelungen ist. Das Drama setzt ja eigentlich
angedeutet. Aber a jedem dieser Fälle ist doch bereits das
das Gefühl voraus, daß in zwei sprechend wider einander be¬
eigentliche Grundgesetz des Dramas verletzt: die Grundillusion
wegten Menschen, in den handelnden, schaffenden Individuen das
dieser Form, als hätten wir hier nur den Verkehr miteinander¬
höchste welterfüllende Wesen offenbar sei. In dieser stolzen
sprechender Menschen vor uns, wird nicht durchgehalten, in
irdisch zuversichtlichen Religiosität lebt aber Gerhart Hauptmann
irgend einer Art setzt die dichterische Phantasie unmittelbar,
nicht. Seine Weltanschauung ist insofern eine spezifisch christ¬
lyrisch, die Zeichen außermenschlicher Gewalten ein. Es ist die
liche, als sie an eine reine, dem irdischen entrückte geistige
große, künstlerische Leistung Gerhart Hauptmanns, daß er zum
Macht glaubt, in die einzumünden, die unter Uberwindung aller
ersten Mal die Möglichkeit gezeigt hat, diese nicht menschlichen
irdischen Hemmungen zu erreichen, Ziel und Sinn des Lebens
Mächte im Menschen selber darzustellen und dadurch die
sei; nicht umsonst gipfelt sein ganzes bisherige Werk in einem
reine Form des Dramas für den Ausdruck solchen Weltgefühls
Christusroman: In der Vision eines Menschen, der wieder
tauglich zu machen.
seine ganze Existenz zum reinen Gefäß des Geistes zu machen
Man hat Gerhart Hauptmann einen „Naturalisten“ genannt,
vermag. Ein Fünkchen dieses heiligen Geistes glüht aber bei
und er ist das in der Tat in demselben Sinn und aus demselben
Hauptmann in jeder Menschenseele. Und nicht der tätige Wille
Grunde, wie er Spiritualist ist. Dies sind reziproke Werte; ein¬
entfacht es zur Flamme, nicht durch Werke, die dem Irdischen
ander so verwandt und so nötig wie das Negativ und das Positiv
dienen, gewinnt es volle Kraft, nur im Leiden liegt für dieses
der gleichen Bildaufnahme. Wenn ihm der Geist, das Wesen
Weltgefühl die Erlösung; wenn die Schlaken des Irdischen vom
nicht unmittelbar mit der Materie verknüpft ist, sondern gleich¬
Schmerz abgeschlagen werden dann wird der feurige Kern frei.
sam als göttlicher Fremdling verbannt in den Leibern lebt, so
Und solche Erlösung durch das Leid, solche Rettung des inneren
wird des Menschen körperliches Dasein eben nicht vom Geist,
Menschen durch sein äußeres Erliegen, stellt in Wahrheit jedes
nicht vom gestaltenden Willen regiert, sondern vom brutalen
Hauptmannsche Werk dar. An den eigentlichen, lebendigen, den
Mechanismus der Außenwelt, von der Schwerkraft der toten
dramatischen Menschen Shakespeares glaubt Hauptmann nicht;
Dinge — und das ist ja eben die materialistische, die im engeren
dieser viel wollende Körper muß erst zerstört werden, damit die
Sinne naturalistische Anschauung. Indem nun Hauptmann mit
Seele, an die er glaubt, frei werde, Also nicht Kämpfe, sondern
einer ganz neuen Kunst im Dialog, in den Worten der sprechenden
Passionsbilder, Leidensgeschichten, stellt Hauptmann dar, nicht
Menschen selber die fremden unpersönlichen Gewalten sichtbar
die Kraft des menschlichen Charakters, sondern das Schicksal der
machen kann, die ihr körperliches Dasein regieren, wird für die
Seele gestaltet seine Handlung.
selten auftauchenden Momente ihrer Freiheit gleichsam durch
Ein solches nicht-shakespearesches Drama, ein Drama mit
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