VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 12

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stellen will. Das durchaus Neue bei Hauptmann ist, daß er für
Substraktion, eine außerweltliche, göttliche Natur erwiesen, fühl¬
solcher Art gebildete Gestalten mit höchstem Pathos unsere ernsteste
bar gemacht. — Diesem Zweck, den bis an eine letzte Schwelle
Anteilnahme zu beanspruchen wagt.
unfreien Menschen zu zeigen, den dunklen Untergrund für sein
Ist so durch die sprachliche Grundfarbe von vorn herein
höchstes Licht zu legen, dienen alle Hauptmannschen Natura¬
die Transparenz der Gestalten, das Durchscheinen fremder, äußerer
lismen. Mit der naiven ästhetischen Irrlehre vom Selbstwert der
Gewalten durch die auftretende Person hindurch, angelegt, so
bloßen photographenmäßigen Naturnachahmung hat höchstens
erreicht Hauptmann ein weiteres durch die Anwendung, die Be¬
das unklare Bewußtsein seiner Anfänge, sein schöpferisches Genie
handlung dieser Sprachart. Er besitzt im höchsten Grade die
nie etwas zu tun gehabt. Hauptmann benutzt“ seine Menschen¬
Fähigkeit, den Dialog so zu führen, daß ein Widerspruch deutlich
gestaltung den Dialekt (und zwar höchst „unnatürlich“ den ihm
wird zwischen dem, was die Menschen in der dünnen Oberschicht
vertrauten schlesischen Dialekt, auch an der Spree, auch im
ihrers Bewußtseins wollen möchten, und dem, was sie nach der
Märchenlande), weil der Dialekt die Sprache des unfreien Men¬
dumpfen Masse ihrer unterbewußten Triebe wollen müssen. Solchen
schen ist, weil er im Gegensatz zu der schriftfähigen Sprache des
ironischen Kontrast zwischen den Worten einer Gestalt, und der
Kulturmenschen anzeigt, daß nicht sein Geist die Welt beherrscht,
Situation, wie wir sie übersehen, hat schon Ibsen zu gestalten
sondern daß sein Geist von der Welt beherrscht wird. Ganz anders
verstanden: Hjalmar Ekdal ist das derbste, Julian das tiefste,
als die von der geistigen Kultur aus den Dialekten heraus¬
Hedda Gabler vielleicht das feinste Beispiel. In Deutschland
gesiebte Schriftsprache spiegelt der Dialekt den Himmel, das
aber haben wir diese sich selbst ironisierende Sprache aufs
Klima, die Landschaft, die Geschichte des Landes, die soziale
stärkste vorgebildet bei Grillparzer. Grillparzer kommt von allen
Schicht und die materiellen Bedingungen, in denen einer auf¬
deutschen Dramatikern am ehesten als Ahnherr Gerhart Haupt¬
gewachsen ist —, kurz all die Mächte, die ein Individuum zu
manns in Betracht. Er war Romantiker im Kern, der eine un¬
dem gemacht haben, was es ist, und die beherrschend und ge¬
heroische fatalistische Weltanschauung in sich nährte, und der
bietend noch in seinem zeitlichen Ich sitzen — neben dem kleinen
deshalb nirgends so groß war wie in der Darstellung solcher
zeitios göttlichen Fünkchen des ewigen Lebens, das sie verdecken.
psychologischer Augenblicke, in denen das prahlerische Wollen
Diese Dialektsprache steigert nun Haupr.ann weiter zur Indivi¬
des Bewußtseins von der Gewalt der inneren Triebe über den
dualsprache, die ja in Wahrheit die leizte Wurzel noch unter¬
Haufen gerannt wird. Die Hero wie der König Alfons geben
halb jedes Dialektes ist: Er gibt den Menschen einen individuellen
glänzende Beispiele dieser, der Schopenhauerschen Menschenidee
Rhythmus, einen besonderen Satzbau und schlicßlich ganz feste
entsprechenden, Darstellungskunst. Grillparzer, der seiner schönsten
Redensarten, von denen sie nicht loskommen. Und all dies bis
und reifstens Gestalt, dem alten Kaiser Rudolph das Motto mit¬
zu dem stumpfsinnigen „Nu ja, ja — nun ne, ne“ des Vaters Bau¬
gibt „Nicht Ich, nur Gott“, er begegnet sich mit Hauptmann
mert dient nicht etwa dazu, uns eine Individualität im Sinne stolzer
eben letzten Endes in einer christlichen Weltbetrachtung und
Eigengesetzlichkeit aufzubauen; vielmehr steigert es das durch
eben deshalb auch in der Tendez des dramatischen Stils.
den Dialekt schon begründete Gefühl geistiger Unfreiheit, Armut
Es hängt aber weiterhin mit dem Hauptmannschen Bedürf¬
aufs äußerste. Innerhalb eines Sprachkunstwerks kann immer
nis, die Unfreiheit des empirischen, des stoffgebundenen Menschen
nur die glänzende freie Verfügung über den sprachlichen Aus¬
zu zeigen, zusammen, wenn er es nun im Szenischen liebt, den
druck ein Gefühl selischer Kraft und Größe geben: alle Helden
Menschen in seinem Milieu zu zeigen, ihn als Teil der Masse dar¬
Shakespeares sprechen in Wahrheit die gleiche, reine und üppig
zustellen. Ziel bleibt dabei für ihn immer doch — den gött¬
reiche Sprache des Shakespeareschen Geistes; die Sprache des
lichen Scelenkern des Einzelnen durch Kontrastwirkung heraus¬
Dialekts und der individuellen Redensart kennt und benutzt
zubringen. Ein wirkliches soziales Grundinteresse, wie es etwa
dieser Urdramatiker nur dort, wo er seinen Helden kleine und
Zola, der Dichter des „Germinal“ besitzt, wie man es Haupt¬
lächerliche Typen aus dem menschlichen Durchschnitt entgegen¬
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